»Bittersüßes Spiel mit dem Klischee«

Amin Farzanefar über 15 Jahre »Tüpisch türkisch« und die Filmfestival-Organisation während der Pandemie

Was gab 2006 den Anstoß, das Festival zu gründen?

Lale Konuk, mit der ich das Festival mache, hatte damals die Leitung von Arkadaş-Theater/Bühnen der Kulturen inne, eines der ersten migrantischen Theater. Als es darum ging, das Programm zu modernisieren und zu öffnen, kam von Schauspieler und Ensemble-Mitglied Vedat Erincin der Vorschlag, im Theatersaal türkische Filme zu zeigen. Damals war türkisches Kino hier fast nicht bekannt — abgesehen vielleicht von Yilmaz Güney, der 1982 die Goldene Palme für »Yol — Der Weg« bekommen hatte. In einer Stadt mit 60.000 Türkeistämmigen wollten wir hier ein Forum zur Verfügung stellen.

Worauf blickt Ihr in 15 Jahren Tüpisch türkisch« zurück?

Vor allem auf unsere zahlreichen Schwerpunkte und Sonderprogramme — etwa zum Anwerbeabkommen von 1961, zu den Geziprotesten, zum Völkermord an den Armeniern. Ein Höhepunkt war die Vorführung des kurdischen Films »Zer« von Kazim Öz, mit einem drei- oder vierfach ausverkauften Saal — den haben wir dann an einen Verleih empfohlen. Die aus der Türkei stammenden Kurd*innen und deren Nachkommen verfolgen sehr aktiv, wenn ihre jahrzehntelang unterdrückte Herkunftskultur sichtbar wird. Ein Höhepunkt ohne Publikum waren die wiederausgegrabenen 35mm-Kopien von großartigen Klassikern wie »Muhsin Bey« von Yavuz Turgul oder »Hotel Anatolia« und »Reise durch die Nacht« von Ömer Kavur. Da saßen vier Menschen im Kino. Aber allgemein ist es toll, wie das Kino in der Türkei aufgeblüht ist. Anfang der 2000er gab es eine Jahresproduktion von 11 Filmen, jetzt liegt sie bei 60 Filmen. Es gibt kaum mehr ein internationales Filmfestival ohne türkischen Beitrag. Als Filmreihe verfolgen wir seit 15 Jahren, wie sich das Auf und Ab der türkischen Politik in der Filmförderung und -produktion niederschlägt. Seit dem Putschversuch ist alles noch schwieriger geworden, kurdische Filmemacher*innen oder Themen bekommen kaum noch Förderung. Man spricht von indirekter Zensur: Nicht das Endprodukt, sondern das Entstehen eines Filmes wird verhindert. Aber es gibt trotzdem noch eine Reihe von interessanten und kontroversen Filmen.

Was ist in diesem Jahr Corona-bedingt anders?

Da wegen Corona die Reisen zu den Festivals und die Gespräche dort weggefallen sind, war es diesmal komplizierter, eine Vorauswahl zu treffen. Wir haben lange überlegt und uns dann entschieden, das Festival online zu veranstalten. Unser Publikum reagiert noch nicht so gut auf Online-Angebote. Ein Festival bedeutet ja, dass man im Foyer oder Kinosaal Freund*innen und Filmemacher*innen zum Gespräch treffen kann. Für die Zukunft ist die Online-Option aber eine gute Ergänzung, weil man auch Leute von außerhalb erreicht, oder solche, die es nicht zum Festivalkino schaffen. Wir werden nun etwas weniger Filme zeigen, bei einer längeren Spieldauer als beim normalen Festival. Die Regie-Gespräche können Zuschauer*innen live über unsere Facebook-Seite streamen und dort Fragen posten. Sie werden auch über die Dauer des Festivals hinaus abrufbar sein.

Gibt es diesmal einen Programm-Schwerpunkt?

Wir wollen ja die Eigenheit wie die Vielfalt des aktuellen Kinos einfangen, mit gegensätzlichen Perspektiven und Genres, damit sich kein homogenes Türkeibild festsetzen kann. Unser Leitmotiv »A Taste of Honey« schlägt sich in drei Filmen wieder, dabei geht es um Tradition und Naturverbundenheit, aber auch um Biodiversität und alternatives Wirtschaften. Und natürlich ist es ein bittersüßes Spiel mit dem Klischee vom »Türkischen Honig«, einer nationalen Delikatesse, die es zum Tee gibt. Als zweite Linie haben wir diesmal die Rolle der Frauen noch stärker herausgestellt als in den Vorjahren. Wir zeigen fast ausschließlich Filme von Filmemacherinnen oder mit starker Frauenperspektive: »Ovacik« porträtiert eine historisch vielfach traumatisierte Region, dort versucht jetzt der erste kommunistische Bürgermeister der Türkei eine nachhaltige und gemeinschaftsorientierte Wirtschaft aufzubauen. »Die Hügel von Istanbul« folgt Menschen, die im Müll der Stadt nach Wertstoffen suchen, um ihre Familie durchzubringen. Da kommt viel zusammen: das globale Plastik- und Müllproblem, die prekäre Lage von Zuwanderern und die Gentrifizierungs-Problematik — denn sie müssen den Stadtteil Taralbasi, in dem sie leben, räumen, weil er aufgepeppt wird. Das lesbische Liebesdrama »Love, Spells and all that« von Ümit Ünal hat auf den großen Festivals von Istanbul und Antalya Hauptpreise gewonnen, was von vielen als Zeichen gelesen wurde. Und die Filmemacherin Ceylan Özçelik kuratiert ein Programm mit Kurzfilmen ihrer Kolleginnen. Mit ihnen wird es auch Gespräche geben.

Was ist mit dem deutschtürkischen Kino?

Auch darauf haben wir immer ein Auge, zuletzt mit dem sehr talentierten, Türkei-stämmigen Nachwuchs an der KHM. Interessant ist aber auch, dass ein immer größerer Teil des türkischen Kinos in internationaler Koproduktion entsteht, und da spielt der Standort NRW und insbesondere Köln keine unwichtige Rolle. Bei Tüpisch türkisch liefen etwa »Mr. Gay Syria«, »Clair Obscur«, »Saf« und viele andere solcher Koproduktionen.

Amin Farzanefar arbeitet als freier Film- und Kulturjournalist. Er ist 1965 in Köln geboren und studierte Germanistik und Islamwissenschaft. Er kuratiert auch das iranische Filmfestival »Visions of Iran« sowie das Refugee’s Cinema Project »Cinema, Cinema!« und schreibt unter anderem regelmäßig für die Stadtrevue.

Tüpisch türkisch — Online Edition
Fr 26.2.–So 14.3
Programm und Tickets: tuepisch-tuerkisch.de