»Gegen Naziterror, staatlichen und alltäglichen Rassismus«: Demonstration am 13. April 2013 in München gegen den NSU-Komplex, Foto: Wikimedia Commons

Chöre, all überall

Für den Herbst planen Theater ein bundesweites Projekt zum NSU-Komplex

Die Nachricht trudelt kurz vor Redaktionsschluss ein: Verschiedene Theaterhäuser in der ganzen Republik beteiligen sich an einem Projekt zum NSU-Komplex. »Kein Schlusstrich!« soll es heißen, die Pressemitteilung quillt über von Schlagworten. Transmedial soll es werden, eine Intervention soll es sein, dazu partizipativ und sogar »kathartisch«. Hinter dem Theaterprojekt steht der Verein »Licht ins Dunkel«, dessen Vorsitz Jonas Zipf von »JenaKultur« und Amelie Deuflhard, Intendantin des Hamburger Kampnagel, haben. Für den Herbst ist das Programm geplant, also Premieren und Vernissagen, die gerahmt werden von einem Oratorium und einer Ausstellung.

2021 jährt sich die Ermordungen von Abdurrahim Özüdoğru, Habil Kılıç und Süleyman Taşköprü zum 20. Mal. Drei von mindestens zehn Mordopfern des NSU. Noch immer unbeantwortet sind seitdem die Hintergründe des Komplexes, die Verstrickung behördlicher Organe, die Frage nach Mitwisser- und Mittäterschaft. In einem zwölfstündigen Dokumentarhörspiel rollen ARD und Deutschlandfunk seit Mitte Februar den Gerichts­prozess noch einmal auf: »Saal 101« heißt die Produktion, die auf dem 6.000-seitigen Protokoll von Jour­nalist*innen der beiden Sendeanstalten beruht. Nun also ein bundesweites Theaterprojekt, in dessen Zentrum Aufführungen in Jena und Nürnberg stehen sollen, mit dem Titel »Manifest(o)«: Ein groß besetztes Orchester, Chöre, Solist*innen, dazu die zeitgleiche sicht- und hörbare Übertragungen weiterer Chöre aus sechs verschiedenen Städten, darunter auch Köln. Das klingt ziemlich verworren und irgendwie, man ahnt es schon, steht ganz unten in der Pressemitteilung: »Änderungen vorbehalten!«

Aber bekanntlich soll man den Abend nicht vor dem Morgen verdammen. Als eine »Ästehtik des Widerstandes« will sich das Projekt verstanden wissen, einen Kulturför­derpreis mit politischem Anliegen, nämlich von »The Power of Arts«, hat es schon bekommen. Teil des Rahmenprogrammes im Herbst wird auch die Ausstellung »Offener Prozess« sein, ins Leben gerufen vom Verein ASA-FF und angetreten mit dem Anspruch der NSU-Aufarbeitung.

Man darf hoffen, dass der »Chor der Vergebung« (ja, wirklich, dieses Wort steht dort) in der Kölner Keupstraße seiner Wut lautstark Ausdruck verleihen wird. Im Grunde, so bringt es der Dramaturg Holga Kuhla auf den Punkt, kann dieses »neue humanistische Manifest«, das das Oratorium erreichen will, nur eines bedeuten: »Wieder einmal einen gnadenlosen Blick auf das zu wagen, was die Welt wirklich bewegt, die ›Bestie‹ Mensch.«