Aus den Kulissen treten und aufs Publikum warten: Roosevelt, Foto: © Joseph Strauch

Wenn die Melancholie hereinbricht

Marius Lauber ist der erfolgreichste Kölner Pop-Export der letzten Jahre. Jetzt legt er als Roosevelt sein drittes Album vor

Marius, wer die langen Abläufe in der Musikindustrie kennt, der weiß, dass dein Album »Polydans« im letzten Frühjahr wohl schon fertig war, als Corona in unser aller Leben trat. Was hat die Covid-19-Zeit mit den Songs für dich angestellt? 

Den Großteil der Songs hatte ich schon vor dem März 2020 geschrieben. Als das Virus bei uns angekommen ist, war ich bereits bei den letzten Schritten, also Mischung und Produktionsdetails. »Polydans« ist das erste Album, das ich selber gemischt habe, was für mich als Produzent ein großer Schritt ist und die Arbeit gegen Ende der Studio-Zeit deutlich intensiver gemacht hat. Der Lockdown kam mir da fast gelegen, da ich in der Zeit nichts verpassen konnte und mich sehr gut konzentrieren konnte. Umso größer war aber die Leere, als das Album fertig war und keinerlei Zerstreuung möglich war.

Drei der Songs des Albums wurden peu a peu bereits ausgekoppelt, »Sign« und »Echoes« während der noch warmen Sommer- und Früh­herbst­monate, »Feels Right« nun mitten hinein in die Nasskälte des Winters. Denkst du, dass die Temperatur vor dem Fenster der Wohnung, in die wir uns alle gerade zurückziehen müssen, eine Rolle spielt für die Art der Beziehung, die man mit deiner Musik eingeht? 

Ja, auf jeden Fall! Ich mochte es zum Beispiel immer sehr, vermeintliche Sommer-Hits im Winter herauszubringen. Es ist doch total langweilig, wenn Musik eine zu eindeutige Intention hat. Die besten und teilweise auch ekstatischsten Momente auf der Tanzfläche sind ja die, in der plötzlich eine Ebene von Melancholie im Track hervorkommt, die zunächst unerwartet war. Diese Balance versuche ich, gerade durch meine Texte, in meiner Musik unterzubringen.

Womit hast du dich in den vergangenen Monaten beschäftigt?

Konntest du neue Songs schreiben? Oder probt man für Auftritte, obwohl diese erstmal noch auf sich warten lassen. Das Proben war tatsächlich schon geplant, wurde dann aber immer verschoben, da die Termine für die Tour mehrmals abgesagt werden mussten. Neben der Vorbereitung für den Release des Albums, seien es Musikvideo-Drehs oder Zoom-Interviews, habe ich das ganze restliche letzte Jahr im Studio verbracht, um sowohl an eigenem neuen Material zu arbeiten, als auch die Produzentenrolle bei anderen Künstlern einzunehmen. Es war für mich das erste Jahr seit über einem Jahrzehnt, in dem ich nicht mindestens zehn Festivals im Sommer und eine ausgiebige Tournee im Herbst gespielt habe, es hat sich nach unglaublich viel freier Zeit angefühlt. Es fehlte zwar oft die Inspiration, weil sich bei mir die Zeit im Studio und das Live-Spielen auch immer gegenseitig befruchten, trotzdem habe ich versucht, optimistisch zu bleiben und jeden Tag Musik zu machen.

Warst du hauptsächlich in Köln? 

Ja, ich habe seit 2019 ein neues Studio im Kölner Westen, an dem ich auch letztes Jahr viel gebaut und es erweitert habe. Ich versuche das Studio, vor allem wenn ich wieder auf Tour sein werde, zu einem kreativen Ort auch für andere Künstler zu machen, bei meinen letzten beiden Tourneen in 2019 haben hier zum Beispiel die Kölner Künstler Boddy und Wolfgang Pérez aufgenommen. Zudem mache ich hier viele meiner Produktionen für andere Bands, es waren zum Beispiel schon Bilderbuch da, um mit mir an neuen Songs zu arbeiten. Es hat mir definitiv auch mal gut getan, ein ganzes Jahr in einer Stadt zu sein. So sehr ich das Touren auch mag, wird man dadurch sehr schnell und immer wieder aufs Neue aus einem kreativen Rhythmus herausgerissen.

Persönliche Kommunikation ist durch die Pandemie zu digitalen Zoom-Hangouts geworden. Nun bist du jemand, der ohnehin seine öffentliche soziale Präsenz nicht übertrieben hochfrequentiert hält. Ich könnte mir vorstellen, dass die Idee von konzentrierten Spaziergängen dir gar nicht so unwillkommen ist, oder? 

Absolut, ich glaube Spazierengehen ist für alle ein fester Bestandteil des sozialen Lebens geworden. Mir wurde aber auch oft bewusst, dass ich den größten Teil meiner Arbeit, also das Produzieren im Studio, weiterhin ausführen kann — und was das für ein Privileg ist! Natürlich ist da dieser andere große Bestandteil meiner künstlerischen Existenz weggebrochen, das Live-Spielen. Ich merke jedoch an anderen Leuten, wie schwer es sein muss, wenn der gesamte Beruf nicht mehr auszuführen ist. Das macht dann nochmal etwas ganz anderes mit dir.

Wie sehr vermisst du die Nacht in deinem Leben?

Gleich der zweite Song des Albums, »Strangers« bringt uns ja mitten hinein in die Nacht und lässt sich als Zeichen einer aufkommenden Sentimentalität lesen. Das ist es, was ich eben mit Zerstreuung meinte, und das ich, gerade beim Schreiben der Songs auf »Polydans« auch oft gesucht habe. Ich habe es sehr genossen, fast jeden Freitag ins Jaki zu gehen. Oft zwar nur auf einen Abstecher nach dem nächtlichen Feierabend im Studio — aber das Gefühl von sehr lauter Musik, die auch physisch zu spüren ist und zu sehen, was sie mit einer Tanzfläche macht, das sind Dinge die du so im Studio oft nicht einschätzen oder reproduzieren kannst. Gerade wenn man den Anspruch hat, Dance-Music zu machen, ist es meiner Meinung nach extrem wichtig, diese auch regelmäßig in so einem Umfeld zu erleben, um sie zu verstehen. Zumindest gibt es mir oft Anstöße, die ich ohne dieses Loslassen nicht hätte. Deswegen vermisse ich es natürlich umso mehr.

Der Anfang von »Strangers« triggert bei mir einen Song an, den ich nicht genau fassen kann. Gibt da eine spezielle Inspirationsquelle, die als Zitat für den Einstieg von Bedeutung war?

Interessant! Keine spezielle, aber ich hatte das Ziel einen soften French-House Song zu machen, der gleichzeitig nach Ballade und Tanzfläche klingt. Das alles ist sehr inspiriert von einem gewissen Pariser Disco-Glamour um Künstler wie Air, Sébastian Tellier, Daft Punk, Cassius oder auch Paradis.

Deine Texte fließen trotz der klaren narrativen Anlage wieder so unglaublich leichtfüßig zu den Melodien, dass ich mich frage, ob sie eigentlich bereits während der Kompositionsprozesses entstehen und nicht erst am Ende?

Das ist ganz unterschiedlich, aber ja: Manchmal ist eine Hook, inklusive Text, das erste, das mir einfällt. Dann wird der Song anschließend um die Hook herum produziert. Das war aber zum Beispiel auch schon bei meinem Track »Colours« auf dem ersten Album so. Das leichtfüßige, das du ansprichst, kommt aber, glaube ich, allgemein dadurch, dass die Phonetik und der Rhythmus einer Zeile für mich mindestens genau so wichtig sind wie dessen Bedeutung.

Aus welchen Orten und sozialen Konstellation speisen sich die Texte des Albums für dich?

Das kann wirklich alles sein. Auf dem Album ist mir aufgefallen, dass ich mich oft selber in Situationen hineinversetze, die zwar so in meinem Umfeld stattfinden, die ich aber gar nicht selber erlebt habe. Ich leihe mir sie sozusagen und mache sie durch meine Texte zu meinen eigenen.

Nicht alle wissen es, vielleicht auch, weil du auf der Bühne zumeist mit Band stehst, aber du spielst alle Instrumente auf deinen Alben selbst ein: Bass, Synthesizer, Schlagzeug. Wie hat man sich das vorzustellen, als solitären Prozess oder gibt es da Freundinnen und Freunde, die einen Resonanzraum bieten, oder gar eine(n) Produzent:in? 

Das ist genau so langweilig wie man es sich vorstellen mag, ich sitze wochenlang alleine im Studio und produziere die Songs. Roosevelt hat als Experiment begonnen, um zu sehen, inwiefern ich, nachdem ich in mehreren Band-Konstellationen in meiner Jugend gespielt hatte, einen Song auch selber schreiben, aufnehmen und produzieren kann, und daran möchte ich nichts ändern. Es ist teilweise absurd zu sehen, dass Roosevelt mittlerweile in einer Welt stattfindet, in der oft ganze Songwriter- und Produktionsteams an Stücken arbeiten. Umso spannender finde ich es, es trotzdem genau so durchzuziehen. Bei »Polydans« habe ich sogar niemandem, nicht einmal meinen Labels, das Album vor Fertigstellung vorgespielt. Ganz alleine im Studio kann man sehr schnell unsicher werden, wenn zu viele unterschiedliche Meinungen zu den Songs herumschwirren. Deswegen habe ich einen Cut gemacht und mich schon vorher dafür entschieden, bei dieser Platte zu versuchen, ganz bei mir selber zu sein, ohne irgendwelche anderen Einflüsse. Daher auch die Entscheidung, das Album final abzumischen.

Die Roosevelt-Reise dauert nun schon bald zehn Jahre an. Wie unterscheidet sich der Markus Lauber von heute von jenem der Anfangstage? 

Gute Frage ... es fühlt sich an als wäre ich gleichzeitig ein komplett anderer Mensch, aber auch genau derselbe. Ich denke, der größte Unterschied ist der, dass ich jetzt ein Vertrauen in meine Arbeit habe, die ich vorher nicht hatte. Alles was früher auf mich an neuen Eindrücken zukam, hat mich oft überfordert, ich fühlte mich manchmal noch nicht bereit, gewisse Festivals zu spielen, dachte oft, meine Produktionen wären noch nicht gut genug, um so eine große Hörerschaft im Internet zu bekommen. Mittlerweile hat sich da eine angenehme Gelassenheit eingestellt, da ich so langsam weiß, was ich kann — und auch was nicht.

Kannst du ausmachen, in wie weit sich dein Songwriting verändert hat? Gibt es andere Einflusslinien?

Ich glaube ich schreibe, verglichen mit meinen früheren Songs, heute deutliche klarere Strukturen. Ich habe Gefallen daran gefunden, den von Dance beeinflussten Sound beizubehalten, ihn aber in einen Popsong zu packen.

Wie zufrieden warst du mit dem Vorgänger-Album »Young Romance« und den Tourneen dazu?

Sehr zufrieden. Es ist für mich auf jeden Fall das Album, auf dem ich ausprobiert habe, wie radiofreundlich ich meine Musik produzieren kann. Das war eine extrem interessante Herausforderung und es war schön zu sehen, dass sie zum größten Teil gelungen ist. Wir wurden für große Festival-Slots gebucht, die drei, vier Jahre vorher noch undenkbar gewesen wären. Ich sehe das Experiment aber weitestgehend als abgeschlossen — und will mit »Polydans« wieder zurück zu einer Art Hybrid zwischen Band und Dancefloor, zurück zu dem was dieses Projekt am Anfang, auch für mich, so ausgezeichnet hat, nämlich in Live-Situationen eine Club-Atmosphäre zu schaffen.

Viele rechnen für die Post-Corona-Kulturbetrieb mit einer Regionalisierung, gerade im Bereich der Elektronischen Musik. Teilst du diese Perspektive?

Wäre das für dich, der du die letzten zehn Jahre ein Globetrotter im Namen des Pop gewesen bist, okay? Oder ist da doch die treibende Sehsucht, wieder schnell nach Los Angeles, New York oder Tokyo zu kommen, da eben all das in einer Musik präsenter ist als Ehrenfeld? Ich kann mir eine Regionalisierung im Live-Betrieb auf Dauer kaum vorstellen. Es ist möglich, dass dies als Vorstufe passieren wird, aber für uns und auch für viele anderen Bands ist das wohl kaum interessant. Nicht weil es stilistisch irgendwo anders besser passen würde, ich liebe es in Köln zu spielen. Aber der Aufwand, der so eine Live-Produktion mit sich bringt, ist kaum zu realisieren, wenn am Ende nur ein Konzert in Köln stattfinden wird. Zudem wohnt meine Band in ganz Deutschland verteilt, das Konzept der Regionalisierung würde mit uns sowieso nicht ganz aufgehen.

Tonträger: Roosevelt, »Polydans« erscheint am 26.2. auf City Slang (Rough Trade).