Von den Eltern mehr als nur die alten Klamotten geerbt: Noga Erez, Foto: Dudi Hasson

Auf den Beat niesen

Die israelische Musikerin Noga Erez findet das Politische im Privaten

Auf dem Cover ihres neuen Albums »Kids« sieht man Noga Erez im Schneidersitz vor neutralem Hintergrund, über ihrem Kopf leuchten in Orange die vier Buchstaben K, I, D und S. Sie droht in einem sechs Nummern zu großem Sakko zu verschwinden, allein ihr fester Blick hält sie noch im Bild.

Die breiten Schultern, die den Kopf unverhältnismäßig klein erscheinen lassen, das erinnert den Pop-Veteranen natürlich an David Byrne und seinen legendären Anzug im Talking Heads-Konzertfilm »Stop Making Sense«. »Viele haben mich darauf angesprochen, ob das eine Referenz sei. Tatsächlich hat es damit nichts zu tun, es ist viel eher der Versuch nachzuempfinden, wie es war, als man als Kind den Anzug des eigenen Vaters anprobiert hat«, erzählt uns die 30-jährige Israelin aus Tel Aviv im Interview: Kids eben. Das Verhältnis von Jugend und Alter, von Kindern zu ihren Eltern, ist das bestimmende Sujet dieser Platte. Man stutzt — erinnert man sich doch, dass sie mit ihrem Debüt»Off The Radar« eine laute, wütende, politische Platte abgeliefert hat. Naja, ungewohnt zumindest, wenn man das nach einer Langspielver­öffentlichung überhaupt sagen kann und darf.

Dass das Thema »Politik« zum Kennzeichen der Musikerin wurde, daran hatten die Jahre 2017 und 2018 ihren Anteil: Da war einerseits Erez selbst, die mit dem Track »Dance While You Shoot« eine Single ablieferte, die weit jenseits vom Happy-Pop-Radiogedudel wortwörtlich um sich schoss. »You steal and you know how to hide it so damn fucking good / You cheat and you know how to justify it so damn fucking good.« Wer das »you« in diesem Falle war, blieb gewollt unklar. Sang sie gegen die Hamas an, gegen die eigene Regierung, gegen die Militärs, die ihr während des zweijährigen Wehrdienstes bei der Israel Defense Force zu töten beibrachten? Bei solchen Texten jedenfalls kein Wunder, dass man »politisch« gelesen wurde.

Da waren aber auch jene Kritiker*innen, die in Folge ausschließlich über Israel und Palästina reden wollten, mit der Musikerin den Nahost-Konflikt besprechen, bestenfalls sogar lösen wollten: »Die Wahrheit ist: Egal was ich für eine Album veröffentliche, alle wollen mich alle bloß zu Israel und Politik befragen. Das ist okay, alles ist politisch. Aber ich habe nicht unbedingt etwas Wichtiges zu erzählen. Da kann ich auch die Schnauze halten«, erklärt Erez und zeigt deutlich, dass die Fixiertheit deutscher und englischer Medien auf den Konflikt in ihrer Heimat Spuren hinterlassen hat.

Genauso wie auch die dritte Partei, die am Sinneswandel, wenn es überhaupt so nennen mag, Anteil hat: die BDS-Bewegung. Trotz einer deutlich vernehmbaren kritischen Haltung zu dem, was in Israel passiert, wurde auch Erez zum Opfer der anti-israelischen Delegitimierungs- und Boykottbewegung. »Ich sehe das so: BDS ist nur ein Nebenprodukt einer Situation, die mich zusehends frustriert und traurig macht«, versucht sie die Bestrebungen der netzwerkartigen Palästina-freundlichen Lobby-Gruppe einzuordnen. Und das, obwohl Musiker*innen wie der aktuell wegen seiner vermeintlichen Teilnahme am Sturm auf das Kapitol in Washington in Ungnade gefallene John Maus (Ariel Pink)und die britischen Acts Richard Dawson und Gwenno 2018 das Berliner Pop-Kultur-Festival boykottierten, weil neben zwei anderen israelischen Acts auch Noga Erez aufgetreten ist. Sie versucht es trotzdem nochmal mit einer gewissen Neutralität: »Natürlich nervt es ausgeladen und boykottiert zu werden, bloß weil man aus der falschen Ecke der Welt kommt. Ich kann aber nicht selbstmitleidig werden. Die Realität und die Situation hier, die sind das eigentliche Problem.«

Ja, es gibt sogar ganz gute Gründe mal abseits der sicherlich nicht in einem Adjektiv fassbaren Lage zwischen Mittelmeer und Jordantal, genauer hinzuhören, was Erez heute beschäftigt. Das ist nicht weniger wichtig.

Den Tod ihrer Schwiegermutter vor zwei Jahren nahm sie zum Anlass, sich mit dem Verhältnis zwischen jung und alt — und auch dem eigenen Älterwerden — auseinanderzusetzen. So besteht das Intro aus einer zehnsekündigen Aufnahme ihrer eigenen Mutter: »Ich habe wegen dem Tod von Oris Mutter (Ori Rousso, Lebenspartner und Produzent von Noga Erez; Anm. d. Aut.) viel über das Verhältnis zu meiner eigenen Mutter nachgedacht — wie alles, was sie je getan hat, mich immerzu beeinflusst hat. Das Verhältnis zwischen Kindern und Eltern ist so grundlegend und gleichzeitig wild... das habe ich nun erkannt.«

Man kann sich aus diesen Worten schon ableiten, dass es sich bei »Kids« nicht um eine Wohlfühlplatte ist, auf der alles in rosarot erscheint. Nein, es ist bisweilen alles sehr kompliziert.

Nicht ohne Grund heißt denn auch die erste Zeile des Albums im Stück »Cipi«: I am deeply depressed. Dafür gibt es genügend Anlass: »Nur weil man seine Eltern ehrt, heißt das nicht, dass man blind ihren Pfaden folgen sollte. Es ­verpflichtet uns eben dazu, aus den Fehlern der Vorgängergeneration zu lernen und es besser zu machen.« Sie spricht damit an, dass eben jene »Alten« in den letzten Jahren so manches globalpoli­tisches Problem verursacht haben, vom Brexit bis zur globalen Erwärmung.

Dabei ist »Cipi« noch eines der freundlicheren Lieder auf dem produktionstechnisch extrem ausgereiften, bisweilen ruppigen Album. Erez’ Stimme surft auf einer Pop-Welle, angetrieben von dichter Sample-Power, durch die Tracks. Leiht sich hier mal einen Rap-Gestus aus, was entweder wie bessere Stücke der Gorillaz klingt oder doch wie die tamilische Sängerin M.I.A.; in den besten Momenten dringt sogar ein »Golden Era of R’n’B«-Sound durch, der sich mit Produktionen von Timbaland messen lassen könnte.

Damit einem dabei nicht langweilig wird, produziert das Duo Erez/Rousso die Stücke meist diesseits der Drei-Minuten-Grenze. Das verleiht »Kids« trotzdem nie den Eindruck des volatilen Durcheinanders. »Wir haben bis zur letzten Sekunde der neuen Deadline für das Album gearbeitet und permanent verbessert und nachproduziert.« Das Album war ursprünglich für das zweite Quartal 2020 geplant gewesen und wurde dann aus den bekannten Corona-Gründen verschoben. Da sie, wie sie sagt, nichts beendet, bevor die Deadline nicht droht abzulaufen, nutzte sie halt die Zeit, um das Album zu perfektionieren.

Auch an ihr ist das letzte Jahr nicht spurlos vorbeigezogen: »Fuck, ich will einfach mal wieder touren.« Für die Musikerin mit klassischer Ausbildung — auch beim Militär spielte sie im Orchester — ist der Live-Kompromiss eigentlich unbefriedigend gewesen. Das dichte Sound-Universum stellte sie nämlich mit ihrem Freund und einem weiteren Musiker mit Hilfe weniger Sampler her. Das war stets eine Notlösung, um schnell und einfach touren zu können und trotzdem die Qualität des Klangs zu garantieren: »Ich vermisse die Finger eines Pianisten auf den Tasten zu sehen. Ich würde am liebsten stets mit einem 40-köpfigen Orchester auf Tour gehen. Aber das ist heute kaum mehr möglich — und mit Corona noch viel weniger.«

Zu guter Letzt musste dann aber doch nachgefragt werden, was denn die positiven Sachen sind, die man von seinen Eltern erben und weitergeben mlöchte. Für Erez ist die Antwort einfach: »Ich ertappe mich immer mehr dabei, so wie meine Mutter zu niesen. Es sind laute, ausdruckvolle fröhliche Nieser.« Und somit gilt auch für Noga Erez, was für Beyonce gerade gut genug ist: I sneezed on the beat and the beat got sicker.

Tonträger: Noga Erez, »Kids« erscheint am 26.3. auf City Slang (Rough Trade).