Dramatische Atmosphäre: Arca

Jenseits von Schmerz und Kampf

Arca, Reece Cox, Blackhaine & Richie Culver

Als die Sängerin und Produzentin Sophie Ende Januar bei einem Unfall in Athen starb, erreichte mich die Nachricht via Instagram. Und zwei Minuten später schon erschienen die nächsten Posts und Beiträge. Eine Flut an Nachrufen, Kondolenz und Beileidsbekundungen — selten war es mir in den letzten Jahren so laut wie an den folgen­den Tagen. Da wollte es eigentlich nicht ganz ins Bild passen, dass zeitgleich etliche Posts und Tweets auftauchten, die den mangelnden Erfolg der transidenten Schottin als Inbegriff der transfeindlichen Musikindustrie und -community anprangerten. Dem Kern dieser Aussage muss man leider zustimmen: Die Zeitschriften, Journalisten, Radio- und TV-Programm sind genauso transfeindlich wie auch der Rest des Publikums — und dieses wiederum trägt die selben Ressentiments gegen trans- und nonbinäre Menschen mit sich herum wie der Rest der Gesellschaft.

Andererseits ist dies eine oberflächliche Betrachtung dessen, was Sophie bekannt, jedoch nicht berühmt gemacht hat. Dafür müsste man sich ihr Werk nochmal genau anschauen: Es ist ein sprödes, konzeptuelles Oeuvre, das immer wieder die Grenzen der Hörgewohnheiten auszureizte und aufbrach, um sie in ein neues Jahrtausend zu hieven.

Die Künstler*in Mykki Blanco, selbst non-binär, queer und schwarz, kommentierte diese Vorwürfe umgehend und machte ihren Punkt: Warum muss eigentlich nicht hetero-normative Kunst immer als solche rezipiert werden? Und warum fixieren viele Künst­ler*innen und Rezipient*innen meist auf »Schmerz und Kampf« als einzigem Rezeptionsraum für ihre Kunst?

Gerade in den letzten Jahren sind wahnsinnig viele großartige Platten entstanden, die sich gerade nicht erschöpft haben in der Darstellung queeren oder non-cis-identen Lebens. Identity Politics? Ja klar. Aber eben auch mehr als das. Das wunderbare Album der poly-identen Sängerin Mhysa auf Hyperdub, queere Rap-Entwürfe von Mykki Blanco, Le1f oder Zebra Katz, dazu der Hi-Tech-Sound einer Sophie und … natürlich das magische Werk Arcas.

Arca ist das Kunst-Alter-Ego der Performerin Alejandra Ghersi, die sich erst 2018 als nicht-binär geoutet hat. Gerade einmal vier Wochen nach dem Tod ihrer guten Freundin und musikalischen Kooperationspartneinr Sophie veröffentlicht Arca eine EP, die eine Fortsetzung des erfolgreichen Jahres 2020 hätte darstellen sollen. Trotz Pandemie ging es nämlich richtig ab, wie man so sagt: Album-Release, Grammy-Nominierung,  Musik für den neuen Flügel des MoMAs etc.

So gut das Album »KiCk i« auch war, ist die »Madre EP« das beste, was Arca bis dato veröffentlicht hat. Die vier aufeinander aufbauenden Stücke, die ursprünglich als Soundtrack für die HBO-Vorzeige-Serie »Euphoria« entstanden sind, erzeugen eine dramatische Atmosphäre, die präzise die Themen der Serie — Freundschaft, Trauma, Drogen, Tod und Körperdysphorie — in Töne übersetzen. Während auf »Madreviolo« Arca noch selbst Cello spielt — welches sie übrigens nach der Aufnahme zerstört hat um die Einzigartigkeit des Stückes zu garantieren —, holt sie sich für die Titelkomposition mit Oliver Coates einen Spezialisten an Bord. Schon für Laurel Halo, Johnny Greenwood oder auch Actress schwang Coates seinen Bogen; hier unterstreicht er wortwörtlich den flehenden Gesang im — Zitat — ­Kastraten-Register. Im Lichte der traurigen Ereignisse wird diese EP zur Nänie auf eine verstorbene Freundin.

Von da den Übergang zu einer anderen Veröffentlichung dieser Tage zu schaffen, ist fast unmöglich; außer vielleicht, dass eine Veröffentlichung  wie jenes Debüt von Reece Cox für KULØR ohne die Vorgänger*innen Sophie und Arca wohl nie möglich gewesen wäre. Das bezieht sich explizit auf den Titeltrack »Emotion 1« und nicht etwa auf die zwar richtig guten Remixe von Parris, Ibon und Call Super, die aber recht funktional bleiben. Cox überzeugt mit einem Maschinen-Barock, der dieser Tage sonst nur von jemandem wie Lorenzo Senni ähnlich virtuos beherrscht wird. Trotzdessen ist das heimliche Highlight jener Remix von der Niederländerin Thessa Torsing aka upsammy.

Diese liefert seit Jahren immer wieder hervorragende Eigenkreationen und Remixe ab, und es ist eine Schande, dass sie noch kein Superstar ist. Hier verabschiedet sie den trancigen Barock des Originals und übersetzt ihn in eine Erzählung vom Märchentantchen — ein wahrlich cartoon’eskes Vergnügen, voller Lebensfreude.

Einiges rougher geht es bei dem englischen MC Blackhaine und seinem Landsmann Richie Culver zu. Der Poet und der Künstler haben ihre Kräfte gebündelt für ein ultra-intensives Erlebnis namens »DID U CUM YET / I’M NOT GONNA CUM«. Culver, der sich mit transmedialen Kommunikationsverelendungen aller Art auseinandersetzt, postete vor knapp zwei Jahren ein Gemälde bei Instagram: DID U CUM YET.

Diese provokative Geste kommentierten etliche Menschen. Ausreichend, um mit den Kommentaren über 300 Seiten zu füllen, die daraufhin als Buch erschienen, während das originale Bild zerstört wurde. Nun übersetzten die beiden englischen Arbeiterkinder jenen textlichen Wulst in ein bisweilen stroboskophaftes auditives Erlebnis, das wiederum ein Video und eine Installation als Soundtrack begleitet. Es hämmert und zirpt, irgendwann setzt ein Sprachroboter ein; der Text oszilliert zwischen Zitat, Pornokommentaren und der harten Poesie von Blackhaine. Bei der richtigen Lautstärke wird das zu einer körperlichen Sensation — eine willkommene Abwechslung im Home-Office.

Arca, »Madre EP« (XL Recordings)

Reece Cox, »Emotion 1« (KULØR)

Blackhaine & Richie Culver, »DID U CUM YET / I’M NOT GONNA CUM« (Participant), digital bereits erschienen, Vinyl-Release im April.