Unersetzbar: Kai Maria Steinkühler, Foto: Anna C. Wagner

Freundschaft, Liebe, Wagemut

Zum Tod des Kölner Filmemachers Kai Maria Steinkühler — und zu dessen Lebenswerk, der Westendfilme Filmproduktion

Am 11. Januar wurde Kai Maria Steinkühler tot in der Kölner Gaststätte »Weißer Holunder« aufgefunden, wo er als Kellner beschäftigt war und gerade Renovierungsarbeiten vorgenommen hatte. Die Polizei stellte einen natürlichen Tod fest. Das macht umso sprachloser, da Kai Maria Steinkühler nur 53 Jahre alt wurde. Mit ihm hat die hiesige Filmlandschaft eine ganz besondere Persönlichkeit verloren. Steinkühler war Regisseur, Autor, Produzent und Schauspieler — Filmemacher aus Liebe zum Film. Er schuf einen eigenen filmischen Kosmos, dessen kluger Witz berührte und begeisterte.

Seit den 1990er Jahren war der gebürtige Kölner Teil eines kongenialen Gespanns. Gemeinsam mit Schulfreund Markus Mischkowski hatte Steinkühler die Filmproduktion Westendfilme gegründet — der Homepage zufolge mit dem »subversiven Plan, sich klammheimlich als Fußnote in die Filmgeschichte einzuschreiben, mit einem kleinen, aber feinen Oeuvre, jenseits des gängigen Dienstleistungskinos, aber mit aller Freiheit des Filmemachens, beharrlich und unbeirrt, der eigenen unbestechlichen unreinen Liebe zum Kino folgend: Film als Abenteuer, Ereignis und Verheißung«. Dieser Plan ging auf im Westend-Zyklus. Der umfasst acht Filme, zwischen 1997 und 2015 allesamt in kontrastreichem Schwarzweiß gedreht. Die sechs Kurzfilme »Westend«, »Was tun«, »Wolga«, »Waldmeister«, »Wellenreiter« und »Wettbewerber« sowie zwei international beachtete Langfilme: »Westend« und »Weiße Ritter«. Im Zentrum und am Tresen stehen jeweils die Freunde Mike und Alfred, gespielt von Mischkowski und Steinkühler. Diese Antihelden, überfordert von den Anforderungen einer neoliberalen Marktwirtschaft voll hohler Versprechungen, haben sich »spezialisiert auf Aushilfsarbeiten«, wie es in »Westend« heißt. Der Titel spielt an auf das reale Ossendorfer Niemandsland. Mit seinem wilden Gewerbegemisch von Reifenhandel über südländische Supermärkte bis zum Saunaclub ist es universell. Solche gleichermaßen erschlossenen wie abgehängten Quartiere gibt es nicht nur im Kölner Westen. Und Typen wie Alfred oder Mike kennt man in Osteuropa genauso wie an Amerikas Ostküste.

»Kai ist mein bester Freund, er ist viel mehr als ein Kompagnon«, sagt Mischkowski, der im Präsens bleibt, wenn er über den Verstorbenen spricht. »Wir haben gerade eine Drehbuchförderung für ’Wartburga’ bekommen, ein Roadmovie, das in Ostdeutschland spielt. Das Drehbuch werde ich noch zu Ende bringen, auch aus vertraglichen Gründen. Aber ich kann den Film nicht drehen, allein weil Kai Maria als Darsteller von Alfred nicht ersetzbar ist.« Schon der Prozess des Drehbuchschreibens verrät eine symbiotische Beziehung: »Wir arbeiten im Schichtsystem, einer schreibt vier Stunden, dann macht der andere weiter.« Mal werden sie mit Jim Jarmusch oder Herbert Achternbusch, dem frühen Wim Wenders oder Aki Kaurismäki verglichen. Dann wieder heißt es, Steinkühler und Mischkowski bewegten sich stilsicher zwischen Italo-Western und Film noir.

»Die vielversprechenden deutschen Filme kommen nicht aus der Hauptstadt. Sie kommen auch nicht mehr aus München oder Hamburg, sondern entstehen in Köln«, begeisterte sich 2003 die Süddeutsche Zeitung für die Arbeiten der so genannten Kölner Gruppe, die auch im Abspann der Westend-Filme genannt wird. »Die Kölner Gruppe ist in den 1990ern im Kölner Filmhaus entstanden, wo unabhängigen Filmemachern Produktionsmittel wie Kamera und Licht gestellt wurden«, erzählt Markus Mischkowski. »Gleichzeitig trafen sich im Filmclub 813 Cineasten, die ungewöhnliche Filme sehen und machen wollten.« Man habe sich dort gegenseitig inspiriert und geholfen, so Mischkowski. »Nach dem Prinzip: ›Du übernimmst eine kleine Rolle in meinem nächsten Film, und ich mache dann in deinem Film das Licht.‹« Um Profis zu beschäftigen, habe meist das Geld gefehlt. Förderung kam vom Filmbüro und später von der Filmstiftung NRW. Von Fernsehsendern gab es kein Geld, auch der WDR konnte nie als Koproduzent gewonnen werden. »Die Redakteure tun sich schwer mit Schwarzweißfilmen und unseren stilisierten Figuren, die ja geradezu Stummfilmfiguren sind. Wir haben gern damit kokettiert, dass uns kein Fernsehredakteur bei der Arbeit reinredet, in Wirklichkeit war aber seitens der Sender überhaupt kein Interesse vorhanden«, so Mischkowski.

Geld konnten sie mit den Filmen nicht verdienen, Kai Maria Steinkühler hat seinen Lebensunterhalt immer mit Arbeit in der Gastronomie bestritten. Der bestürzte »Weißer Holunder«-Inhaber Michael Kampert erinnert sich an einen lieb gewonnenen Mitarbeiter: »Unglaublich sympathisch und zurückhaltend. Kai hat bei der Arbeit in der Kneipe nie groß von seinen Projekten erzählt oder davon, dass er eigentlich Filmemacher sei. Er hat sich immer voll auf die Tätigkeit als Kellner konzentriert und war hier wahnsinnig beliebt.«

Die »alten Mythen von Freundschaft, Liebe und Wagemut in der Ruinenlandschaft des Stadtrands«. Sie sah der Filmkritiker Hans Schifferle in den Westend-Filmen. »Man muss sie einfach mögen«, begeisterte sich die taz für die beiden Protagonisten.  

Dass der subversive Plan von Markus Mischkowski und Kai Maria Steinkühler, eine Fußnote in der Filmgeschichte zu werden, aufgegangen ist, zeigt auch die Aufnahme ihres Films »Westend« in die Edition Filmmuseum des Filmmuseums München, eine bedeutende Sammlung künstlerisch relevanter Filme. Die DVD aus der Reihe, die noch zwei Kurzfilme sowie Interviews mit den Machern enthält, ist im Online-Shop des Filmmuseums und in gut sortierten Videotheken wie der Kölner Traumathek erhältlich.

Weitere Infos zum Gesamtwerk der Westendfilme Filmproduktion unter westendfilme.de