Systemsprengerin in Hollywood

»Neues aus der Welt«

Paul Greengrass’ Vater-Tochter-Drama besticht als nahezu klassischer Western

Draußen regnet es in Strömen, aber der Saal ist voll. Die Leute sind gekommen, um die neusten Nachrichten zu hören. Nicht über Fernseher oder Radio, sondern aus dem Munde von Kyle Kidd (Tom Hanks). Der ehemalige Captain der konföderierten Armee reist im Jahre 1870 durch das nördliche Texas und liest den Menschen dort aus verschiedenen Zeitungen vor. Von einer Fähre, die im Red River gesunken ist, von einer Meningitis-Epidemie in der Region, die schon 97 Seelen dahingerafft hat, vom US-Präsidenten, der Texas auffordert, die Verfassungszusätze zur Abschaffung der Sklaverei umzusetzen. Der Sezessionskrieg ist gerade erst fünf Jahre vorbei und die Schmach der Niederlage sitzt hier noch immer tief. Der wilde Westen, durch den Tom Hanks in »Neues aus der Welt« reitet, ist ein von Bürger- und Indianerkriegen moralisch zerrüttetes Land, das sichtbare Analogien zum Amerika der Post-Trump-Ära aufweist. Auch hier stemmen sich die Verlierer mit aller Kraft gegen ihre Niederlage. Auch hier ist der Rassismus die treibende Kraft für die Spaltung der Gesellschaft. Auch hier glaubt der wütende Mob, das Gesetz in die eigene Hand nehmen zu können. Auch hier lässt die ökonomische Krise Menschen in den Abgrund der Armut fallen. Aber all das läuft in Peter Greengrass’ gelungener Genre-Variation nur nebenher. Im Zentrum steht das langsam wachsende Vertrauensverhältnis des reisenden Nachrichtenmannes zu einem Waisenkind.

Helena Zengel (»Systemsprenger«) spielt das Mädchen deutscher Herkunft, das im Kleinkindalter nach einem Gefecht mit Siedlern von Indianern entführt und bei diesen aufgewachsen ist. Nach dem Tod ihrer leiblichen Eltern sind auch die Adoptiveltern vom Stamm der Kiowa bei einem Massaker ermordet worden. Mehrere Wochen dauert die gemeinsame Odyssee von Kyle und Johanna durch einsame Buschlandschaften und über gefährliche Straßen, auf denen ehemalige konföderierte Soldaten als bewaffnete Banden ihr Unwesen treiben. Als klassischen Western ohne modernisierende Mätzchen inszeniert Paul Greengrass die Geschichte. Getragen wird das Unternehmen vor allem von der durchaus rührenden, langsam reifenden Vater-Tochter-Beziehung zwischen dem traumatisierten Waisenmädchen und dem ehemaligen Südstaatenoffizier, der mit eigenen schrecklichen Erlebnissen und Taten zu kämpfen hat. Die fabelhafte Helena Zengel kann hier nahtlos an ihre Rolle in »Systemsprenger« anknüpfen und überzeugt in den Momenten aggressiver Verweigerung genauso wie in den ruhigen Sequenzen.

(News of the World), USA 2020, R: Paul Greengrass D: Tom Hanks, Helena ­Zengel, Elisabeth Marvel, 118 Min., ­verfügbar auf Netflix