Treffpunkt Ebertplatz: Müseler mit Johannes Geyer (Stadtraummanager) und Grischa Göddertz

Kunst produzieren mit Plan B

Wo steht die freie Kunstszene nach einem Jahr Pandemie? Fragen an die Fachreferentin im Kölner Kulturamt Nadine Müseler

Wie hat Corona die Kölner Kulturszene betroffen, insbesondere die Bildende Kunst?

Wöchentlich tauschen wir uns im Kulturamt über die Probleme der Kunst- und Kultur­ver­anstalter*innen in Pandemie-Zeiten aus. Ich habe in diesen Gesprächen festgestellt, dass meine beiden Fach- und Förderbereiche — die Kunst und Literatur — insgesamt weniger betroffen sind. Während Kinos, Clubs, Theater generell mit größeren Eintrittseinnahmen rechnen, die plötzlich weggebrochen sind, während hohe Fixkosten zu tragen sind, hat es sich als Vorteil herausgestellt, dass viele Kölner Lite­raturformate schon zuvor noma­­disch an verschiedenen Orten unter­wegs waren und die freien Kunst­räume in günstigeren Gewerberäumen und Ladenlokalen verortet sind. Mit unserer Jahresförderung konnten Ausfallhonorare, Programm- und auch Mietkosten abgedeckt werden.


Dennoch war kein kontinuierliches Ausstellungsprogramm möglich.

Zu den Auswirkungen der Lockdown-Zeit zählen auch viele Neuerungen, nämlich digitale Alternativformate. Es entstanden Videos über Ausstellungen, Literatur-Clips mit Buchempfehlungen, Live-Übertragungen von Lesungen, Atelierbesuche bei Künstler*innen fanden per Zoom statt. Ausstellungen wurden so installiert, dass man sie notfalls durch das Schaufenster sehen konnte, der Sound war zum Beispiel über einen QR-Code auf dem eigenen Handy zu hören. Auch »Kunst am Bau«-Projekte, etwa die Installation des »Elefantentors« vom Kunst­haus Kat18 an der Zufahrt zu den Hallen Kalk, konnten 2020 realisiert werden. Oder die »Kunst auf Kölner Litfaßsäulen«, die Kunst-, Licht- und Soundinstallationen am Ebertplatz, die kontinuierlich weiterliefen. Wenn erst einmal die Zoom-Müdigkeit vorbei ist, das Gleichgewicht zwischen online- und realen Veranstaltungen wieder­hergestellt, dann werden wir vermutlich einige gute, digitale Vermittlungsformate aus der Corona-Zeit in unseren Alltag integrieren.


Wie wird es mit der Förderpraxis weitergehen?

Wie weit können Sie vorausplanen? Realistischerweise haben wir unter den Anträgen für 2021 jene Projekte berücksichtigt, die ihre Veranstaltungen ab April planen und dabei die speziellen Corona-Umstände mitdenken. Bei größeren Festivalformaten scheint es mir sicherer, einen Plan B für den Herbst zu haben oder Hybridforma­te, und dennoch den öffentlichen Raum von Anfang an mit einzuplanen. Der Notfallfonds wird in einer aktualisierten Form weitergeführt.


Welche finanziellen Hilfen hat das Kölner Kulturamt ausgeschüttet?

Es gab 2020 einen Notfallfond A+B mit einem Finanzvolumen von drei Millionen Euro, wovon rund 1,2 Millionen Euro verausgabt wurden. Hiermit wurden Theater, Festivals oder auch das Kölner Literaturhaus bedacht, die erhebliche Fixkosten und große Einnahmeausfälle haben. Mit dem Notfallfonds B wurden aber auch kleinere Strukturen unterstützt, die zum Beispiel Stadtführungen zu Kultur und Historie der Stadt Köln anbieten. Es ging uns darum, funktionierende Strukturen möglichst durch die Corona-Zeit zu bringen, während sich Land und Bund stärker auf die Existenzsicherung von Künstler*innen durch die Vergabe vieler tausender Stipendien konzentriert haben. Sofern die Existenzsicherung der rund 8.000 in Köln lebenden Künstler*innen aus Kunst, Musik, Tanz, Theater und Literatur 2021 noch einmal ausgeweitet werden sollte, wäre ein pragmatischer und realistischer Weg, dies mehr oder weniger automatisiert über die Agentur für Arbeit oder eine externe Struktur abzuwickeln. Eine Kommune kann dies finanziell gar nicht leisten.

Wie groß muss man sich ihren Ar­beits­bereich, ihr Referat, vorstellen?

Mit drei Stellen sind wir unter meiner Leitung zuständig für die gesamte freie Kunst- und Literaturszene der Stadt, die rund 1000 Küns­tler*innen, 600 Autor*innen, zahlreiche Veranstalter*innen und Räume umfasst, mit einem Gesamt­budget von rund 510.000 Euro im Bereich der Projektförderung und 330.000 Euro in der Förderung von Institutionen. Wir sind jedes Jahr zuständig für etwa 25 Preise und Stipendien sowie öffentliche Ausschreibungen, für die Verwaltung von rund 130 Ateliers, deren In­stand­haltung, flankierende Atelierförderinstrumente, einen kleinen Kunstankaufsetat und Sonderprojekte wie das Zwischennutzungskonzept für den Ebertplatz.


Der öffentliche Raum gewinnt an Relevanz. Raus aus dem »White Cube«, rein in die Stadt?

Am Ebertplatz haben wir seit Mitte 2018 noch mehr Projekte nach Außen verlegt — als Weg rein in die Gesellschaft, die sich im besten Fall auf städtischen Plätzen trifft, versammelt und austauscht. Kunst und Kreativität brauchten dort bisher keine Wände einer Kunsthalle — eines »White Cubes«. Dass das »Interim Ebertplatz« ein Modellprojekt und bisher ein Erfolg ist, zeigen der Zuspruch und die Beteiligung, aber auch das Interesse von vielen Hoch­schulen, die Nominierung für den Polis Award, auch die Wertschätzung von etablierten Organisationen wie der Stiftung Baukultur. Ähnlich sieht es der Kölner Stadtrat, der jüngst am 5. Februar eine Fortsetzung der Zwischennutzung beschlossen hat.


Köln ist seit den 50er / 60er Jahren Produktionsstätte für Künstler*in­nen, doch steht die Stadt heute in Konkurrenz zu Düsseldorf. Durch Corona fallen Einnahmequellen weg, Künstler*innen reklamieren zudem einen Mangel an Ateliers. Sind hierfür Lösungen in Planung?

Viele Absolvent*innen der Kunsthochschulen Düsseldorf und Braun­schweig oder Münster wollen nach ihrem Abschluss nach Köln ziehen. Über die Anzahl an Atelierbewerbungen können wir uns nicht beschweren, und eine Konkurrenz zu Düsseldorf sehe ich da nicht. Köln ist meiner Ansicht nach besonders gut für eine bestimmte Berufsphase von Bildenden Künstler*innen, in der sie beispielsweise in den freien Kunsträumen ihre ersten Einzelausstellungen präsentieren. Die Mehrzahl findet eigenständig Ate­liers und beantragt vereinzelt bei uns Ausbau- oder Mietzuschüsse. Die rund 130 städtischen Ateliers, davon 58 mit befristeten Gewerbeverträgen, belegen wir mit ausgewählten Künstler*innen und lassen uns durch einen Beirat bei dieser Auswahl beraten. Etwa die Hälfte der Bewerber*innen erhält ein positives Votum. Bei begrenzten Förder­ressourcen brauchen die Küns­tler*in­­nen, die sich bei uns bewerben, die Sicherheit, dass wir sie gleichberechtigt behandeln und jeder potentiell eine Chance hat, eine mehrjährige Atelierförderung zu bekommen. Das heißt: Will man gerecht sein, muss es irgendwann eine Fluktuation geben. Mit viel Eigeninitiative seitens der Künstlerschaft kommen wir eher zum Ziel. Und das Ziel lautet, möglichst viele Räume zu Atelier- und Kreativräumen umzugestalten, so der Bedarf anhält. Noch Gestern habe ich mir potentielle Räume in einem privaten Bürogebäude angeschaut, die ich hoffe, an Künstler*innen ver­mitteln zu können. Außerdem haben wir zwei städtische Immobilien im Auge, die als Ateliers und Wohnateliers perspektivisch genutzt werden könnten. Auf dem Gelände der Simultanhalle werden ergänzende Atelierneubauten entstehen und auch eine Halle, die für Kunst und Kultur nutzbar sein wird — architek­tonisch vielleicht in Anlehnung an die Formensprache der Simultanhalle.


Haben Sie abschließend einen Tipp, welche Kunstorte wir trotz Corona bald besuchen könnten?

Ja klar, ab etwa Ende März installieren wir ein 50 Meter breites LED-Display entlang der großen Waschbeton-Balustrade auf dem Ebertplatz, auf dem dann Texte von Autor*innen und von einigen Künstler*innen zu lesen sein werden. Die Kölner Literatur­ver­anstalter*innen haben im Dezember eine Ausschreibung lanciert und fast 600 Einsendungen erhalten. Daraus wurden 35 Beiträge ausgewählt, zu Textprogrammen zusammengestellt. Wir werden sie dort für mehrere Wochen als Lauftext präsentieren. »Transit — vorübergehende Literatur am Ebertplatz« ist ein guter Anlass für Ihren nächsten Spaziergang!