Malen mit der Kamera

Die Videokünstlerin Gudrun Barenbrock hat den Wettbewerb Update Cologne #04 gewonnen

Womit beginnen bei dem riesigen Videoarchiv von Gudrun Barenbrock? Wir entscheiden uns für den »Bildersturm«: Mehr als 2.000 unterschiedliche Einzelbilder hat die Kölner Medienkünstlerin für die knapp dreiminütige Sequenz montiert und mit dem Hackgeräusch eines Lochkartenstanzers unterlegt. Im zweiten Teil des Minifilms ziehen schwarzweiße, fast abstrahierte Landschaften vorbei, die während der Fahrt mit der transsibirischen Eisenbahn entstanden und mit ihren vertikalen Verschiebungen die Bewegung des Zuges aufnehmen.

Gudrun Barenbrock ist äußerst wissbegierig. Sie liest und reist viel, ihre kleine Canon G5-Kamera hat sie immer dabei. Die stellt sie mal in ein geöffnetes Zugfenster, mal befestigt sie sie an der Fahrradnabe und rollt neben dem Autoverkehr her. Sie lässt sie im Kanu auf dem Amazonas mitlaufen und taucht sie in den Fluss, um dessen bizarre Wasserpflanzen für »scanning a river« bildlich einzufangen. Barenbrocks Motive entstammen der Wirklichkeit, sie werden nicht am Computer generiert. Erst später schneidet sie die digitalen Bilder von Natur- und Technikphänomenen rhythmisch über- und gegeneinander. Verfremdet sie, kehrt Lichtverhältnisse um, lässt schwarze Rahmungen über die Bewegtbilder laufen.

Für den Ton kommen Klang­künstler*innen ins Spiel, mit denen die Malerin, die schon seit Jahren keinen Pinsel mehr benutzt, kooperiert. Als sie nach Abschluss ihres Studiums an der Kunstakademie Münster als Meisterschülerin von Ulrich Erben und einem DAAD-Stipendium in London 1994 nach Köln zog, kam sie als erstes mit der Szene der Neuen und Improvisierten Musik in Kontakt. Im Nachhinein kein Zufall, meint sie. Eher würde sie ihre Videos ohne Ton laufen lassen, als auf »Sound aus der Dose« zurückzugreifen.

Die Liste ihrer internationalen Stipendien und Ausstellungen ist beeindruckend: Japan, Indien, Kolumbien, USA, Algerien, Korea, Athen, Amsterdam, Eindhoven finden sich hier — unter anderem. In den USA hatte sie zwei prägende Arbeitsaufenthalte und ist noch heute begeistert von den neutralen Bewerbungsverfahren dort: Weder das Alter noch Geschlecht von Küns­tler*innen spielten eine Rolle, einzig die Qualität ihrer Arbeit. Undenkbar in Deutschland, wo man im Zuge des Hypes um junge Hochschulabsolvent*innen ab Mitte Dreißig vergleichsweise wenig Chancen auf Förderung und Durchbruch hat. Kein Wunder, dass Barenbrock ihr Alter heute konsequent verschweigt.

Umso erfreulicher, dass sie nun die vierte Preisträgerin von Update Cologne geworden ist. Die Ausstellungsreihe mit offener Ausschreibung richtet sich ausdrücklich an in Köln lebende Künstler*innen mit fortgeschrittener Karriere, deren aktuelle Arbeiten in Köln und dem Rheinland selten in einem größeren Rahmen zu sehen waren — wobei die Qualität des Werks das entscheidende Kriterium bleibt. Einige Jurymitglieder kannten Gudrun Barenbrock als Kuratorin in der Ausstellungshalle »neues kunstforum e.V.« am Alteburger Wall. Ihr wichtigstes Projekt dort war 2015 eine interdisziplinäre, multimediale Installation zum 200. Geburtstag der englischen Mathematikerin Ada Lovelace. Die Tochter des englischen Romantikers Lord Byron hatte mit der Beschreibung einer mechanischen Rechenmaschine den ersten Computer antizipiert; auch dank Barenbrocks Einsatz wurde sie endlich gebührend als erste Programmiererin der Weltgeschichte gewürdigt. Dass der Verein seine ambitionierten Ausstellungsaktivitäten mit künstlerischen Positionen aus aller Welt im Atelierhaus 2016 beenden musste, bedauert Barenbrock noch immer. Denn mit der großen Halle sei ein erstklassiger Ausstellungsort für die freie Kunstszene verloren gegangen.

Das ist jetzt Geschichte, in ihrem Atelier in den Deutzer Kunstwerken entstehen bereits neue Projekte. Gerade entwickelt Barenbrock für ihre Preisträgerausstellung in den luxuriös weitläufigen Räumen der Michael Horbach Stiftung eine groß­formatige Mehr-Kanal-Installation. Den Sound steuern die beiden Klangkünstler Udo Moll und Klaus Osterwald bei. In die Projektion auf den vier Meter hohen Wänden fließt auch Barenbrocks Textvideo »Beyond/Dahinter« mit Fragmenten aus Mary ­Shelleys »Frankenstein oder der moderne Prometheus« und ihren Tagebuchaufzeichnungen ein. Mary Shelley, auch so eine kluge Frau mit viel Phantasie, auf die Barenbrock sich bezieht, erdachte das Monster 1816 in einer Nacht in den Schweizer Alpen. Dort hatten sie mit Freunden und ihrem späteren Ehemann beschlossen, jeweils eine Schauergeschichte zu schreiben und den anderen vorzutragen. Wegen extrem schlechten Wetters konnte die Dichter-Clique das Haus kaum verlassen. Das Jahr 1816, so Barenbrock, sei aufgrund des Ausbruchs des Vulkans Tambora in Indonesien als »das Jahr ohne Sommer« in die Geschichte eingegangen. Es löste große Missernten, Hungersnöte und Preissteigerungen aus. Diese Erinnerung an das Katastrophenjahr sei eine traurige, aber zumindest damals wohl auch inspirierende Fußnote zu der pandemischen Grundstimmung dieser Tage.

Trotz der anhaltenden Sorge um pandemiebedingte Einschränkungen blickt Gudrun Barenbrock mit Enthusiasmus auf ihre Ausstellung: »Das ist das Tolle, das man einen Raum schaffen kann, in dem man die Orientierung verliert. Meine Arbeit lebt vom Raum. Ich möchte, dass man davon umfangen ist.« Wie gut, dass bald wieder Rheinlän­der*in­nen eine von Barenbrocks raumgreifenden ­Installationen in situ erleben ­können, ohne dafür weit reisen zu müssen.

Michael Horbach Stiftung, Wormser Straße 23
Öffnungszeiten (entsprechend der dann gültigen Bestimmungen) jeweils Mi, Fr, So 18-22 Uhr, 21.3. (ab 18 Uhr) bis 18.4.
Finissage mit Präsentation der ­Publikation So 18.4., 18 Uhr
Im Falle verlängerten Lockwowns Einzelvereinbarungen unter 0177 / 681 63 90, info@gudrunbarenbrock.de