Feedbackschleife: Wer performt seine Emotionen am besten?, Foto: Thomas Rabsch

Die Theatermaschine

Immer mehr Theater spielen mit den Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz. Wie verändern die Algorithmen das Theater?

»Weil Theater Verhalten voraussagte, lange bevor Algorithmen existierten« — so die Antwort des Rimini-Protokoll-Begründers ­Stefan Kaegi auf die Frage »Why theatre?« im gleichnamigen Band.

Das Theater also als Maschine, die Logiken verkettet und so absichtsvoll Affekte hervorbringt? Das künstlerische Genie ist längst vom Thron gestoßen, doch spukt es noch durch das Kunstverständnis im Theater und blickt skeptisch auf die Automatisierung. Das bürgerliche Selbstverständnis sieht das künstlerische Individuum als Original, als Ganzheit, weit entfernt von einem reproduzierbaren Massenprodukt. Doch längst sind Computer und Algorithmen in die Theaterwelt eingezogen: auf der Bühne, dahinter oder als strukturierende Elemente unserer Wirklichkeit.

Mensch-Maschine-Interak­­­tio­nen, wie sie tagtäglich unser Le­ben bestimmen, abee dennoch im Hintergrund laufen, wollte Martin Grün­heit auf die Bühne des Düsseldorfer Schauspiels bringen. Die Pandemie brachte das Projekt zunächst zum Erliegen. Der kybernetische Versuchsaufbau steht aber schon: »Spie­ler*innen kommunizieren mit einer Künstlichen Intel­ligenz, indem sie Emotionen spielen. Die Maschine beobachtet, bewertet das und rea­giert darauf«, erklärt der Regisseur.

Sie wirft Zahlen aus, die anzeigen, wie nah der Mensch an der Emotion dran ist. »Das setzt dann eine Feedbackschleife in Gang, weil der Mensch noch näher dran sein will, sich dann noch mehr Mühe geben will oder sich eben verweigert«, sagt Grünheit. Die Emotionen könnten dann an Musik und Licht gekoppelt sein. Auch die Regungen des Publikums wollte das Team in einer präpandemischen Version in das komplexe System einspeisen. Das Projekt »Regie: KI« thematisiert die ständige Beobachtung durch die selbstlernenden Maschinen, deren Rückmeldungen wir nicht entrinnen können.

Wenn die Maschine plötzlich die Regie übernimmt und das Bühnenspiel steuert, ändern sich auch die Machtverhältnisse im Theater. Das analysierte der Intermedialitäts­forscher Ulf Otto in dem von ihm 2020 herausgegebenen Sammelband »Algorithmen des Theaters« anhand des Stücks »Algorithmen« (2014) von Turbo Pascal. Die Zuschauer*innen werden im Stück nach Merkmalen sortiert: Dort die Frauen mit Schal, dort die Herren mit Brille. Ein mentaler Widerstand gegen die Objektifizierung bemerkte Ulf Otto bei sich selbst. Doch der verflog, als alles immer unterhaltsamer wurde. Sich zu weigern hätte bedeutet, den Spaß zu versäumen. »Diese Art von Macht zwingt und unterdrückt nicht, sie aktiviert, motiviert und optimiert. Sie be­fiehlt nicht zu verstummen, sondern verführt zum Enthüllen.« Im Vergleich zum Regietheater, das er in Anlehnung an Michel Foucault ein Theater der Disziplin nennt, handele es sich bei dem Theater, das algorithmische Logiken imitiere und mit ihnen spiele, um ein Theater der Kontrolle. Während der Regisseur im Regietheater die Körper der Schauspieler*innen anordnet, im Raum bewegt, den Zu­schauer*in­nen höchste Disziplin abverlangt, verändert das Theater der Algorithmen die Bezüge. Gegenseitige Kontrolle entsteht durch die Lust, Teil zu sein und nicht durch den verinnerlichten Regisseur. Macht werde durch ständige gegenseitige Anpassung und Kontrolle ­dessen, was Menschen wahrnehmen und erfahren, bis sie selbst begehren würden, was von ihnen verlangt werde.

Die von Turbo Pascal nachgebildeten Sozialen Medien und ihre algorithmischen Welten, werden im Lockdown manchmal zu virtuellen Theaterspielstätten, in denen Produktionen »zur Untermiete ein­ziehen«, wie Clara Ehrenwert von machina eX ihr Verhältnis zum Messanger Telegramm bezeichnete. Theater findet nun unter anderem auf Twitter, Instagram, oder auf der zu Amazon gehörenden Gaming-Plattform Twitch statt. Doch wie beeinflussen die Algorithmen dieser Plattformen, die das User-Verhalten permanent vermessen, das digitale Theater? Die Sozialen Netzwerke basieren auf Beteiligung. Aus passiven Theaterzuschauer*innen werden aktive Spieler*innen. Damit verändern sich die Stoffe und die Plots. Und die Lust, sich im Spiel zu zeigen, optimiert stets die Algorithmen der kommerziellen Anbieter.

In Düsseldorf hat sich Martin Grünheit bewusst entscheiden, keinen Algorithmus eines Konzerns zu nutzen. »Wir haben die KI anhand der Emotionen der Spieler*innen trainiert. Da steckt ein utopisches Moment drin, eine Art Ermächtigung gegenüber der Technik.« ­Dennoch zeigt sich die Ambivalenz: Das Produktionsteam hat die Kontrolle über die Trainingsdaten. »In die KI reinschauen können wir nicht.« Wie sich dort Trauer abbildet steckt in einer Art Blackbox. Der selbstlernende Algorithmus bildet Synapsen in seinem neuronalen Netz aus, die nur noch für wenige Expert*innen entschlüsselbar sind. Die Aneignung ist immer begrenzt. Doch das Unbekannte hat auch seinen Reiz.

Die Integration von Algorithmen in den künstlerischen Prozess verändert die Räumlichkeit, die Machtstrukturen und rührt an den Kunstbegriff des Theaters. Aber ein Theater als enthobener Ort, jenseits maschineller Logiken, hat es wahrscheinlich noch nie gegeben.