Fordern Gesundheitsschutz und Bildungsgerechtigkeit: Nathalie Binz und Elisabeth Linge von der Stadtschulpflegschaft

»Die soziale Unge­rech­tig­keit nicht zuspitzen«

Die Stadtschulpflegschaft fordert Luftfilter für alle Schulen und Kitas

Sie unterstützen eine Petition, die von der Stadt den Einsatz von mobilen Luftfiltergeräten in allen Schul- und Kita-Räumen fordert. Warum ist das so wichtig?

Elisabeth Linge: Mittlerweile erlaubt die Stadt die private Anschaffung von Luftreinigern mit HEPA 13 oder 14 Filter, vorher hatte sie das offiziell verboten. Aufstellen, Haftung, Wartung und Betrieb ist Aufgabe der Eltern. Aber wie soll das geschehen? Eltern sollen die Gebäude nicht betreten.

Nathalie Binz: Diese Regelung ist außerdem problematisch, weil so nur Kindern aus finanzstarken Familien die Chance auf besseren Gesundheitsschutz gegeben wird. Als Stadtschulpflegschaft finden wir es absolut entscheidend, dass diese Filter in allen Schulen und Kitas angeschafft werden, damit die vorhandene soziale Ungerechtigkeit sich nicht noch zuspitzt.

Die Stadt kommt ihrer sozialen ­Verantwortung nicht nach?

Linge: Wenn Fördervereine und Elterninitiativen spenden, dann wird es so sein, dass Schulen in bildungsbürgerlich geprägten Vierteln mit mobilen Luftfiltern ausgestattet werden und andere nicht. Zugespitzt heißt das: Kinder in der Innenstadt bekommen Luftfilter, in Vingst nicht. Da sehen wir die Stadt in der Verantwortung, dazwischen zu grätschen!

Binz: In den privilegierteren Vierteln gäbe es dann nicht nur einen verbesserten Gesundheitsschutz, sondern einmal mehr bessere Bildungschancen. Durch das Aufstellen von Luftfiltern werden weniger Infektionen und dadurch weniger Quarantäne-Fälle an Schulen erwartet. Diese Kinder bekämen mehr Unterricht als die anderen.

Linge: Die Ungerechtigkeiten summieren sich. Durch Corona wird wie im Brennglas sichtbar, in welch unterschiedlichen Lebenswelten unsere Kinder und Jugendlichen aufwachsen. Es gibt die Kinder, die im großen Haus mit Garten wohnen und einen privaten Nachhilfelehrer haben, und die Kinder in kleinen Wohnungen ohne eigenen Schreibtisch oder Endgerät. Aus finanziellen Gründen können sie nicht jeden Tag eine neue FFP2-Maske tragen, sondern nur eine Alltagsmaske, die sie selbst nicht schützt. Diese Kinder sind doppelt und dreifach benachteiligt! Das dürfen wir und vor allem die Stadt nicht zu­lassen!

Wenn mobile Luftfilter eine so wichtige Maßnahme sind, warum geht das in Köln nicht voran?

Binz: Die Stadt meint, eine eigene Studie in Auftrag geben zu müssen, obwohl mehrere wissenschaftlich anerkannte Studien vorliegen, die besagen, dass die Virenlast um bis zu 90 Prozent reduziert wird. Dadurch geht kostbare Zeit verloren, die wir mit Blick auf die dritte Welle nicht haben. Das Thema ist bereits im Sommer von Elterninitiativen an die Stadt herangetragen worden, da hätte man die Studie starten müssen. Die Stadt hat mitgeteilt, dass sie selbst bei einem positiven Fazit nicht alle 5000 Klassenräume damit ausstatten will. Es sieht so aus, als sei das finanziell getrieben und kurzfristig gedacht. Diese Luftfilter sind ja nicht nur für die Pandemie hilfreich, sondern haben einen nachhaltigen Nutzen. Sie filtern viele Viren, Bakterien, Feinstaub oder Pollen. Damit könnte man Krankheitsübertragungen dauerhaft reduzieren! Der Wirtschaft wäre auch geholfen. Allergiker haben seit mehreren Jahren solche Filter zuhause. Warum tun wir das nicht für unsere Kinder?

Den Kindern fehlt die Lobby.

Binz: Seit Beginn der Pandemie stehen Kinder nicht im Fokus. In die Wirtschaft sind sofort massive staatliche Subventionen geflossen, zum Beispiel indirekt in Flugzeuge, die auch mit mobilen Luftfiltern ausgestattet sind. Warum fließt das gleiche Geld nicht in die Klassenräume? Das müsste vom Bund gefördert werden. Für Köln sehe ich die Krux darin, dass der politische Wille fehlt, Geld für etwas in die Hand zu nehmen, wovon das Gesundheitsamt nicht überzeugt scheint. Dort setzt man primär auf natürliches Lüften. Interessant ist, dass etwa der Landtag mobile Luftfilter angeschafft hat.

Wie viele mobile Luftfilter hat die Stadt bislang besorgt?

Binz: Über Fördermittel des Landes, die laut Stadt für nicht oder schlecht belüftbare Räume gelten, sind ca. 80 Luftfilter angeschafft worden. Aus städtischen Mitteln noch ca. 20 für die Studie. Ich frage mich: Wie kann es sein, dass es in unserer Stadt überhaupt nicht belüftbare Klassenzimmer gibt oder gab? Natürliches Lüften war auch vor der Pandemie angesagt!

Linge: Es muss erst zu dieser Pandemie kommen, um — wie kürzlich in den Sommerferien — Geld für die Reparatur von 1000 Fenstergriffen in die Hand zu nehmen. Ich möchte jetzt gar nicht Einzelnen oder der Stadt politischen Unwillen unterstellen. Ich glaube, es ist eher eine systemische Trägheit. Wenn wir von Gesundheitsschutz sprechen, müssen wir auch die psychosoziale Versorgung der Kinder und Jugendlichen in den Blick nehmen. Da gibt es eine Notlage mit massiven gesundheitsgefährdenden Folgen.

An was denken Sie da?

Linge: Wir hören von Gewalt in Familien, von Kindern, die sich schneiden, magersüchtig werden oder zunehmen. Bewegungsmangel ist ein Riesenproblem. Da sprechen wir nicht nur von sozial Benachteiligten, sondern auch von Wohlstandsverwahrlosung. Von Süchten, die auftreten, um all das zu kompensieren, was gerade wegfällt. Die Stadt Köln als kinderfreundliche Kommune muss kreativ werden! Wir müssen die Kids, die auf dem Sofa eingeschlafen sind, aufwecken! All die Künst­ler*innen, Student*innen, Trai­ner*innen, die gerade zu Hause sitzen, könnten z. B. Sportangebote in den Parks machen. Die Stadt könnte mit wenig Mitteln viel erreichen und die Kinderrechte, die aus dem Blick geraten sind, stärken.

Die Online-Petition kann unterstützt werden auf:
openpetition.de/!luftfilterkoeln