Blick in den Maschinenraum: Projektor des Filmclub 813, Foto: Thomas Schäkel / Stadtrevue

Der große Graben

Im Konflikt zwischen Kölnischem Kunst­verein und seinem Unter­mieter Film­club 813 ist eine neue Eskalations­stufe erreicht. Wie konnte es zur Räumungs­klage kommen — und was nun?

Der Name des Gebäudes »Die Brücke« am Neumarkt kommt nicht von ungefähr. Zu Beginn der 1950er-Jahre konzipierte der Architekt Wilhelm Riphahn einen Ort der Verständigung und des Aufeinanderzugehens. Das British Council lebte dort folgerichtig den kulturellen Brückenschlag zwischen Deutschen und dem ehemaligen Kriegsgegner vor.

Die Architektur lud ein zum Dialog: Bibliothek, Kino-, Theater- und Lesesaal sind in den verzweigten Bau integriert. 2001 der Auszug der Briten, daraufhin neue Pläne. Man griff ursprüngliche Ideen wieder auf und legte alte Materialien frei. Zugleich wurde modernisiert und Räumlichkeiten teils mit anderen Funktionen versehen. Durch den Einzug des Kölnischen Kunstvereins (KKV) als neuem Hauptmieter benötigte man ab 2004 Platz für Ausstellungen. Dabei machte sich der KKV selbst um Rück- und Umbaumaßnahmen verdient —  im Sinne einer allumfassenden und interdisziplinären Nutzung der »Brücke«

Der schmucke Saal beim Eingangsbereich in der Hahnenstraße dient nach wie vor als Kino. Seit 1995 macht der Filmclub 813 hier Programm. Dieser Verein passionierter Cineasten mit etwa 60 Mitgliedern ist für sein Engagement in Sachen Filmkultur über die Stadtgrenzen hinaus bekannt — so wie der seit 1839 bestehende KKV mit über 2000 Mitgliedern leistet er auf seinem Gebiet unschätzbare Arbeit. Klingt nach einer günstigen Konstellation.

Die langjährige zweite Filmclub-Vorsitzende Elena Wegner wird jedoch wehmütig, als sie von der »glücklichen Zeit der Ko-Existenz« mit dem British Council schwärmt. Die endete 2001. Damals übernahm der Filmclub 813 das Inventar und bespielt den Saal jetzt schon  20 Jahre in Eigenregie — seit 2004 als Untermieter des KKV. Im Februar dieses Jahres hat der Kunstverein eine Räumungsklage gegen den Filmclub angestrengt. Als Konsequenz der fristlosen und außerordentlichen Kündigung vom Oktober 2020. Die Stadtrevue berichtete zuletzt unter dem Titel »Verein vs. Verein« über den schwelenden Konflikt, der seitdem noch weiter eskaliert ist.

Anfang Februar kam eine Presseerklärung des Filmclubs. Schon die Kündigung sei ohne Zustimmung der Stadt erfolgt, heißt es da. Das Kulturamt habe seine Vermittlung angeboten, dazu sei es aber nicht mehr gekommen. Der Filmclub zeige sich »überrascht« von der Räumungsklage. Derweil betont die Stadt, einer Kündigung nicht zustimmen zu müssen. Und hält ihr Angebot in einem eigenen Statement aufrecht: Ihr seien »die kulturellen Angebote beider Institutionen wichtig«. Sie stehe »mit beiden Vereinen in Kontakt« und unterstütze diese »bei der Lösungsfindung«. Aber wo genau liegt eigentlich das Problem?

Zeit für einen Ortstermin. Die Weitläufigkeit der »Brücke« sorgt während der Pandemie für den nötigen Abstand. Der langjährige Filmclub-813-Vorsitzende Bernhard Marsch und der KKV-Vorstandsvorsitzende Thomas Waldschmidt müssen sich nicht mal über den Weg laufen. Das Gespräch mit Marsch und Wegner findet nach kurzem Abstecher zum Vorführraum im Kinosaal statt, die Unterhaltung mit Waldschmidt geht ein Stockwerk höher im Theatersaal über die Bühne.

Jährlich über 150 Filme zeigt der Filmclub in normalen Zeiten. Wenn man von der gegenüberliegenden Straßenseite die Fassade der »Brücke« betrachtet, deutet aber nur noch wenig auf das Kino hin. Der Schriftzug an der Front verrät lediglich, dass dort der Kölnische Kunstverein residiert. Man muss näher ran, um die Schaukästen mit Filmplakaten und Kino-Programmhinweisen zu entdecken. In den Vorführraum gelangt man durch eine schwere Eisentür unweit des Haupteingangs. Es fühlt sich an, als klettere man über die Wendeltreppe in die Spitze eines Leuchtturms und zugleich kommt es einem vor, als steige man runter in den Keller. So gelangt man in die Herzkammer des Filmclubs.

Zwei Projektoren, die aus den Beständen des AKI-Kinos im Frankfurter Hauptbahnhof stammen, nehmen den meisten Platz ein. Sie wirken wie historische Relikte. Aber Museumsstücke sind es nicht, ermöglichen sie doch weiterhin analoge 35mm-Filmvorführungen. »Wir wollen einfach Kino machen«, wird Elena Wegner nachher sagen. Nebenan befindet sich ein zweiter Raum: das Büro des Filmclubs, das dieser aber seit Juli 2020 nicht mehr als solches nutzen darf.

Dieses Verbot hängt auch mit baulichen Eigenarten der »Brücke« zusammen — und wie sich deren Mieter darin eingerichtet haben. Manche Gegebenheit im Haus wirkt ähnlich charmant wie Wegners Aussage über das Kinomachen. Unter anderem befindet sich im Vorführraum ein Schacht, durch den man im Notfall über eine Rutschstange zurück ins Erdgeschoss gelangt. Stichwort Brandschutz.

Mit den Projektionsmaschinen und diesem ungewöhnlichen Fluchtweg steht auch die Frage im Raum, ob Köln etwas Einzigartiges verloren geht, falls die Räumungsklage des Kölnischen Kunstvereins Erfolg hat. Wem die archaischen Geräte gehören? Das scheint umstritten. Klar ist: Das Kino unterliegt zwar wie der Rest des Gebäudes dem Denkmalschutz, die Programmmacher*innen tun es nicht — und kulturelle Orte bestehen eben nicht nur aus Design und Automaten, sondern aus Menschen, die sie schaffen. Zumindest einer von ihnen ist nun derart die Schusslinie geraten, dass er selbst zum Grund der juristischen Auseinandersetzung erklärt wird. In der Räumungsklage durch den KKV heißt es: »Das Verhältnis der Parteien ist seit Jahren schwierig. Grund hierfür ist die Persönlichkeit des Beklagten Bernhard Marsch.«

Bernhard Marsch ist Gründungsmitglied des Filmclub 813. Er macht kein Hehl daraus, dass er die Existenz des Kinos an Ort und Stelle als sein »Lebenswerk« betrachtet. Nach eigener Aussage war Marsch derjenige, der beim Abschied des British Council die Gunst der Stunde nutzte. Mit dem Kauf von Mobiliar und Technik zu »einem symbolischen Preis« habe er den Fortbestand des Kinos gesichert, erklärt er. Nachdem kurzzeitig die Zukunft der »Brücke« in den Sternen stand, dürfen aufgrund eines Ratsbeschlusses von 2004 sowohl KKV als auch Filmclub das Gebäude 30 Jahre mietfrei nutzen.

Um noch einmal die aktuelle Erklärung der Stadt zu zitieren: »In den zwischen der Stadt Köln und dem Kölnischem Kunstverein abzuschließenden Mietvertrag war aufzunehmen, dass dem Filmclub 813, ebenfalls bereits Mitbenutzer der Liegenschaft, der Filmsaal und ein Büro/Archivraum zur Mitbenutzung zu überlassen sei.« Zu den Regelungen dieses Vertrags gehört auch: Sämtliche Betriebskosten muss der Hauptmieter KKV zahlen, das Kulturamt übernimmt den Anteil des Filmclubs. Soweit der Deal zum Wohle der Kultur, von dem alle profitieren sollten.

»Wir hätten lieber einen eigenen Vertrag gehabt, aber das ließ sich nicht durchsetzen«, erklärt Marsch. Schon früh ergaben sich Reibereien. Zusätzlich zum Ratsbeschluss sollte schließlich ein Untermietvertag her. Der regelt nun seit 2011 das Innenverhältnis zwischen den Nachbarn. Sieben Jahre habe es gedauert, bis es zum Entwurf eines für beide Seiten akzeptablen Papiers kam. »Der damalige Leiter des Kulturamts Konrad Schmidt-Werthern hatte die Faxen dicke und hat persönlich einen Vertrag entworfen« so Marsch.

Darin ist etwa festgeschrieben, dass der Filmclub ein Vorrecht besitzt, nach 19 Uhr den Kinosaal zu bespielen. Als der einstige Kunstvereinsdirektor Moritz Wesseler auf die Idee kam, dort jeden Tag bis 18 Uhr Videoschleifen zu zeigen, war das also sein gutes Recht. Doch lässt auch die Saalnutzung Spielraum für Zoff, da der KKV laut Marsch bei Drittvermietungen verpflichtet sei, dem Filmclub für die Benutzung der Kino-Technik ein »Salär« zu zahlen — und das stets ignoriert habe. Überhaupt geht es in dem ganzen Streit viel um Vorrechte und Finanzen.

»Es stört mich, wenn es heißt ›Der arme Filmclub und der reiche Kunstverein‹«, erklärt Thomas Waldschmidt, Vorstandsvorsitzender des Kölnischen Kunstvereins. »Die Stadt Köln fördert den Kunstverein mit viel Geld — jährlich 150.000 Euro. Aber unser Haushalt beträgt 700.000. Den Rest stellen wir selber auf die Beine, arbeiten mit Stiftungen und Sponsoren. Für uns ist es sehr wichtig, Vermietungen vorzunehmen.« Waldschmidt kommt auf den mangelhaften Brandschutz zu sprechen. Durch ihn sei die Möglichkeit der Drittvermietung des kompletten Hauses eingeschränkt, während der Zugriff des KKV aufs Kino auch mal nach »Gutdünken« des Filmclubs verhindert werde.

Nachvollziehbar rechnet Waldschmidt vor, dass durch weniger Vermietungen, gesteigerte Betriebskosten und stagnierende Abschlagszahlungen vom Kulturamt ein Loch in der KKV-Kasse entstehe. So geriet auch das vertraglich zugesicherte Büro des Filmclubs in den Brennpunkt. Es existiert in dieser Form nur, weil auf Initiative und mit Mitteln des Kulturamts vor vielen Jahren eine Wand zum Vorführraum eingezogen wurde. Allerdings wohl ohne Kenntnis des Liegenschaftsamts oder die erforderliche Baugenehmigung. Aus Sicht des Brandschutzes ist dieser Zustand nicht haltbar — die Lösung eine Hängepartie.

Der Kunstverein bemängelt zudem den bei Vermietungen nicht aus­reichenden Versicherungsschutz für den Kinosaal, vernachlässigte Dokumentationspflichten durch den Filmclub — und dass diesem die Gemeinnützigkeit entzogen wurde.

Mit den Details der Auseinandersetzung ließen sich Bücher füllen. Kapitel für Kapitel voller delikater Anekdoten. Sowohl Thomas Waldschmidt als auch Bernhard Marsch blicken zurück auf eine Historie sporadisch abgehaltener Terminkoordinationsgespräche, gescheiterter Mediationen und gegenseitiger Provokationen im Binnenverhältnis der Institutionen, während beide auf je eigene Weise mit der Stadt hadern. Fazit: Die zerrüttete Beziehung zwischen KKV und Filmclub 813 ist einer strukturell hervorgerufenen Verstimmung geschuldet. Sie wird längst auf persönlicher Ebene ausgetragen und hat mit der Kündigung beziehungsweise der Räumungsklage ihren Höhepunkt erreicht — nach wiederholtem Streit um eine Drittvermietung. Noch ist unklar, wann ein Gericht darüber entscheidet.

Zu allem Überfluss leiden die ­Cineasten unter einer Vereinskrise. Teile eines erst kürzlich neu gewählten Vorstands sind schon zurückgetreten. Die Frage angesichts des schwebenden Verfahrens der Räumungsklage lautet: Spricht Marsch noch für den Verein?  Da besteht offensichtlich eine Menge Klärungsbedarf. Filmreif ist schon gar kein Ausdruck mehr für die Verwicklungen. Andererseits hat der Kunstverein drastische gerichtliche Schritte eingeleitet — ohne Konzept für ein annähernd filmhistorisch relevantes Programm.

Vielleicht muss das Kulturamt die Parteien doch noch mal eindringlich an Wilhelm Riphahns Absichten erinnern: Während sich heute ein tiefer Graben durch »Die Brücke« zieht, hatte der Architekt das Gebäude ja als Stätte des Dialogs entworfen. Ein echtes gemeinsames Projekt von Filmclub 813 und Kölnischem Kunstverein ist in all den Jahren nicht entstanden.