Gärtnern ohne Garten: In der Stadtwohnung kann man graben und pflanzen, Foto: Jennifer Rumbach / Stadtrevue

»Man wird nicht gleich zum Selbstversorger«

Birgit Lahner übers Gärtnern auf dem Fensterbrett

In einer Stadtwohnung hat man wenig Platz und oft keinen Balkon. Kann trotzdem jeder gärtnern?

Gehen wir vom ungünstigsten Fall aus: eine nach Nordwesten ausgerichtete Wohnung, in der man nur drinnen wenig Platz zum Gärtnern hat. Dann kann man noch immer mit Keimsaaten arbeiten. Die wachsen in Gläsern, können innerhalb von Tagen geerntet werden, bevorzugen sogar einen absonnigen Standort. Das geht ohne Erde, ohne Substrat, und bereichert den Speiseplan. Keimsaaten funktionieren — egal, was man ihnen bieten kann.

Welche Voraussetzungen braucht man, wenn man mehr anpflanzen möchte?

Man muss schauen, was baulich machbar ist. In viele Hausfassaden darf man nicht bohren, um Haltesysteme anzubringen. Dann ist man eingeschränkt. Der Unterschied zwischen drinnen und draußen ist prinzipiell bedeutend. Viele Pflanzen verzeihen es nicht, drinnen zu sein, wo sie weniger Licht bekommen.

In Küchen stehen oft Tomaten und Basilikum am Fenster.

Es gibt gute Alternativen zu den Klassikern. Man muss ein bisschen experimentieren, was sich mit den Lichtverhältnissen und Temperaturen verträgt. Das sind meist Pflanzen, die nicht winterhart sind. Gewissermaßen essbare Zimmerpflanzen, die auch Zierwert haben. Zum Beispiel Kaffirlimette. Eine sehr dekorative Pflanze, deren Blätter man in der Küche zum Würzen verwenden kann, oder der Jamaikathymian.

Wie viel Ertrag kann man beim Gärtnern ohne Garten erzielen?

Man wird mit ein paar Töpfen auf dem Fensterbrett nicht gleich zum Selbstversorger. Es geht vielmehr darum, mit dem eigenen Anbau etwas beizusteuern.

In welchem Zeitraum im Jahr ist das möglich?

Man kann Substrat mehrfach im Jahr bepflanzen. Wenn die Nächte noch frostig sind, im Februar oder März, kann man draußen zum Beispiel schon Puffbohnen anbauen. Wenn die abgeerntet sind, arbeitet man die Erde durch und setzt wärmeliebendere Kulturen. Tatsächlich sind Tomaten plus Basilikum eine gute Mischkultur. Im Herbst kann man noch mal neu pflanzen. Asia-Salate sind besonders kältetolerant, die kann man bis in den Winter hinein ernten. Es eignen sich viele verschiedene Misch- und Folgekulturen — meist zwei Kräuter- und Gemüsesorten in bis zu drei Fruchtfolgen.

Hat das Fensterbrett Vorteile gegenüber dem Garten?

Die Stadt ist eine Wärmeinsel. Manche Kulturen gedeihen da besser als auf dem Feld oder im Garten. Auberginen, Paprikas oder Chilis genießen das. Außerdem sind einige Krankheiten an geschützten Standorten seltener, zum Beispiel die Braunfäule. Pflanzen wissen einigen negativen Aspekten der Stadt etwas Positives abzugewinnen.

Wie viel Naturerfahrung kann ein kleines Beet vermitteln?

Ich bin ländlich aufgewachsen und durch mein Studium für einige Jahre in die Stadt gekommen. Ich habe aber das Bedürfnis gehabt, mit Erde zu arbeiten, Einflüsse von Temperatur und Licht auf Pflanzen zu erfahren, wenn etwa der Keimling aus der Erde kommt. Diese kleinen Dinge vergisst man nicht, wenn man auf dem Fensterbrett gärtnert.

Oder man lernt sie dort kennen.

Bei Kindern ist schön zu beobachten, wenn sie das erste Mal Salatblätter ernten oder eine reife Erdbeere. Gerade wenn sie in der Stadt aufwachsen, ist das eine prägende Erfahrung. Viele Menschen kommen auf den Geschmack und eignen sich ein Stückchen Erde im Kleingarten an.

Birgit Lahner studierte Nutzpflanzenwissenschaften an der Universität für Bodenkultur Wien. 2017 erschien ihr Buch »Bio-Gärtnern am Fensterbrett« (Löwenzahn Verlag, 200 S., 24,90 Euro).