Skeptischer Blick in Richtung Gott: Raphaela Edelbauer, Foto: Victoria Herbig

Gott als Maschine

Raphaela Edelbauer ergründet mit »Dave« die Möglichkeiten künstlicher Intelligenz

Mit dem Turmbau zu Babel versuchten die Menschen laut biblischer Erzählung, Gott gleichzukommen. Jener Allmachtsgedanke bewegt sie bis heute. Ihr Weg aus der babylonischen Sprachverwirrung zurück zur einen göttlichen Zunge ist die Sprache der künstlichen Intelligenz: die technische Simulation des Menschen durch algorithmische Codierungen oder die Erhebung des Menschen zum Göttlichen in der Maschine. Raphaela Edelbauer beschreibt in ihrem neuen Roman die Gefahren einer unaufhaltsamen Digitalisierung: »Ein Prozess immer größerer Transzendenz, der das ehedem tote Universum zur Extension des eigenen Verstandes erklärte. Eine finale Apotheose und als deren Abschluss: DAVE.«

»DAVE«, so der Romantitel, ist ein Supercomputer, der die Menschen nach einer angeblichen Katastrophe vor der verwüsteten Außenwelt retten soll. Hermetisch abgeschirmt leben sie in einem Laborgefüge als Klassengesellschaft auf drei Etagen. Je höher ihre Position, desto näher kommen sie der göttlichen Rechenmaschine. Ihr Biorhythmus hat sich dem Verlauf der Datenströme angepasst. Über 4.000 Programmierer arbeiten kontinuierlich am Fortschritt der künstlichen Intelligenz — einer von ihnen ist der 28-jährige Syz. Als dieser in geheimer Mission zum »Subject Zero« erkoren wird, dem die Superintelligenz in »Kopiesitzungen« nachgebildet werden soll, scheint die Verschmelzung von Mensch und Maschine perfekt. Doch schon bald kommen Syz erste Zweifel.

Geschickt führt Edelbauer ihre Romanfiguren immer wieder zur Peripherie des Möglichen, von der aus sie nach dem Unmöglichen fragt: Kann und darf es eine Maschine geben, die Bewusstsein besitzt? Zwischen dem Für und Wider debattieren im Roman »Neoterraner« mit »Transhumanisten«: Während sich die einen der Maschine bemächtigen wollen, um die Erde Richtung Mars zu verlassen, streben die anderen nach absoluter Einheit mit ihr, um als transzendentes All-Bewusstsein unsterblich zu werden.

Dem philosophischen Problem der Zeit widmete sich Edelbauer bereits in ihrem ersten Roman »Das flüssige Land«, der es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises schaffte. Mit »DAVE« gelingt ihr ebenso intelligente wie spannende Science-Fiction, die in Anspielung auf Wittgensteins Bewusstseinsphilosophie und Nietzsches ewiger Wiederkehr des Gleichen nach der Transzendierung des Menschen sowie der Menschlichkeit künstlicher Intelligenz fragt. Die Stärke des Romans besteht jedoch nicht darin, diese existenziellen Fragen zu beantworten, sondern die Leser*in­nen fragend zurückzulassen.

Fr 23.4., Alte Feuerwache, 19.30 Uhr
leseclubfestival.com

Roman
Raphaela Edelbauer: »Dave«
Klett-Cotta, 432 Seiten, 25 Euro