Jenseits von Pop und Ambient

Elektronischer Pop aus Japan genießt hierzulande einen legendären Ruf. Nicht zuletzt weil sie nur schwer zu bekommen ist. Zwei Compilations versprechen Abhilfe

Zig Millionen Klicks auf Youtube, Rekordpreise auf Discogs: Japanisch Experimentalmusik aus den 80er und 90er Jahren erfreut sich im Westen immer größerer Beliebtheit. Die längst verschollenen Aufnahmen von Künstlern an den Rändern der Pop-Genres haben zwei Reissue-Labels auf verschiedenen, doch ähnlichen Compilations dieses Frühjahr für uns zusammengebracht. Es sind ulta-seltene Erstveröffentlichungen, meistens 7-Inch-Singles aus den 70er und 80er Jahren, die bis dato nie außerhalb Japans zu haben waren 

Die beiden Reissue-Compilations überscheiden sich thematisch und versuchen jeweils, Licht ins Dunkel der vergessenen Kapitel japanischer Pop-Geschichte zu bringen. Beide tragen bislang unbekannte Juwelen der Grenzgängern des Pops und früher Elek­tronik zusammen und versuchen, ein breiteres Bild zu zeichnen eines Sounds, der außerhalb Japans lange unbekannt blieb und auch heute noch ein mysteriös-charmantes Etwas in sich trägt.

Die erste der beiden erwähnten Zusammenstellungen ist das bei Light In The Attic erschienene »Somewhere Between: Mutant Pop, Electronic Minimalism & Shadow Sounds of Japan 1980-1988«. Eine 14 Track starke Rundschau durch die Musik der 80er Jahre. Diese Rundschau platziert sich irgendwo zwischen zwei bereits beim gleichen Label erschienen Veröffentlichungen, die sich jeweils den Genres City Pop und Ambient zuwandten, und führt den Weg fort.

Bei Light In The Attic handelt es sich um erfahrene Historiker, die schon die Geschichte von Sixto Rodriguez wieder aufrollten (die sich in der Oscar-prämierten Doku »Searching for Sugar Man verfolgen lässt«). Jetzt widmet man sich also einer dritten japanoiden Kollektion, deren Stücke eher von einer gewissen nebulösen, schattenhaften Energie zusammen gehalten werden, denn von definierbaren Genre-Grenzen. Es sind spannende Experimente zwischen Noise, Avantgarde-Minimalismus und Popmusik, die ab den 80er Jahren auch deshalb erstmals möglich wurden dank der dort lokal hergestellten Synthesizer-Hardware. Der Beginn der sogenannten Heisei-Zeit (1989–2019) war in Japans Geschichte eine ausgesprochen kunst- und musikfreundliche Epoche, in der Independent Labels wie Homeproducern gleichermaßen möglich wurde zu experimentieren, da es nun erschwingliche Studiotechnik zu erstehen gab.

Nach dieser Zeit benannt ist die zweite erwähnte Zusammenstellung »Heisei No Oto: Japanese Left -field Pop From the CD Age 1989-1996«. Unter dem Label des »Left-field Pops« haben die beiden Plattenladenbesitzer aus Osaka Eiji Taniguchi (Revelation Time) und Norio Sato (Rare Groove) zusammen mit einer Handvoll eingeschworener Plattendigger-Kollegen wie Chee Shimizu von Organic Music in die Vergangenheit geschaut und versucht, gerade die Musik zusammenzutragen, die in der besagten Epoche exklusiv in Japan und nur auf CD veröffentlicht wurde. Denn ab 1989 begannen Major Labels auf das neue Medium umzustellen, und Mitte der 90er war die meiste Musik gar nicht mehr anders erhältlich. Diese zweite, breiter aufgestellte Compilation fokussiert den Blick also nicht ganz so eng wie die Nische von Somewhere Between, sondern will die japanische Musiklandschaft im fraglichen Zeitraum umfassender abbilden.

Während Genres wie City Pop, Japans Antwort auf Funk und Disco, mit schwungvollen Licks und betont tanzbaren Rhythmen, und die »environmental music« getaufte Sparte vom Ambient sich jederzeit gut in den Westen transportieren lassen und dort auch ungeachtet kultureller Kluften funktionieren, sind die Stücke auf diesen beiden Compilations ein bisschen schwieriger zu vermitteln. Sie bedürfen genau deshalb der besonderen Zuwendung von Projekten wie Light In The Attic oder auch Music From Memory aus Amsterdam, die für die Hesei No Oto verantwortlich zeichnen.

Zwar findet sich auf beiden Compilations auch manch bereits international gefeierte Künstler wie Haruomi Hosono, der mit seinem Yellow Magic Orchestra bereits früh im Westen Erfolg hatte, gleichzeitig sind es aber hauptsächlich unbekannte Musiker, die sich nie ganz dem für den Pop-Erfolg notwendigen Kanon hingeben wollten.

Zwar singen auch sie mit weichen Stimmen auf Moll-Akkorden, wie es die Major Label zu jener Zeit gerne hatten. Doch klingen Backingtracks eine Spur ernsthafter, die Synths durchdringender, ausgewaschenen und körnig. Und die Rhythmen stammen zumeist von elektronischen Drum-Machines, die dem sogenannten Techno-Pop dieser Zeit ein roboterhaftes, kühles Antlitz verleihen, dessen hier und da stete Kickdrum wie ein Vorläufer des Minimaltechnos wirkt.

Gerade auf Somewhere Between haben viele Stücke einen Hang zum Noise, erinnern gar an Karlheinz Stockhausens Experimente, werden dann jedoch mit typisch japanisch anmutenden Synthpop-Elementen aufgelockert. Anders als zeitgleiche Acts wie Neu!, Can oder Kraftwerk, die sich immer noch anhaltender internationaler Beliebtheit erfreuen, fanden die Künstler dieser Nische, abgesehen von ein paar Ausnahmen, nicht mal in Japan selbst wirklich Beachtung und verschwanden kurz nach ihrem Erscheinen wieder in der Versenkung. Dabei bietet diese Nische nach wie vor einen reichen Schatz an Experimentalismus, von Pop bis Ambient, in dem sich die erstmals unabhängig gewordenen Künstler dank eigener Produktionsmittel und günstiger Selbst-Veröffentlichungsmethoden wie der Kassette unbeschränkt ausprobieren konnten!

Diese neue Technologie schlug sich auch im Klangbild der Pop-Musik nieder. So bedient sich der auf Hesei No Oto zusammengetragene Left-field Pop gleichermaßen der Elemente aus Dance, New Age und früher elektronischer Musik für den Heimgenuss. Highlights der Compilation sind etwa das Spoken-Word-Stück Yeelen, dass mit seiner gesprochenen Meditation über vielschichtiger, mystischer Perkussion hinschwebt, oder das vom japanischen Popstar Yosui Inoue vorgetragene »Pi Po Pa«, das zwar mit funkigen Gitarrenriffs aber gleichzeitig auch wasserfarbenen Synth-Sounds um sich wirbelt.

Oft ist es eine Mischung aus traditionell anmutendenden perkussiven Elementen und experimenteller Elektronik, deren Klang­ästhetik sowohl in die Zukunft wie Vergangenheit blickt. Sie macht den im besten Sinne undefinierbaren Charakter der Compilation aus.

Denn selbst wenn das internationale Interesse an japanischer Musik — sei es Ambient, Jazz, New Wave oder Pop — in den letzten zehn Jahren massiv zugenommen hat, bleibt die Mehrheit dieser Musik nach wie vor ungehört. Dafür ist sie einfach nicht Easy ­Listening genug, fällt zwischen

die Algorhitmen von Spotify und Co. Denn selbst wenn meditative Sounds wie Wasserplätschern und Vogelzwitschern oft das Miso in der Suppe ausmachen, bewahrt sich Japans Left-field stets eine gewisse Portion einzigarter weirdness, die sie erst so richtig interessant macht.

Tonträger:

»Somewhere Between: Mutant Pop, Electronic Minimalism & Shadow Sounds of Japan, 1980–1988« (Light in the Attic/Cargo)

»Heisei No Oto: Japanese Left-field Pop From the CD Age, 1989–1996« (Music From Memory)