»Manhatta«: Seltener Ausblick

UbuWeb

Kenneth Goldsmiths Schattenmediathek strotzt vor kuratorischem Eigensinn

Vor 25 Jahren, als das Internet noch längst keine Goldgrube war, gründete der Dichter und Konzeptkünstler Kenneth Goldsmith eine Website, um Werke verschiedener künstlerischer Avantgarden zu sammeln und kostenlos online zugänglich zu machen: UbuWeb. Der Nameist dem proto-surrealistischen Theaterstück »König Ubu« von Alfred Jarry entlehnt, und es archivierte literarische Texte, bald auch Audiodateien und schließlich Filme. Zwar wird der 1961 geborene Amerikaner bei der Betreuung von ubu.com durch Ehrenamtler*innen unterstützt, doch der Charme der renommierten Schattenmediathek ergibt sich weiterhin daraus, dass ihr Bestand kuratorischen Eigensinn erahnen lässt. Obwohl es ständig mehr Titel werden, ist der Gesamteindruck nicht beliebig — und lädt deshalb zum Stöbern ein.

Dabei finden sich Klassiker wie Marcel Duchamps dadaistischer Kurzfilm »Anémic Cinéma« (1926), die lyrischen Impressionen von Joris Ivens’ »Regen« (1929) und »Die Brücke« (1928) oder Pauls Strands und Charles Sheelers filmische New-York-Hymne »Manhatta« (1921). »A Bronx Morning« (1931) von Jay Leyda oder »In The Street« (1948) von Helen Levitt, James Agee und Janice Loeb bieten indes zauberhafte dokumentarische Eindrücke von Kinderspiel, kleinkrämerischer Geschäftigkeit und müdem Feierabend in der Bronx und Spanish Harlem.

Tendenziell liegt ein Schwerpunkt auf New York, wo Goldsmith geboren wurde. Neben Legenden des Nachkriegs-Experimentalfilms der Stadt wie Jack Smith und Ken Jacobs ist zum Beispiel auch Amos Poe mit einigen punk-affinen Filmen vertreten. Und dem ebenso wilden wie unappetitlichen »Cinema of Transgression« der 1980er und frühen 1990er ist eine eigene kleine Sektion gewidmet. Allerdings werden auch fast alle Filme angeboten, die Godard in seiner maoistischen Phase mit vereinzelten Mitstreitern unter dem Kollektivnamen Dziga Vertov Gruppe drehte, sowie Anti-Filme des vor allem als Theoretiker sehr einflussreichen Guy Debord.

Überhaupt sind viele der gelisteten Namen nicht in erster Linie mit dem Filmmetier assoziiert. Man findet Performancekunst und Videoinstallationen dokumentiert sowie vergleichsweise konventionelle Dokumentarfilme über manchen Kunststar. Dabei variiert die Bildqualität — was mitunter Anlass gibt, woanders eine höher aufgelöste Alternative zu suchen. Doch wenn im Ausnahmefall VHS-Quellen zu erahnen sind, macht das nur umso mehr den Enthusiasmus bewusst, der einst nötig war, um seltene Filme für sich und Gleichgesinnte zu archivieren.

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