Gemeinsam wollen sie es mit den Mythen aufnehmen

»Der nächtliche Besucher«

Streaming-Tipp: Fernando González Molina schließt seine Thriller-Trilogie ab

Falls die Kino-Öffnungen auf sich warten lassen, hier eine weitere Streaming-Alternative: Vor zwanzig Jahren wurden Kassenerfolge aus europäischen Gefilden wie die von Fernando González Molina noch in hiesigen Lichtspieltheatern lanciert. Mittlerweile muss man froh sein, wenn Populärkultur aus Spanien, Frankreich oder Italien auf Plattformen wie Amazon Prime oder sonstwie auf dem Heimmedienmarkt verfügbar ist. Dabei ist González Molina ein bewunderungswürdig altmodischer Regisseur, der eine größtmögliche Zahl an Zuschauer*innen zu erreichen versucht, um ihnen ein paar aufgeklärte Ideen und Beobachtungen mit auf den Weg zu geben.

Und das zu nicht ganz so simplen Themen: In der Teen-Uni-Komödie »Fuga de cerebros« (2009) dreht sich noch alles — heillos überdreht — um Klassendünkel, in dem leger-lichten Melodrama »Drei Meter über dem Himmel« (2010) spitzen sich die Klassengegensätze dann schon zu. Genau wie in dessen melancholischer Fortsetzung »Ich steh auf dich« (2012). Die Familienchronik »Palmen im Schnee: Eine grenzenlose Liebe« (2015) schlägt ein eher obskures Kapitel Kolonialgeschichte auf. Es geht um Spanisch-Guinea, das heutige Äquatorialguinea. Außerdem nimmt sich González Molina der langen Schatten zum Teil Jahrhunderte zurückliegender Zeiten an. In seiner »Invisible Guardian«-Trilogie mit von baskischen Mythen durchwobenen Baztán-Thrillern. Den Anfang machte »Das Tal der toten Mädchen« (2017), den Schlusspunkt setzt »Der nächtliche Besucher« (2020). Darin treibt ein Monster namens Inguma sein Unwesen. Es lässt Menschen in Albträumen erstarren und verhindert, dass sie jemals wieder aufwachen.

Die Filme mögen mal stylish oder flippig daherkommen, sich mal elegant geben, und dann wieder sinister. Aber sie sind bei aller Liebe zum Wuchtigen und zur großen Geste samt poppiger Zuspitzung inszenatorisch von geradezu klassizistischer Bescheidenheit. Entsprechend finden sich Subtilitäten und Ambivalenzen nicht an der Oberfläche. Aber es gibt sie. »Palmen im Schnee« prangert nicht einfach Kolonialismus an, sondern legt dar, was diese Gewaltherrschaft mit den Menschen auf beiden Seiten macht — auf wie vielen Ebenen es ein Mit- und ein Gegeneinander gibt. In der Trilogie kristallisiert sich allmählich heraus, dass das eigentliche Thema nicht die ETA ist. Auch nicht Opus Dei, das hier eine ausgesprochen undurchsichtige Rolle spielt. Es geht um patriarchale Strukturen, wahrgenommen als Mythen. Doch wie Fernando González Molina zeigt: Dass es den mythischen Basajaun tatsächlich gibt, berührt nicht die Veränderbarkeit der Dinge.

(Ofrenda a la tormenta)S 2020, R: Fernando González Molina, D: Leonardo Sbaraglia, Marta Etura, Álvaro Cervantes, 139 Min., auf Netflix verfügbar