Kafkaeske Bürokratie: Empfang in Futureland, Foto: Ute Langkafel

»klein klein harām«

»Futureland« dokumentiert das Ankommen von acht Jugendlichen in Deutschland

Menschenleer ist die felsige Insel, über der die Protagonist*innen abgeworfen werden. Und menschenleer wird sie auch bleiben, denn in »Futureland«, dem »Land, in dem alles möglich ist«, haben Avatare das Sagen. Die Regisseurin Lola Arias dokumentiert im Maxim Gorki Theater das Ankommen von acht Jugendlichen, die ohne ihre Eltern aus Guinea, Syrien, Afghanistan, Somalia, Bangladesch geflohen sind. Manche verwaist, manche vorgeschickt, in der Hoffnung auf Familiennachzug.

Die Inszenierung hätte kaum gelungener sein können. Eine 3D-simulierte Betonstadt mit Wolkenkratzern und Magnetschwebebahn ist das Bühnenbild, vor dem die Jugendlichen, allesamt nicht-professionelle Bühnensprecher, ihre Geschichten erzählen. Es ist ein kaltes System, in dem sie landen, und — die Parallelen zum deutschen Asylverfahren sind überdeutlich — eine kafkaeske Bürokratie erleben.

Ihr stemmen die Jugendlichen ihre sehr realen Schicksale entgegen. Da ist May, die mit 17 Jahren von ihrem Vater an einen Mann auf Malta verkauft wurde, eine Zwangsheirat. Da ist Mohammed, der elf war, als seine Mutter ihm einen Rucksack packte, und der ganz alleine von Syrien bis nach Deutschland floh, wo man ihn drei Monate warten ließ, bis er Zuhause Bescheid sagen durfte: »Ich habe überlebt.« Und da ist auch Sagal, die mit ihrer somalischen Familie vor der al-Shabaab-Miliz floh und die erzählt von einer Zeit, als tanzen und singen noch nicht »harām«, also »Teufelszeug«, war.

Schmerzlich, intim, aber nie pathetisch bringt Lola Arias diese Geschichten auf die Bühne, lässt erzählen von demütigenden Knochenvermessungen, von dem bangen Warten auf den 18. Geburtstag, der der »Schonfrist« ein Ende macht, wie ein Avatar es mit Siri-Stimme verkündet. Das Ankommen in »Futureland« spitzt sich auf das Interview im Bundesamt für Migration zu: »100 Mal dieselben Fragen«, erzählt Mamadou aus Guinea, der es schon hinter sich hat. Aber keine Möglichkeit die »Entscheidung der Kommission« vorher zu sagen, erklären die Avatare.

Zwischen all der ernsthaften Schwere blitzt immer wieder das Teeniehafte in den Jugendlichen auf: Sagal singt sehnsüchtig von der Liebe, Fabiya legt eine lässige Tanzeinlage aufs Parkett und Sarah nimmt beiläufig alle Vorurteile über den »Hijab« auseinander, wenn sie mit Verve die muslimische Mutter mimt, die sich ihren Sohn im Videocall vorknöpft. Nur »klein klein harām« sei das Theaterspielen, sagen sie auf der Bühne, nichts Wildes also. Das Stück bleibt dennoch verflucht gut.

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