Geisterbeschwörung: »Gymnastik« am Schauspiel Köln, Foto: Knut Klaßen

Geister, die wir riefen

Richard Siegals »Ballet of Difference« bringt »Gymnastik« in den Stream am Schauspiel Köln

Dunkel liegt die Bühne da, als hätte sie selbst sich in Unendlichkeit verwandelt. Denn immerhin, das suggeriert schon der Untertitel »stretching out to past and future dances« geht es hier ja um Zeit, genauer: um eine Zeit, die weit zurück liegt, die Zeit der Weimarer Republik.

Die deutsch-französisch-westafrikanische Performance-Gruppe um Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen bringt, zusammen mit Richard Siegals »Ballet of Difference«, »Gymnastik« ins digitale Programm des Schauspiel Köln. Acht Tänzer*innen, die mit ihren Körpern davon erzählen, wie divers die in den 1920er Jahren entstandenen Tanzstile waren — und wie sie teils auch von der nachbebenden Todesbedrohung, der Verkrüppelung und Beschädigung des Ersten Weltkrieges zeugten.

In der Schwärze der Bühne — sie wird bis zuletzt schwarz bleiben — tauchen Bewegungen auf: Seilspringen im Gankörperbadeanzug, gymnastische Ertüchtigungen, überlange Ärmel, die herab hängen wie leblose Gliedmaßen. Die Kamera zieht dynamisch zwischen den Tänzer*innen hindurch und begleitet sie in ihrer Arbeit: Unweigerlich drängt sich der Eindruck auf, Teil des Geschehens zu sein, und vielleicht ist das der Grund dafür, dass das Stück immer ein bisschen roh wirkt, als wäre die Probe noch nicht ganz vorbei.

Oder als breche die Zeit, in der »sich gesellschaftliche Antagonismen manifestieren und umstrittene, aber kaum aufhaltbare Umwälzungen sich ankündigen«, wie es im Programmheft heißt, gerade erst wieder auf. Denn auch darum geht es in »Gymnastik«. Im Dialog mit den Geistern längst vergangener Tänzer*innen werden auf der Bühne intime Duos gebildet, die sich ineinander verschränken, miteinander ringen, die Vergangenheit abzuschütteln versuchen — oder eben all das, was ihre Körper einpfercht: die post-koloniale Exotisierung ihrer Haut, die Bipolarität der Geschlechterrollen.

Inmitten all dessen sitzt Hans Unstern, besser gesagt, der für den man ihn hält. Denn unter dem Namen ist eine Multitude an Personen tätig, mal ein bärtiger Zausel, mal ein blauhaariger Jüngling im Overall und manchmal sogar Sibylle Berg oder René Pollesch. »Ein großes Pop-Asyl« sei Hans Unstern, wie er einmal im Interview mit der taz sagte. Nun also klimpert er auf der Bühne an seiner Harfe Marke Eigenbau und liefert abstrakt-intime Pop-Poesie. Ein eigentümlicher Soundtrack für die Beschwörung dieser gesellschaftspolitischen Geister, denen wir, so die Befürchtung, auf kurz oder lang nicht entkommen werden.

Schauspiel Köln, »Dramazone Prime«, 26.3., ab 19.30 Uhr für 24 Stunden abrufbar, 5.4., ganztägig