Abgrenzungsneurose: Müde Kritik im Schauspiel Leipzig, Foto: Rolf Arnold

Wir sind so müde

In »Die Ermüdeten« zeigt das Schauspiel Leipzig das linksliberale Bürgertum als Gruselkabinett

Zumindest bei der Kleiderwahl sind sich die Partygäste einig: Auf blaue und rosa Seidenkleider scheinen sie alle zu stehen. So sehr sogar, dass der Gastgeber gleich noch die Wände der Bühne mit dem glänzenden Stoff tapeziert. Das ist aber auch schon alles an Eintracht, das man von den Abgrenzungsneurotiker*innen erwarten darf, die Regisseurin Claudia Bauer nun schon seit fünf Jahren auf der Bühne des Schauspiel Leipzig auftreten lässt und die nun im Livestream zu sehen sind.

Das Stück von Bernhard Studlar knöpft sich das links-grüne Akademiker*innenmilieu vor. Viel wurde schon geschimpft über jene dauergestressten Großstadtbewohner*innen, die Chai Latte schlürfend über Achtsamkeit und Bio-Wein schwadronieren. Die sich bei all ihrem Individualismus aber vor allem müde und einsam fühlen. Wahrscheinlich gehört der Großteil der Theater­macher*in­nen und des Publikums dazu. Selbstkritik aber schadet nicht. Und so versammelt Bauer die Stereotypen und Phrasen, die im Kosmos dieses Milieus so kursieren, auf einer Party.

Die sechs Schauspieler*innen machen die Party zu einem Gruselkabinett des linksliberalen Bürgertums. Abwechselnd sprechen zwei von ihnen den Text in die Mikrofone am Rand, während der Rest als maskierte Mannequins mit grellen Gesten über die Bühne zuckt. In den Dialogen werden alle Klischees aufgefahren: Der naturverbundene Schmerzensmann, der seine Gefühlslage bespiegelt, die ausgebrannte Karrierefrau, die im Sabbatjahr einen Roman schreiben will und die Helikoptereltern, die über die beste Schule im Bezirk diskutieren. Das Gerede wird durch Wiederholungen und verzerrte Stimmen satirisch auf die Spitze getrieben und als inhaltsloses Geplapper entlarvt. Doch: etwas Substanzielles über das Milieu hat das Stück leider nicht zu sagen.

Bauer nutzt über 140 Minuten genau ein Mittel, um das linksliberale Partyvolk der Lächerlichkeit preiszugeben: die Wiederholung ihrer Phrasen mittels satirischer Zuspitzung. Das nutzt sich schnell ab. So muss Bauer mit immer krasseren Zerrbildern aufwarten. Irgendwann sitzen die Schauspie­ler*innen statt mit Masken, mit Vögelköpfen auf der Bühne. Das Smartphone eines Partygastes wird immer größer und ist am Ende ein Hinkelstein, weil, ja klar, das Handy eine so große Macht über ihn ausübt. Und über die Frau, die in kurzen, zwischengeschalteten Filmaufnahmen den Gastgeber mit einer Waffe bedroht, hätte man auch gerne mehr erfahren. Was am Anfang noch komische Bilder erzeugt, ermüdet zusehends.