Das »Pseudo-Getreide« liegt im Trend: Die drei Deckers vom Großen Kreuzhof begutachten die noch jungen Quinoa-Pflanzen, Foto: Stephan Strache

»Man kann’s den ganzen Tag essen«

Quinoa wird als Getreide-Alternative immer bedeutender. Mittlerweile wird sie vor den Toren Kölns angepflanzt

Wenn eine Pflanze, die seit Jahrtausenden in Südamerika wächst, plötzlich in Pulheim auftaucht, ist man schnell bei der größten Krise der Menschheit. »Ich will nicht behaupten, dass Quinoa wie für den Klimawandel gemacht ist. Aber es ist ursprüngliches Korn, nicht so hochgezüchtet wie etwa Weizen«, sagt Verena Decker. Dadurch sei Quinoa sehr widerstandsfähig und weniger anspruchsvoll. Ideal für Sommer, die immer heißer, und für Böden, die immer trockener werden.

Verena Deckers Familie bewirtschaftet seit mehr als 200 Jahren den Großen Kreuzhof in Pulheim-Stommeln. Mit ihrem Mann, einem gelernten Landwirt, und ihrem Schwager gründete sie vor zwei Jahren »Feldhelden Rheinland« und baut seitdem Quinoa an. Geschrieben, wie man es spricht: »Kinoa«. Wegen der Nähe zu Köln, sagt Decker.

Der Ursprung der Pflanze liegt Tausende Kilometer von Stommeln entfernt. Vor allem in Peru und Bolivien ist der sogenannte Inkaweizen Grundnahrungsmittel. Die Samen sind reich an essentiellen Aminosäuren, ungesättigten Fettsäuren und Mineralstoffen. Quinoa ist ein »Pseudo-Getreide«, weil sie zwar alten Getreidesorten ähnelt, aber zu den Fuchsschwanzgewächsen gehört. In den 90er Jahren kam Quinoa nach Europa. Mittlerweile füllt das »Superfood« Regale von Bioläden und Bowls in urbanen Bistros. Doch ähnlich wie bei Avocado, Soja oder Palmöl sind da auch Schattenseiten: weite Transportwege, Preisdruck auf die Erzeuger,  Umweltschäden durch wachsende Anbauflächen.

»Viele Kunden, denen Quinoa schon länger bekannt ist, freuen sich, dass es eine Alternative aus der Region gibt«, sagt Verena Decker. Feldhelden vertreibt seinen Quinoa ausschließlich über Direktvermarktung. An Unverpackt-Läden, Gastronomen, und nun auch über die regionale Schiene von Vollsortimentern. »Wir versuchen, dass wir von der Aussaat bis zur Vermarktung alles selbst hin­bekommen«, sagt Decker.

In den vergangenen Jahren haben Erzeuger in Europa mit dem Anbau begonnen. Zwar kommt von den schätzungsweise 250 Mio. Tonnen Quinoa, die weltweit produziert werden, weiterhin nur ein Bruchteil aus Europa. Aber man geht in Deutschland bereits von etwa 60 Betrieben mit rund 100 Hektar Anbaufläche aus — Tendenz steigend.

Die Feldhelden mussten zunächst Erfahrung sammeln. »Man kann nicht beim landwirtschaftlichen Großhandel seines Vertrauens anrufen, Saatgut bestellen und sich erklären lassen, wann man am besten aussät, wie man den Boden bereitet oder wann man erntet«, sagt Decker. Die Feldhelden haben mit einem Hektar Fläche begonnen, mittlerweile sind es sieben.

Seit einigen Jahren erforschen Wissenschaftler der Universität Kiel Quinoa-Sorten, die in Mitteleuropa angebaut werden können. Ähnliche Projekte laufen in China, Australien und den USA. Quinoa wird von vielen als ein Schlüssel gesehen, um dem Welthunger in Zeiten des Klimawandels zu begegnen. Bereits 2013 rief UN-Generalsekretär Ban Ki Moon das »Jahr der Quinoa« aus.

Die Schwierigkeiten, das merkten auch die Deckers, ergeben sich nach der Ernte. Quinoa reift nicht gleichmäßig ab. Man muss sich dann zur Ernte entscheiden, wenn rund 75 Prozent der etwa ein Millimeter großen Samen reif sind, weil sonst die ersten reifen Samen wieder ausfallen. Deshalb muss Quinoa sofort getrocknet und die Samen gereinigt werden. »Das ist anspruchsvoller als beim normalen Getreideanbau«, sagt Verena Decker. Die Mühe lohnt sich. Man sei mit den Ernten bisher sehr zufrieden, so Decker. Und auch mit der Nachfrage. »Der typische Konsument ist zwischen 30 und 40, ungefähr zwei Drittel sind weiblich«, so Decker. Dazu kämen Allergiker, weil Quinoa glutenfrei ist, sowie Vegetarier und Veganer, für die der hohe Anteil an pflanzlichem Eiweiß ein Pluspunkt ist. »Aber wir hatten auch schon einen Rentner, der seit 15 Jahren damit kocht und sich gefreut hat, dass es das jetzt auch von hier gibt«, sagt Decker. Nach wie vor aber gebe es viele Menschen, die Quinoa nicht kennen.

Doch der deutsche Markt wächst. »Pluspunkt ist die einfache Zubereitung. Ein Teil Quinoa, zwei Teile Wasser — dann lässt man Quinoa wie Reis zehn bis 15 Minuten köcheln. Das war‘s«, sagt Verena Decker. Außerdem sei Quinoa kulinarisch vielseitig. »Man kann es eigentlich den ganzen Tag essen. Vom Frühstück bis zum Abend­essen, von Vorspeise bis Nachspeise.« Morgens als Quinoa-Porridge mit Früchten oder Joghurt. Mittags in Salaten. Abends als Fleischersatz für Burger-Pattys und Frikadellen. Das Quinoa-Paradox: Um dem Klimawandel zu verlangsamen, greifen die Menschen zu einer Fleisch­alternative, die ohne den Klimawandel vielleicht nie nach Europa gekommen wäre.