Papierschnipselpoesie

Ein Portrait des Kölner Künstlers Christian Aberle

Man muss schon sehr genau hinsehen, will man die feinen Unterschiede bemerken, die das multimediale Werk von Christian Aberle in seiner Essenz ausmachen. Im Vorfeld seiner Ausstellung »Array Idle Film« im Projektraum Zero Fold etwa befasst sich der 1974 in Eberbach am Neckar geborene Künstler nach eigener Aussage intensiv mit der »starken Ästhetik des Papiers«. In Köln ist Aberle kein Unbekannter, hat er sich doch neben zahlreichen Präsentationen seines Werks bei kjubh e. V. und Dynamite oder durch DJ-Auftritte etwa im Museum Ludwig einen Namen gemacht. Gerade ist Aberles erste fiktionale Erzählung »Nächstes Mal komme ich zu dir in den Dreck« erschienen, veröffentlicht vom Kölner Verlag Strzelecki Books.

Bei der gemeinsamen Begehung des winzigen Ausstellungsraums in der Albertusstraße, strategisch günstig und fast exakt zwischen Walther König und Bittner gelegen, folgt man dem einfühlsamen Blick des vielseitigen Künstlers, der das Banale ins Besondere verwandelt. Die Begeisterung, mit der Aberle den Betrachter an die verschiedenen Papiersorten heranführt, lenkt die Aufmerksamkeit auf die kaum wahrnehmbaren Nuancen der herkömmlich »weiß« bezeichneten Papiersorten. Aberle erklärt, wie er durch das Nebeneinanderlegen zweier Blätter den ästhetischen Eigenwert ihrer Grundtöne entdeckte. Fasziniert von ihrer kontrastierenden Farbintensität setzte er den altersbedingten Gelbstich einer Papiersorte gegen den fliederfarbenen Grundton einer anderen, der »plötzlich violett leuchtete«.

Bei näherer Betrachtung der in der Installation auf einer leichten, zwischen Decke und Fußboden gespannten Papiersäule angebrachten Einzelblätter zeigt sich ein minutiöses, ja mikroskopisches Handwerk: Sie erweisen sich als aufwändig gefertigte Einlegearbeiten aus kleinsten Komponenten, geschöpft aus losen Schnipseln, Karo- oder Millimeterpapier und alten Comic-Heften.

Das »Auseinanderschneiden und Zusammensetzen entspricht meiner Weltsicht, denn ich finde es gut, verschiedene Dinge zu kombinieren, die nicht zusammenpassen.« So hat Aberle beispielsweise einzelne Quadrate eines Karopapiers ausgeschnitten und durch verschiedene Augenpaare der drei Neffen von Donald Duck ersetzt, die frech aus den entstandenen »Öffnungen« blitzen. Für manche seiner Intarsien zerteilt Aberle Seiten alter Comichefte nun derart, dass er den umlaufenden Rahmen der Seite — unter Aussparung der enthaltenen erzählenden Felder — freilegt und »ins Bild setzt«, also zur bildgebenden formalen Struktur werden lässt, ebenso die trennenden Grate zwischen den Einzelbildern des Comics. Damit wird die vormalige Darstellung zur Leerstelle und die Zwischenräume, rein grafische Gliederungselemente, beinahe zeichenhaft in den Vordergrund gerückt.

Solche Umbildungen kommen im Werk von Aberle häufig vor. In ihnen erfährt das Ausgesparte, Freigelassene eine gleichwertige Behandlung, Grund und Figur durchdringen sich in seiner Malerei ebenso wie Positiv- und Negativformen, An- und Abwesenheit. Bekanntem, Banalem wird auch in seinen Monotypien aus in Tusche getränkten Tempo-Taschentüchern eine neue Perspektive eröffnet. Ebenso wie in der spielerischen Kombinatorik seiner Anagramme. Hier erprobt Aberle sezierend systematisch die entstehenden Freiräume — Räume für Umdeutungen — und stellt die Reihenfolge jener unverkennbaren Lettern der Unterschrift von Walt Disney selbstbewußt um: I went sadly.

Die vorgefundenen Dinge bilden stets den materiellen und motivischen Rahmen, der zugleich Aberles schöpferischer Spielraum ist. Die künstlerische Aneignung von »Minderwertigem« mit bescheidenen Mitteln interessiert ihn mehr als »Ultra-Design«. Dieser Ansatz verbindet ihn mit den Künstler*innen Geta Brătescu und Paul Thek. Sein Ziel ist es, »Material und Textur darzustellen«: »Ich speise mich aus dem Abseitigen, etwas Beeinträchtigten, Verletzlichen, Organischen, Echten.« Für sein Schaffen benutzt er stets »eine gefundene Vorlage, die am Liebsten irgendeinen Twist hat«. Diesen Twist kann die Scherbe einer Tasse, ein ausgerissenes Stück Papier, ein Spinnennetz, ein Baugerüst, aber auch die Spiegelung im Waschbecken seines Frisörs aufweisen.

Durch die formale Sparsamkeit, den Minimalismus seiner Kompositionen erlangen Aberles Formen eine Eigenständigkeit als konkrete Einheiten. Aus dem Gesamtzusammenhang gelöst, begegnen sie uns als isolierte Versatzstücke der Realität, so dass sich immer wieder die Frage stellt: Was ist das eigentlich? Formal und inhaltlich macht Aberle wenige Vorgaben. Er füllt die Leerstellen nicht, sondern, im Gegenteil, macht sie sichtbar.

Zum Schluss erzählt Aberle, dass viele Betrachter irritiert reagieren, sich mit der Uneindeutigkeit seines Werks alleingelassen fühlen. Der Künstler selbst ist dabei entspannt. »Die Unsicherheit, die ich mit meiner Kunst verbreite, kann ich gut aushalten.«

Ausstellung »ARRAY IDLE FILM«, ZERO FOLD, Albertusstr. 4, bis 15. Mai

Finissage und Buchpräsentation 15.5., 19–22 Uhr

Buch: Christian Aberle, »Nächstes Mal komme ich zu dir in den Dreck«, StrzeleckiBooks, Köln 2021, mit Illustrationen von Larry P. Berger, Bernhard Deckert, Melas Eichhorn, Jonnie Mitchell, Anne Neukamp, Carmen Strzelecki und Jürgen Tetzlaff, Hardcover mit Leinenbezug und Braille-Schrift, 104 S., 12 handmontierte farb. Abb., 1 Abb. s / w, 25 Euro