Direkter Blick, nichtlineares Schreiben: Natasja Penzar, Foto: Lena Ures

Prophetinnen in Ameisenkolonien

Die Titelheldin in Nastasja Penzars Roman »Yona« sucht das Ende der Kolonialgeschichte

Als Yona nach dem Tod ihres Vaters nach Guatemala reist, weiß sie selbst nicht genau, warum sie diesen Weg auf sich nimmt. Ihre Geburtsstadt hat sie nicht mehr besucht, seit ihr deutschstämmiger Vater das südamerikanische Land nach dem mysteriösen Tod ihrer Mutter fluchtartig verlassen hat. Sein Vermächtnis befindet sich nun auf einem kleinen Stück Papier mit der Adresse und Aufschrift eines Namens: Doña, der Schwester ihrer Mutter aus Guatemala. Mit »Yona« erzählt Nastasja Penzar die Geschichte einer jungen Frau, die sich auf die Suche nach Herkunft und Identität begibt und dafür auch vor Armut und Gewalt nicht zurückschreckt.

In Deutschland hatten sich Yona und ihr Vater nie zuhause gefühlt. Stattdessen wird ihr städtisches Gartenidyll zum Refugium verborgener Erinnerungen und Sehnsüchte. Vergangenheit und Gegenwart werden erzählerisch durch die »marabunta« miteinander verwoben, besser auch als Wander- oder Heeresameisen bekannt. Sie begleiten Yona aus der sicheren Festung auf europäischem Boden in ein Land voller Korruption und Ungewissheit. Zwischen der Erinnerung an die Ordnung der Ameisenkolonien im heimischen Garten und den chaotischen Erfahrungen der Straßenkriege der »mara« vor Ort, versucht Yona ihren Familiengeheimnissen in Mittelamerika auf die Spur zu kommen. Bandenmitglieder werden zu Liebhabern, Liebhaber werden zu Wegbegleitern, und so gelangt Yona schließlich zu jenem Haus, in dem ihre Mutter ums Leben kam und zu dessen Verkauf der Vater bis kurz vor seinem Tod drängt.

»Die Geburt ist nicht der Anfang« — und daher beginnen alle Reisen Yonas mit dem Ableben. Ihr Name, wie gleich zu Beginn klar wird, ist ein Verweis auf den Propheten Jona, dessen Verschlingung und Aussonderung durch einen Walfisch Symbol für Tod und Auferstehung ist. Auch Yona gerät auf ihrer Reise immer wieder in den Sog menschlicher Grenzerfahrungen: durch einen verseuchten See, einen giftigen Skorpion oder einen glutspähenden Vulkan. »Am Ende«, erklärt ihr der Vater, »spuckt dich der Wal genau da aus, wo du hingehörst.«

»Yona« ist Penzars Debütroman, ein Roman über das Ende vom Anfang — einer linearen Geschichtsschreibung und kolonialen Zuschreibungen. Mit Ansätzen eines magischen Realismus beschreibt die studierte Romanistin die suggestive Kraft, die der Aufhebung hierarchischer Gesellschaftsordnungen innewohnt und seine unterworfenen Individuen zum Neuanfang ermächtigt.

Natasja Penzar: »Yona«, Matthes & Seitz, 208 Seiten, 22 Euro