Langer Atem, großes Instrument: Janning Trumann

Im Teleskopverfahren

Janning Trumann spielt Posaune und macht noch 1000 Sachen mehr. Jetzt plant er die Cologne Jazzweek

»Ich bin Posaunist. Mir ist das Instrument wahnsinnig wichtig. Das Instrument muss sich beim Spielen gut anfühlen, das denke ich immer mit beim Komponieren«, sagt Janning Trumann und produziert damit den Killersatz, den Instrumentenhersteller oder Veranstalter in ihre Broschüren und Programmhefte drucken wollen.

Aber es ging gar nicht um Schlagworte und pointierte Statements. Die Frage war nämlich, wie Trumann die Übersicht behält: Er ist Jazz-Komponist und Bandleader und hat in den letzten fünf Jahren eine beeindruckende Reihe von Produktionen und Ensembles vorgestellt. Vorläufiger Höhepunkt: Der Auftritt mit seinem Oktett in der Philharmonie Ende Dezember letzten Jahres, in dem Trumann und seine Musiker es schafften, diese gespenstische Szenerie — die Philharmonie war natürlich leer, das Konzert wurde gefilmt (und ist auf philharmonie.tv zu sehen) — in ein fast schon spirituelles Erlebnis zu verwandeln. Trumanns Suite klang warm und eindringlich, strukturell komplex, dennoch immer durch-hörbar und klar, sie erhob sich gravitätisch, den Musikern viel Raum für improvisatorische Höhenfluge und Tiefenbohrungen öffnend. Und dann er selbst an der Posaune — konzentriert, sehr erdig.

Trumann ist aber auch: Label-Produzent (Tangible Music), der für die Musiker schon mal die Pressefotos schießt; im Vorstand der Initiative Kölner Jazz Haus und der Kölner Jazzkonferenz e.V., dem politischen Zusammenschluss der Szene; für die CDU (!) im Kulturausschuss des Stadtrates; der Vater und die Brüder sind Landwirte — Janning hat jahrelang bei der Ernte geholfen; und, ach ja, er ist semiprofessioneller Triathlet. Er ist 30 Jahre alt, redet sehr schnell, und wenn er in dem Tempo weitermacht, kann er sich in fünf Jahren zur Ruhe setzen. Wäre da nicht die drohende Langeweile, »ich weiß«, seufzt er, »alle sagen zu mir, ich könne nicht fünf Minuten still sitzen«. Spricht man ihn auf seine künstlerische Mission, sein Credo an, bleibt er dabei: Er ist Posaunist. Seine Projekte sind von der Besetzung her sehr heterogen — mal holt er sich Promis ins Boot wie den Pianisten Simon Nabatov und den legendären Schlagzeuger Joachim Rueckert, mal spielt er im Quartett ohne Klavier, dann seine weiträumigen Stücke für große Gruppen, zum Beispiel das meisterhafte »Rise Beyond« für Sextet. Aber stets ist es Trumann-Musik, scheint in letzter Konsequenz immer auf den satten Sound seines Horns zuzulaufen, das überhaupt nicht rastlos und hektisch klingt, im Gegenteil.  

»Ich lasse wenig gehen«, sagt er und meint damit, dass seine Kompositionen exakt definiert sind, auch die Free-Jazz-Passagen in seinen Stücken sind strukturell eingebettet. »Improvisation möglich machen innerhalb einer Struktur, und umgekehrt einer Struktur Freiraum zu geben: das inspiriert sich gegenseitig«, umreißt er seine Methode. Das hätten Jazzkomponisten auch schon vor 50, 60, 70 Jahren sagen können — und selbstverständlich gibt es für den »strukturalistischen« Ansatz Trumanns historische Vorbilder und Vorläufer, von den Miles Davis Quintetten (»Die Kölner Szene ist besessen davon«, sagt er und muss lachen), über Carla Bley bis Charles Mingus. Dennoch steht Trumanns Musik exemplarisch für einen Jazz, der mit der klassischen Exposition Thema-Improvisation-Thema gebrochen hat und in einem Teleskopverfahren die Kompositionselemente zusammenschiebt und elegant entfalten kann. Das macht seine Musik so faszinierend: Sie ist harmonisch zugänglich, dabei unvorhersehbar und erfrischend unübersichtlich. »Jazz ist für mich Hochkultur. Dazu stehe ich. Ich habe auch kein Problem mit der Akademisierung.« (Trumann hat in Köln und New York studiert.)»Das Verständnis von Hochkultur in unserer Gesellschaft ändert sich gerade, es geht weg von Opernhäusern und Sinfonieorchestern, es wird offener, neugieriger, globaler, und Jazz steht für diese Entwicklung.«

Jetzt die überraschende Botschaft für die Stadtgesellschaft: In dieser Entwicklung ist Köln führend, ist nicht nur »Jazzstadt« mit vielen Clubs, sondern einer ihrer europäischen Motoren. »Köln hat — mit dem Stadtgarten, dem Loft, dem Jazz-Studiengang an der Hochschule und das alles seit Jahrzehnten — eine krasse Beständigkeit. Berlin hat die nicht. Es gibt in Berlin einen Überfluss an Musikern, da können wir nicht mithalten. Aber die Berliner sind neidisch, was unsere Infrastruktur angeht. Aktuell ziehen viele Musiker nach Köln,«, sagt Trumann.

Ein wichtiger Baustein in dieser Entwicklung fehlte bislang: Es gibt kein großes Jazz-Festival in dieser Stadt. »In Köln ist das ganze Jahr über Festival, salopp gesagt. Die Dichte an Konzerten ist sehr hoch«, räumt Trumann ein. »In der Jazzkonferenz haben wir uns aber gefragt: Es kann doch nicht sein, dass diese riesige Szene für eigentlich alle Festivals in unserer Region die Inhalte liefert, es aber nicht schafft, sich hier vor Ort zu präsentieren — gebündelt und abseits ihrer Nischen!« 2019 war es dann soweit: Die Stadt konnte überzeugt werden, zweimal 150.000 Euro Budget für jeweils ein Jazz-Festival in 2020 und 2021 bereit zu stellen. Und so kam Trumann zu seinem nächsten Job: Er ist Geschäftsführer des Festivals.

Was 2020 los war und warum — ist bekannt: Die Cologne Jazzweek, so der Festivaltitel, musste ausfallen. Das ändert sich jetzt: Für den 28. August bis 4. September sind über dreißig Konzerte geplant. Zu den Spielstätten zählen Stadtgarten, LOFT, Altes Pfandhaus, Club Bahnhof Ehrenfeld, King Georg, Artheater, Alte Feuerwache, der Ebertplatz und der Konzertsaal der Musikhochschule, wo sich vor 45 Jahren erstmals eine junge Kölner Jazzszene präsentieren konnte. »Wir wollen die Kölner Bürger ansprechen, ganz klar, und ihnen zeigen, dass sie in einer Jazzstadt leben. Nicht erst seit gestern. Aber dass wir, als Musiker und Veranstalter, angefangen haben, für dieses Image zu werben, die Verbindung Köln und Jazz bewusst zu machen, das ist erst wieder seit ein paar Jahren der Fall. Das Festival soll das unterfüttern, es soll bürgernah sein: eine Einladung an die Stadtgesellschaft, den aktuellen Jazz in seiner Bandbreite kennenzulernen.« Ziel ist, die Kölner Szene in freundschaftlicher Konfrontation mit internationalen Acts zu präsentieren, Kooperationen zu ermöglichen, Verbindungen zu knüpfen. Vieles ist noch — Stand Mitte April — unklar, hängt von der Entwicklung der Corona-Krise ab: »Grobe Richtlinie für unsere Einladungen: ein Drittel aus Köln, ein Drittel aus Deutschland, ein Drittel ist international. So durchziehen können wir das wohl unter den Bedingungen der Epidemie nicht«, weiß Trumann, aber das Programm ist schon jetzt vielversprechend.

Dafür sorgt das Kuratoriumsprinzip, das die künstlerische Planung auffächert. Die Jazzkonferenz hat neben Trumann noch vier weitere Kuratoren bestellt: Friederike Darius, Thomas Gläßer, Gareth Lubbe und Rebekka Ziegler. Sie stehen für Stilrichtungen und Strömungen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Freie Improvisation und elektronischer Pop, Neue Musik und »Weltmusik«, Big Band Sound und Straight Ahead — all das wird sich im Programm widerspiegeln. Nicht als Musiker dabei sein wird: Janning Trumann. Ein Kurator in eigener Sache zu sein — das geht für ihn nicht. Er hat, wie er abschließend meint, »den größeren Zusammenhang im Blick«: »Jetzt ist für uns ein guter Zeitpunkt, über den Tellerrand zu blicken, sich auch ein bisschen zu messen, die Komfortzone zu ver­lassen. Manchmal fehlt das dem Kölner Jazz.«

janningtrumann.com
tangible-music.net
jazzweek.de

Cologne Jazzweek 28.8.–4.9.

Zu den bestätigten Acts zählen bislang u. a.: Peter Evans, Angelika Niescier, Nils Wogram’s Root 70 & Strings, Elisabeth Coudox, Hayden Chisholm, Heidi Bayer, Barre Philipps / Evan Parker, Ben van Gelder, Stefan Schöneggs Enso, Pablo Held & Norma Winstone, Simon Nabatov New York Quartett, Kit Downes, Christian Lillinger »Open form for Society«