Entmottet eure alten Tapedecks: Output von Superpolar, Foto: Marco Trovatello

Kurz Vorgespult

Elektro-Singles im Tape-Format veröffentlichen? Marco Trovatello hat herausgefunden, wie das geht

Der Kollege ist beim besten Willen kein Unbekannter in der Stadtrevue. Bis 2019 informierte Marco Trovatello die Leser*innen regelmäßig unregelmäßig über neue Musiken aus dem Internet. In seiner Kolumne »Netzmusik« ging es um eine lose organisierte Gemeinschaft, die die veränderten Produktions- und Veröffentlichungsweisen sowohl ästhetisch als auch rechtlich reflektierten. In gewisser Weise ist das Label Superpolar Taïps, das er im September 2020 gegründet hat, eine logische Fortsetzung seiner Erkundungsfahrten durch Kosmen, die stets abseits großer Verwertungsketten expandieren. Als Produzent wechselt Trovatello auf das Kassetten-Format und veröffentlicht eng getaktet: Mittlerweile sind es über zwanzig Tapes in nur sieben Monaten — sie dokumentieren Musik, die zwar experimentell und avantgardistisch sein kann, dennoch stets lustvoll bis lustig ist.


Auch in deinem Fall gibt es ein Leben vor dem Label.

Ich habe die Tape-Szene schon seit Jahren beobachtet und verfolgt — aus meiner Perspektive einer selbstorganisierten musikalischen Netzgemeinde. Diese Net-Labels haben sich vielerorts stark verändert, teilweise eben hin zu Tape-Labels. Das ist eine Untergrundszene, die seit etwa sechs Jahren erstarkt. Mittlerweile haben Medien wie Wire aus England oder die Groove mit der Tapestry-Kolumne sich für die Produktionen der Tape-Szene geöffnet und besprechen Veröffentlichungen. Ich fand interessant, dass diese Szene und das Medium Kassette in Deutschland, abgesehen von jemandem wie Harald Sack Ziegler, meist unterbelichtet blieb. Obwohl sie genau die Idee von Untergrund-Musik, wie ich sie verstanden habe, verkörpert.


Und für dich persönlich?

Ich habe selbst auch schon (Kleinst-)Label­erfahrung in nunmehr zwei Jahrzehnten gemacht. Mit Frank-Christian Stoffel habe ich vorher ein klassisches Net-Label namens »Der Kleine Grüne Würfel« betrieben. Mit CC-Lizenzen, so offen wie möglich, nur digital. Ich wusste, was selbst ein kleines Label an Arbeit bedeutet: unbezahlte Arbeit, die auf den eigentlichen Job oben draufkommt. Deswegen habe ich den Schritt zu Superpolar lange gescheut. Trotzdem wollte ich, obwohl ich lange die Netzkultur gefeiert habe, Tonträger veröffent­lichen, da ich trotz allem immer noch Fan von Vinyl und Kassette bin. Da man sich Vinyl aber kaum noch leisten kann und Tape bis heute recht günstig ist, war es klar, wofür ich mich entscheide.


Wer sich Superpolar anschaut, dem fällt vor allen Dingen die Cassingle-Reihe in die Augen. Kassetten mit einer Seitenlänge von 2:30 Minuten. Nunmehr auch schon fast 20 Stück innerhalb kürzester Zeit. Wie kam es dazu?

Ich hatte diese Tapes mit extrem kurzer Spieldauer bei einem Anbieter gefunden. Ich habe die dann einfach gekauft. Und aus dieser bekloppten Idee der Kassetten-Single entwickelte sich halt mehr, als ich diese dann in die Runde mit ein paar Künstler*innen geworfen hatte. Die Szene hat sich mal wieder selbst organisiert und den Aufruf rumgeschickt. Ich habe daraufhin viele Demos und Tracks bekommen von denen etwa zwei Drittel auf Tape gelandet sind oder landen werden.


Klingt nach Liebhaberei.

Ja, keine Frage. Wenn mal ein Tape in der Groove besprochen wird, dann kommen anschließend vielleicht so zwei Bestellungen rein. Das ist »klein-klein«-Arbeit. Aber die Szene ist sehr solidarisch und man unterstützt sich stets. Dort kauft man halt und tauscht nicht bloß. Das geht dann gut. Aber davon leben kann natürlich niemand. Die Alternative wäre aber, dass die Musik gar nicht rauskommen würde. Das scheint mir keine gute Wahl zu sein.


Superpolar startete letzten September. Hat es da einen konkreten Anlass gegeben,  einen Zusammenhang mit Corona und Home-Office?

Mit den Folgen der Pandemie hat das wenig zu tun. Ich habe das Glück, eine Stelle zu haben, die weitgehend unberührt von der Krise funktioniert und auch schon vorher die Möglichkeit zum Home-Office bot. Die Idee konkret zu Superpolar stammt schon aus der Zeit, wo es auch mit dem »Kleinen Grünen Würfel« anfing. Das hätte sich überschnitten. Ich fand aber schade, dass es gerade mal eine Handvoll anderer Tape-Labels in Deutschland gibt. Aber die Musiker*innen dafür sind ja schon da. Und das wollte ich abbilden. Ein großer Teil des Labels ist also aus Deutschland. Der andere Teil ergibt sich aus Bekanntschaften, die durch die Arbeit vorher entstanden sind. Das läuft dann eher in USA und Großbritannien.

Das ist sowieso ein Gefühl, dass man als Beobachter schnell hat. Dass sich da eine Achse USA-England-Deutschland entwickelt ...

Mag sein, aber ich habe feste Käufer aus Japan oder China. Dazu gibt es noch Szenen in Frankreich, Italien. Andererseits befinden sich auf der von dir benannten Achse schon ein Großteil der Labels. Es ist auch in diesem Zusammenhang ähnlich wie früher bei der Netzmusik-Szene.


Was ist denn für die Zukunft geplant?

Die Cassingles-Serie wird Ende des Jahres in einer Compilation münden, die je nach Länge auf Doppel-Kassette erscheint. Parallel dazu arbeite ich noch an einigen Alben. Als nächstes steht eines von Modelbau an, der Beginn einer Reihe von Veröffentlichungen zum Thema Radio, außerdem ein Album von Carnedd Aur aus Wales, der auf Superpolar bereits als »The Master Musicians« in Erscheinung trat.

Info: superpolar.org