Die Tiefe des Klangs vermessen: Ensemble Modern, Foto: Vincent Stefan

Klangfarbenmelodie

Der Spektralkomponist Fausto Romitelli ist auf dem Acht-Brücken-Festival zu hören

Auf den Avantgarde- und Neue-Musik-Happenings vor 50 Jahren war für die Pop-Haute-Couture Anwesenheit Pflicht: Paul McCartney und Pink Floyd besuchten Konzerte von AMM, die Beatles und Miles Davis feierten Karl-Heinz Stockhausen, Lou Reeds »Metal Machine Music« ist eine Hommage an La Monte Young, New-Wave-Bands von This Heat über Pop Group bis zu den, natürlich, Einstürzenden Neubauten adaptieren Schnitt- und Collage-Techniken der Tape-Music und Musique Concrète. Die Liebe blieb nicht unerwidert, aber die Gegenliebe äußerte sich spröder und versteckter. Offensichtliche Beispiele sind selten: Der Minimalismus von Rhys Chatham und Glenn Branca spielt mitPunk-Riffs, der große französische Klangkünstler Bernard Parmegiani veröffentlichte 1968 mit »Pop eclectic« eine sehr eigenwillig Ode an die Jugendkultur zwischen Marx und Coca-Cola.

Fausto Romitellis »Professor Bad Trip« hebt sich von all den hier genannten Beispielen und Namen deutlich ab: Denn Romitelli lässt keinen Zweifel an seiner Liebe für Psychedelic Rock und überhaupt für die tiefen Abgründe der Pop-Kultur seit den 70er Jahren — für Industrial oder Drone Music. Dennoch — oder deswegen — ist an »Professor Bad Trip« nichts vordergründig, keine Beats sind zu hören, kein Groove, kein Spiel mit melodischen Versatzstücken. Es ist extrem verdichtete, geradezu erbarnmungslos  durchgestaltete Musik, die nie auf platte Überwältigungsmomente setzt. Stets sind die Klangdetails in ihrem ganzen Reichtum hörbar, ist es uns möglich, die Entwicklung des Stückes nachzuvollziehen. Romitelli transferiert die Energie des Rock, seine Unmittelbarkeit und Emotionalität vollständih in sein Idiom. Ohne Opportunismus, ohne Kompromisse. Romitelli ist ein Übersetzungsvirtuose.

Sein Idiom ist das der französischen Spektralmusik — jener Kompositionsrichtung, die sich in den 60er Jahren vom Hauptstrom der Neuen Musik abspaltete und sich immer tiefer in die Analyse des einzelnen Klanges vertiefte. Der Klang wird als Spektrum von Schwingungen verstanden, das es aufzufächern und in seiner potentiell unendlich differenzierten (Klang-)Farbigkeit zu analysieren gilt. Von dieser mikroskopischen Untersuchung ausgehend werden dann ganze Klangkosmen entworfen — oder besser: entdeckt. Dass mit »Professor Bad Trip« ein Meisterwerk der Spektralmusik zu den Highlights des diesjährigen Acht-Brücken-Festivals zählt, passt wunderbar, lautet das Motto des Festivals doch »Kosmos«.

Romitelli, 1963 geboren, bereits 2014 an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben, gehört zur zweiten Generation der Spektralmusik, er ging beim Meister Gérard Grisey in die Lehre. Sein »Professor Bad Trip« ist ein hervorragendes Beispiel für den Eigensinn und den Witz des Schülers aus dem Friaul. In Italien war insbesondere in den 70er Jahren im Off der angloamerikanischen Dominanz eine eigenständige Pop-Avantgarde unterwegs, die sich ihren Weg zwischen Pink Floyd, Industrial, Disco und obskurer »Weltmusik« bahnte. Romitelli ist spürbar (!) von ihr beeinflusst. »Professor Bad Trip« komponierte er zwischen 1998 und 2000, als niemand mehr an eine aktuelle, lebendige Verbindung zwischen Pop und Neuer Musik dachte. Sein Stück besteht aus drei unabhängigen Parts, die jeder für sich eine ungeheure Spannung erzeugen. Es ist ein Drama der Entwicklung, das sich vor unseren Ohren abspielt, denn nichts löst sich so auf, wie man es erwartet, dennoch vollzieht sich das gesamte Stück mit einer unerbittlichen Logik. Man gewinnt einen Einblick in eine fremde Klangwelt — und man gewinnt ihn wirklich.

Live aufgeführt worden wäre »Professor Bad Trip« im Gloria und zwar vom Ensemble Modern, dem Frankfurter Schlachtross der Avantgarde, das für Grenz- und Einzelgänger wie eben Romitelli seit jeher ein Händchen hat. Wäre: Denn die Corona-Krise verhindert dieses Jahr ein Acht-Brücken-Festival, das vor Publikum stattfinden kann. Es bleibt für die Konzerte im Mai nur der Stream. Für die Musik von Romitelli ist das bitter, denn sie müsste als Klang im realen Raum erfahren werden. Ein wenig Trotz muss man dieses Jahr schon mitbringen, um dieser Musik die Treue zu halten.

achtbruecken.de/mediathek