Hyperfluide Konstellationen: The Luvmenauts

Blanke Tableaus

Jazz-Kurzformate befeuern den neuen Hype um diese Musik

Mit Jazz-Alben assoziiert man überbordende Meisterwerke, modernen Interpreten reichen die Länge einer Schallplatte meistens nicht. Flying Lotus, Kamasi Washington, Thundercat — da müssen es auch mal Triple-LPs sein, damit sie alles ausdrücken können, was ihnen so durch den Kopf schießt. Da gerät schnell in Vergessenheit, dass es durchaus eine Geschichte der Jazz-Single gibt — diese Tradition wird unter anderem von zwei vortrefflichen Labels from around the corner hochgehalten: einerseits das britische Label Mr. Bongo und dann We Jazz aus Helsinki.

We Jazz ist kein spezifisch finnisches Label, sondern versteht sich als skandinavisches, das die Szene Nordeuropas abbildet wie kaum ein anderes dieser Tage. Zwei prominente Vertreter dieser Szene heißen Otis Sandsjö und Petter Eldh. Aus Berlin agierend produzieren die beiden in hyperfluiden Konstellationen vielfach Platten jedes Jahr. Eldhs Kombo Koma Saxo strahlt noch ein wenig heller als andere Bands. Das kann man nicht nur auf dem Live-Album hören, das demnächst erscheint, sondern auch auf der B-Seite der Antti-Lötjönnen-Platte »Erzeben Straße«. So wunderbar gediegen das Original-Stück der Finnin auch klingt, ist das Highlight sicher der Remix. Flirrender, hochgradig fragmentierter Jazz, der hin- und herhüpft, sich verliert, einfach woanders wieder anfängt — ADHS als Musik.

Neben den beiden vorgenannten Labels gibt es übrigens auch aus der Bundesrepublik Vertreter*innen des geneigten Kurzformats. Das Label des Berliners Max Weißenfeldt aka Max Whitefield mit dem Namen Philophon zum Beispiel. Der Drummer, der sich verdient gemacht hat um funkige Jazz-Entwürfe, die behände globale Musiken miteinander vereinen, hat nicht nur schon vor einiger Zeit eine ganz superbe Idris Ackamoor 7-Inch-Single veröffentlicht, sondern presst nun auch den alten Techno-Veteranen Jimi Tenor auf das kleine Format. Tenor hat an gleicher Stelle gerade erst ein Album veröffentlicht und fummelt sich hier durch die Welt der elektrischen Triebe. Die beiden Remixe sind tolle Pop-Produktionen mit einer gewissen Danceability. Bisken funky, bisken verschroben.

Anhand dieser Mini-Auswahl könnte man versuchen, einige Gedanken abzuleiten, warum gerade neumodische Labels und Acts aufgeschlossen sind — nicht nur Jazz gegenüber, sondern eben auch Formaten abseits der LP. Gerade Jazzmusiker*innen haben in den letzten Jahren bewiesen, dass sie nur noch lose von Genre-Grenzen und Ideengeschichten beeinflusst sind. Vielmehr steht meist ein vages Konzept, Ambiente  oder nur ein Gefühl im Mittelpunkt der Aufnahmen, manchmal reicht sogar ein Stichwort in Form eines Youtube-Videos einer lang vergessenen Platte vom anderen Ende der Welt. Jede Veröffentlichung ein blankes Tableau im rhizomatisch verästelten Oeuvre. Dafür muss es gar nicht mehr das große Doppel-LP-Format sein, sondern kommt konzentrierter und fokussierter im Kurzformat daher.

Wer ehrlich ist, wird sowieso zugeben, dass der neue Hype um Jazz sich viel weniger aus den (natürlich trotzdem vitalen) Szenen Kontinentaleuropas speist, sondern den Ursprung in London und New York, Chicago und LA hat, wo man schon viel länger auch auf Hybridisierung und globales Diggertum setzt. Wer etwa 20-jährige Kids bei Jazz-Konzerten crowdsurfen sehen möchte, der muss entweder zu The Comet Is Coming oder zu den smarten Kids von BADBADNOTGOOD: richtige HipHop-Heads, die es geschafft haben, die Devianz und Sexyness von Wu-Tang-Clan bis Danny Brown in einen Jazz-Rahmen zu übersetzen.

Lustigerweise krempeln ein paar Jungs aus Toronto die Nummer gleich wieder auf links, verpflichten sich frisch errungene Freiheiten wieder in den Dienst der Retromanie zu stellen. The Luvmenauts kennen sich entsprechend gut mit Wayne Shorter aus und haben in den vergangenen zehn Jahren auch die ein oder andere Anadol- und Psych-Rock-Platte gehört. Ihre EP »Extravehicular Activity« ist trotz einiger Breitbeinigkeit richtig gut und ein interessanter Entwurf, der tatsächlich funktioniert. Liegt dann womöglich auch daran, dass Leland Whitty, seines Zeichens Saxofonist von BADBADNOTGOOD, daran mitgewerkelt hat und auch ein paar Riffs spendet.

Im Gegensatz zu früheren Epochen scheinen Hybridiserung und Synthetisierung aber keine Einbahnstraße mehr zu sein: Das wiederum ermöglicht es jungen Künstler*innen, auch abseits Euramerika frische Entwürfe zu enttwerfen, ohne dass das Ergebnis als Weltmusik abgestempelt werden könnte. So etwa der zweite Release des Kompakt-Gründers Michael Mayer und seines Labels IMARA: Servicio Al Cliente. Auf der selbstbetitelten EP verzaubert die Kolumbianerin Juliana Martinez schnell mit ihren Elektro-Pop-inspirierten Tracks. Es sind schlichte Nummern, nie overworked. Sie erinnern an die Zeit Ende der Nuller Jahre, als Pop-Perlen von Assen wie DJ Koze veredelt wurden und sich geschickt in Jahresbestenlisten einnisteten, trotzdem weitgehend übersehen vom großen Publikum immer Geheimtipps blieben.

Mit sechs Tracks auf 22 Minuten ist »Servicio Al Cliente« direkt auch der Inbegriff von dem, was eine EP zu leisten vermag: Nicht der große Bogen, nicht der Bildungsroman wartet hier, sondern eher einer Erzählung — einer Kurzgeschichte gleich mit einem ab­rupten Anfang und einem vollkommenen Ende.

Antti Lötjönen / Koma Saxo, »Erzeben Straße« (We Jazz /Groove Attack), bereits erschienen

Jimi Tenor, »Mysteria (Electric Remix)« (Philophon / Groove Attack), bereits erschienen

The Luvmenauts, »Extravehicular Activity« (Do Right! Music), digital bereits erschienen / Vinyl folgt

Servicio Al Clienta, Dito (Imara / Kompakt), bereits erschienen