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»Crisis« von Nicholas Jarecki

Nicholas Jareckis Jagd durch die Genres ­erreicht bald einen kritischen Punkt

Jedes Jahr sterben in den USA knapp 50.000 Menschen an einer Überdosis Opioide. »Das ist nicht unsere Verantwortung«, wiegelt eine der Figuren ab und Gary Oldman schreit zurück: »Wessen Verantwortung ist es dann?« Das ist die zentrale Frage von »Crisis«, für den Regisseur Nicholas Jarecki (»Arbitrage — Der Preis der Macht«) das Konzept von Steven Soderberghs »Traffic — Macht des Kartells« von der mexikanischen an die kanadische Grenze verlegt hat: ein Ensemblefilm, der in drei parallelen Handlungssträngen verschiedene Perspektiven auf die Opioidkrise in den Vereinigten Staaten wirft. Oldman spielt einen Biologen, der Studien zu einem neuen Schmerzmittel durchführt und seine Karriere riskiert, als er sich mit großen Pharmakonzernen anlegt. Armie Hammer infiltriert als Undercover-Agent einen zwischen Chicago und Montréal operierenden Drogenring, während er sich um seine heroinabhängige Schwester (Lily-Rose Depp) kümmern muss. Und die Architektin Claire (Evangeline Lilly) macht sich nach dem Tod ihres Sohnes auf eigene Faust auf die Suche nach jemandem, den sie zur Verantwortung ziehen kann.

»Crisis« beginnt mit Drohnenaufnahmen des verschneiten Grenzgebietes zwischen den USA und Kanada. Im Verlauf des Films greift Jarecki immer wieder auf solche Einstellungen zurück, zeigt Autofahrten und die Fußwege der Figuren durch protzige Bürogebäude und lange Flure. Bilder für den zermürbenden Kampf gegen ein komplexes System, wobei bezeichnenderweise der lokale Drogenboss aussieht wie der nette Opa von nebenan, während die CEOs der Pharmafirmen, allen voran eine stählerne Veronica Ferres, in ihren Anzügen und mit den versteinerten Gesichtern Bösewicht-Karikaturen fast wie aus einem Austin-Powers-Film abgeben. Aber von Anfang gelingt es »Crisis« nicht so recht, sich auf einen passenden Rhythmus einzupendeln: Vom investigativen Whistleblower-Drama wird er zum Actionfilm, im nächsten Atemzug zur Detektivgeschichte und schließlich zum Rachethriller. Die Schicksale der Figuren bleiben bei diesen hastigen Moduswechseln lediglich Anrisse; zu unterentwickelt, um in den emotionalen Momenten Mitgefühl zu wecken. Zum bemerkenswerten Genrebeitrag reicht es ebenfalls nicht, dafür verlässt sich Jarecki zu stark auf routinierte Standardszenen. Am Ende verfestigt sich das Bild von »Crisis« als Fingerübung für seinen durchaus beeindruckenden Cast. Ein Problemfilm, der pflichtschuldig die verschiedenen Aspekte seines Sujets abhakt und dabei seine Aussagen bis zur Unkenntlichkeit verwässert.

(dto) USA/CA/BE 2021, R: Nicholas Jarecki, D: Gary Oldman, Armie Hammer, Evangeline Lilly, 118 Min.