Dorfpunk und stolz darauf: Tijan Sila, Foto: Miriam Stanke

Punk als Rettung

»Krach« von Tijan Sila ist ein Roman über den Abschied von der Jugend in der Provinz

In den späten Neunzigern in der pfälzischen Provinz zwischen Landau und Heidelberg, in Post-Wende- und Post-Jugoslawienkriegs-Verhältnissen zwischen Baseballschläger-Nazis und Dorfkneipe wird Gansi erwachsen. Er macht gerade sein Abi, spielt Gitarre in der Punkband Pur Jus, ist heimlich in Sängerin Ursel verliebt und hat keine Ahnung, was er jenseits von Musik mit seinem Leben anfangen soll. Einige Jahre zuvor waren seine Eltern mit ihm und seinen Schwestern aus Bosnien nach Deutschland geflohen. Den Krieg haben sie zwar hinter sich gelassen, Gewalt umgibt den 18-jähirgen Sabahudin, genannt Gansi, und seine Band jedoch nach wie vor: »Etwa zwanzig Glatzen standen auf der Straße zwischen dem Skatepark und einer vernagelten Kasernensiedlung. Die Punks waren dabei, sich auf den Rampen zu versammeln. Beide Seiten hatten sich bewaffnet, die Punks mit Stöcken und Flaschen, viele der Nazis mit Baseballschlägern.«

Diese Szenen aus »Krach«, dem dritten Roman von Tijan Sila, spielen sich bei einem der seltenen Konzerte von Pur Jus ab, wo sie irgendwo in der sächsischen Provinz zwischen die Fronten von Antifa und Nazischlägern geraten. Aus Calvusberg, ihrer fiktiven Heimatstadt, sind sie es gewohnt, auszuteilen und einzustecken, müssen sich mit den Dorfnazis, Kneipenschlägern und Türstehern herumschlagen. Irgendwie wollen Gansi, Ursel, Pirmin und Beppo raus aus der Enge der Kleinstadt, wissen aber auch nicht recht, wohin. Sie wissen allerdings sehr genau, was sie nicht wollen: Milchbrötchen-Punks, Tocotronic-Gymnasiasten und Hippie-Juzler. Und so sind die vier nirgendwo so richtig zuhause, weder im Club »Fiasko«, wo sie alle kennen, noch in den Städten der Umgebung: »Für Mannheimer waren wir Calvusberger ein Haufen unpolitischer Hinterwäldler. Für uns wiederum waren die Mann­heimer sauertöpfische linke Klemmis, die nicht wussten, wie man feiert.« Allen vier ist klar, dass diese Zeit der Jugend endlich ist, dass sich am Horizont schon ihr Ende abzeichnet, egal wie laut sie ihre Gitarren drehen.

Tijan Silas Roman pendelt zwischen der Melancholie des Abschieds von der Jugend, der Euphorie des Aufbruchs, der Kraft der Musik und der Gewalt, die immer wieder ins Leben des Protagonisten hereinbricht. Diese Gewalt ist vielförmig und geht nicht nur von pfälzischen und sächsischen Nazischlägern aus, sie kommt auch in Form von Abschiedebescheiden für Klassenkameraden daher, in Gestalt von Alltagsrassismus und Kriegstraumata. Ein Roman angefüllt von Krach, geschrieben voller Liebe für Punk, der Menschen in der Provinz tatsächlich retten kann.

Tijan Sila: »Krach«, Kiepenheuer & Witsch, 256 Seiten, 20 Euro