»Wir fordern Zugang für alle«: Gesundheitsamt am Neumarkt

Einfach, gut, günstig

Gibt es in Köln bald einen Anonymen Krankenschein?

Wer krank ist, geht zum Arzt? So einfach ist das für viele Menschen nicht. In einer Studie von 2007 ist von mindestens 20.000 »Menschen ohne Papiere« in Köln die Rede. Aktuellere Zahlen gibt es nicht, doch durch den großen Anstieg der Asylanträge vor rund fünf Jahren dürften es heute wesentlich mehr sein. Es sind Menschen, deren Duldung abgelaufen ist oder die nie bei einer Behörde vorstellig wurden, Saisonarbeiter, Obdachlose. »Aus Angst vor Abschiebung meiden sie Arztbesuche und riskieren, dass sich die Erkrankung verschlimmert oder chronifiziert«, sagt die Kölner Psychologiestudentin Hannah.

Hannah gründete im vergangenen September mit anderen Studierenden eine »Medinetz«-Gruppe, damit Menschen ohne Papiere medizinisch gut versorgt werden: »Wir fordern Zugang zur Regelversorgung für alle«, sagt sie. Geht es nach ihr, soll dies in Köln bald mit einem Anonymen Krankenschein möglich sein. Er soll auf einen selbstgewählten Namen ausgestellt werden können, um eine Ärztin oder einen Arzt nach Wahl aufzusuchen. Die Krankenkassen übernähmen zunächst die Kosten, die Stadt erstattete diese dann über einen Fonds zurück. In Berlin, Hamburg und Thüringen gibt es bereits einen Anonymen Krankenschein, Bonn hat die Einführung gerade beschlossen.

»So können die Menschen vorhandene medizinische Strukturen nutzen, und es müssen nicht zusätzliche humanitäre Hilfsangebote aufgebaut werden«, sagt Hannah. Es könne nicht sein, dass das Grundrecht auf Gesundheitsversorgung größtenteils ehrenamtlich getragen werde. Seit 2016 gibt es die Clearingstelle Migration und Gesundheit in Köln, getragen von Caritas, Diakonie und Gesundheitsamt. Dort können EU-Bürgerinnen und -Bürger sowie Geflüchtete ihren Anspruch auf Kranken­versicherungs­schutz prüfen lassen. Doch für Menschen ohne Papiere bleibt oft nur der Verweis an einzelne Ärzte und Institutionen, die eine kostenlose und anonyme Behandlung anbieten, etwa die »Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung« in Lindenthal.

Im Jahr 2020 wurden dort 1742 Behandlungen im St.-Hildegardis-Krankenhaus durchgeführt. Doch handelt es sich in erster Linie um Notfallversorgung. »Wir fordern adäquate Versorgung auch für Menschen mit chronischen Erkrankungen und milden Symptomen«, sagt Hannah. Viele Menschen ohne Papiere benötigten zudem psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung.

Als Folge der Studie »Menschen ohne Papiere« von 2007 entstand das »Netzwerk für Menschen ohne Papiere«; die Stadt stellt bereits jährliche Mittel für Beratung und Ausgaben im Gesundheits­bereich bereit. »Diese Strukturen könnte man für den Anonymen Krankenschein nutzen, zusätzliche Kosten für Gehälter braucht es nicht«, sagt Claus-Ulrich Prölß vom Kölner Flüchtlingsrat. Er rechnet mit jährlich etwa 400.000 Euro für den Anonymen Krankenschein. Ende Mai steht das Thema beim Runden Tisch für Flüchtlings­fragen an.

Auch das Ratsbündnis aus Grünen, CDU und Volt hat angekündigt, die Einführung des Krankenscheins zu unterstützen. Zudem hat die SPD eine Anfrage an die Verwaltung gestellt, in der es neben der allgemeinen Situation von Menschen ohne Papiere um einen Anonymen Krankenschein nach Bonner Vorbild geht.  »Ärzte können hier und da Menschen ohne Papiere ehrenamtlich behandeln«, sagt Michael Paetzold, gesund­heits­politischer Sprecher der SPD. »Für größere Behandlungen muss jemand aufkommen.« Man könne auch Krankenhäuser nicht auf den Kosten sitzen lassen. »Es darf aber auch kein Tourismus ins deutsche Gesundheitssystem entstehen«, so Paetzold.

Der Medinetz-Gruppe geht es vor allem um das Grundrecht auf medizinische Behandlung. Ein Anonymer Krankenschein sei auch in der Pandemie sinnvoll, sagt die Studentin Hannah. »Wenn nicht alle geimpft werden können, erhöht sich das Risiko für die ganze Stadt.«