»Sie müssen offen bleiben«: Landtagsabgeordneter Jochen Ott vor der Grundschule in Porz-Zentrum

»Wir werden den Super-GAU erleben«

SPD-Schulpolitiker Jochen Ott erklärt, was passieren muss, damit Kinder nicht abgehängt werden

Herr Ott, die Landesschulministerin Yvonne Gebauer hat einen »schulscharfen Sozial-Index« für »mehr Bildungs- und Chancengerechtigkeit« angekündigt. Schulen in Sozialräumen sollen mehr Personal bekommen. Gut, oder?

Ein wissenschaftlich entwickelter Sozial-Index ist sinnvoll. Aber was Frau Gebauer verkauft, ist eine Mogelpackung. Es werden kaum Stellen neu geschaffen, sondern nur umgepolt, die dann anderswo fehlen. Das wäre etwa so, als wenn der 1.FC Köln mit seinem Geld und Personal Schalke 04 in der ersten Liga halten müsste. Was vorgelegt wurde, ist ohne Pandemie zu wenig, und mit erst recht.

In Studien galten Kinder mal mehr, mal weniger als Treiber der Pandemie. Sind Schulschließungen über diesen langen Zeitraum richtig?

Nein! Sie müssen offen bleiben! Es fehlte von Anfang an eine Strategie, die sichere Schulen ermöglichte mit kleineren Lerngruppen, außerschulischen Lernorten und Corona-Tests. So wäre es möglich gewesen, jedes Kind zwei- bis dreimal in der Woche zu sehen. Wir haben ein geniales Angebot an Theatern, Bildungseinrichtungen, Museen, Jugendherbergen oder Naturzentren mit tollen Leuten, die wegen des Shutdowns ein finanziell schwieriges Jahr hatten und gerne gearbeitet hätten. Wir sollten Bildung endlich anders denken. Zukunftsforscher sagen eh, die Schulfächer sind nicht zukunftsfähig! Was Kinder gerade jetzt brauchen sind kreative Kompetenzen, um für die Herausforderungen von morgen Lösungskompetenz zu erwerben.

Das Schuljahr geht zu Ende, die meisten Kinder haben öfter zu Hause als in der Schule gelernt. Was kann man gegen die sozialen Folgen und Wissenslücken tun?

Es geht jetzt nicht nur darum, die Kinder kognitiv, sondern vor allem sozial-emotional aufzufangen. Die SPD hat eine Förder-Offensive im Landtag eingebracht: Jedes Kind soll ab dem neuen Schuljahr zwei Stunden pro Woche zusätzlichen Unterricht in dem Fach bekommen, in dem es Lücken hat. Dafür braucht es individuelle Förderpläne. Statt Klassenarbeiten schreiben zu lassen, sollte man schauen, wo jedes Kind steht, damit wir nach den Ferien da ansetzen können. Diese »Pädagogik first«-Ansage müsste jetzt vom Schulministerium kommen. Aber es gibt kein Konzept, wie immer. Wenn es nicht gelingt, ein pädagogisches Schuljahr zu machen, in dem man die Kinder in den Mittelpunkt stellt, droht ein Desaster.

Diese Landesregierung wäre aber nicht die erste, die bildungspolitisch scheitert.

Das nächste Schuljahr wird entscheidend sein: Die Viertklässler werden vieles nicht gelernt haben. Wir müssen die G-8-Jahrgänge im Blick haben, die quasi ein Turbo-Abi mit G -7 haben. Und was ist mit den Erst- und Zweitklässlern, die nicht richtig Lesen und Schreiben gelernt haben? Die Liste ließe sich endlos fortsetzen... Wenn am Ende nur fünf Prozent aller Eltern ihre Kinder freiwillig ein Jahr wiederholen lassen, wo sollen sie sitzen? Ich befürchte, das Land würde mit Klagen übersät, wenn die Kinder reihenweise nach der 6. Klasse vom Gymnasium abgeschult werden. Wo sollen sie dann hin? Sind ja alle Schulen voll. Auf eine solche Herausforderung ist dieses Ministerium nicht vorbereitet — und die Stadtverwaltung auch nicht. Wenn wir jetzt nicht zusätzliche Angebote der Unterstützung bieten, verlieren wir diese Kinder.

Der Schulplatzmangel ist schon jetzt dramatisch. Dieses Jahr wurden sogar Plätze an weiterführenden Schulen verlost.

2015 habe ich als Kölner OB-Kandidat gesagt: »Wir werden Anfang 2020 den Super-GAU erleben.« Nicht, weil ich so klug war, sondern weil ich mir die Geburtenzahlen ab 2010 angeschaut habe. Die Kurve stieg an, ab 2012 sogar steil, und zwar gegen aller Erwartungen in Veedeln wie Sülz, Nippes oder der Südstadt. Man musste kein Hellseher sein, um auszurechnen, wann und wo die Kinder in die Schule gehen. Wenn nichts passiert, ist dieses Jahr nur ein kleiner Vorgeschmack auf die nächsten Jahre.

Das Kölner Schuldezernat ist SPD geführt...

Aber ohne Mehrheit im Rat und ohne Kompetenz für die wesentlichen Stellschrauben: Schulbau, Gebäudewirtschaft und Flächen. Die Oberbürgermeisterin hat das Thema gegen besseren Wissens nie zur Chefsache gemacht. Wie sollen wir bis 2030 denn 50 Schulen in Köln bauen? In Düsseldorf werden Schulen innerhalb von drei Jahren gebaut! In Köln diskutiert man lieber Jahre lang — keine Führung, keine Entscheidung.

Eine neue Schulbau GmbH soll doch Tempo reinbringen.

Wir müssen mehrgleisig fahren: Wir brauchen private Firmen, müssen die Zügigkeiten an den Schulen erweitern und zusätzliche Räume, etwa an der Uni oder in Bildungszentren, nutzen. Und wir dürfen Klima und Bildung nicht gegeneinander ausspielen. Leider sagt die Grünen-Ratsfraktion: »Keine Schulen auf Grünflächen.« Der Schuldezernent sucht meines Wissens jetzt das Gespräch mit »Fridays for Future«, die sich für ein absolut wichtiges Thema einsetzen. Aber man kann man doch nicht sagen: In Köln retten wir das Klima, aber es können nicht alle Kinder zur Schule gehen oder sie sitzen mit 35 Kindern in der Klasse!