Clublander Marie Montexier und Phillip Jondo

Wir haben uns mit zwei Kölner DJs unterhalten und sie nach ihren Lockdown-Erfahrungen gefragt. Die Ausgangspunkte sind jeweils entgegengesetzt: Während Phillip Jondo seit mindestens drei Jahren eine feste Größe — nicht nur — im Kölner Club- und Elektronikgeschehen ist und immer für einen unkonventionellen Move gut ist, steht Marie Montexier noch am Anfang.

Wilder Ritt auch im Lockdown

Marie Montexier musste sich im letzten Jahr neu orientieren

An einem eisigen Februar-Abend im Jahr 2020, treffe ich Marie
Montexier zum ersten Mal. Kurz vor dem Lockdown #1, lernen wir uns am unscheinbaren Bahnhof von Lüdenscheid kennen, wir sind beide auf dem Weg zu einem Gig. Die Wendelpfad-Crew, die uns eingeladen hat, hat Marie als Hauptact für ihre Partyreihe »Import« gebucht.
Marie ist locker, zum Scherzen aufgelegt und beim gemeinsamen Abendessen vor dem Auftritt ganz sie selbst. Von Aufgeregtheit keine Spur, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt gerade mal ein gutes Jahr das Rodeo der regelmäßigen DJ-Reisen mitgemacht hat.

Mit ihrem eigenen Stil, der Techno, Breaks, Acid und Electro zu einem wildem Ritt verbindet, hat sie schnell internationale Aufmerksamkeit erfahren. Auch an diesem Abend liebt die Crowd in der alternativen Industrielocation mit viel Herz das Set der Kölnerin. Dichter Nebel umgibt ihre zierliche Gestalt, während sie gekonnt eine Platte nach der anderen mixt.

Am Ende sind alle happy und Marie mischt sich selbst unter die Tanzenden — chapeau!
Die Anekdote macht es leicht, nachzuvollziehen, warum Marie Montexiers Tourkalender Anfang 2020 schon prall gefüllt war: Beim Melt!-Festival hätte sie spielen sollen und auch im Boiler Room gemeinsam mit Marcel Dettman und Ryan Elliot. Doch dann kamen Corona und die Zwangspause. Für eine Künstlerin, die gerade durchstarten will, kein leichtes Los.

»Zurzeit versuche ich Musik, Arbeiten und Studium gleichzeitig zu schaukeln. Es gibt bei mir feste Uni-Tage und welche, wo ich mir Zeit für Musik nehme. Gar nicht so einfach, vor allem wenn der Tag
so voll ist und gefühlt so wenige Stunden hat«, sagt sie im Interview. Ihr Umzug von Köln nach Leipzig fiel ebenfalls in die Lockdown-Zeit, was eine Erkundung der neuen Umgebung erschwert. Sie freue sich aber sehr auf die Zeit danach, in der sie Leipzig in Gänze kennenlernen könne. Ob sich Köln und Leipzig viel voneinander abschauen könnten? »Das ist wie mit Äpfeln und Birnen. Ein Vergleich macht für mich in diesem Kontext wenig Sinn. Sozioökonomisch sind Köln und Leipzig einfach sehr verschieden. Köln kann sich eine Scheibe von Leipzig abschneiden, aber umgekehrt genauso. Ich genieße es gerade, die Unterschiede kennenzulernen: Sei es der starke Aktivismus in Leipzig oder die Mentalität des Leben-und-leben-lassen in Köln.«
Doch gerade im jungen Alter sei ein Ortswechsel immer gut für die persönliche Entwicklung. Und diese Weiterentwicklung will Marie Montexier möglichst bald mit ihrer alten Heimat teilen. Sie habe große Lust, endlich eine eigene Partyreihe in Köln zu starten. »Es ist da, wo alles anfing, und hat deswegen für mich diesen besonderen Stellenwert. Ich habe mich in dieser Zeit weiterentwickelt und verändert und möchte meine Szene in Zukunft daran teilhaben lassen. Darauf freue ich mich schon sehr!«

Dass sie derzeit außerdem in der Gründungsphase ihres eigenen Labels steckt, dürfte ihre Fans daheim wahrscheinlich auch begeistern. Ob darauf endlich Produktionen von ihr selbst zu hören sein würden? »Ambitionen — ja! Zeit — nein. Obwohl dass ja auch oft eine faule Ausrede ist…« Trotzdem wurde ihr die Zeit zuhause irgendwann einfach zu viel. »Ich habe gefühlt viel an meine eigenen vier Wände gestarrt. Was ich damit meine ist, dass ich viel Zeit zuhause verbracht und manchmal sogar einen Lagerkoller bekommen habe. Aber wer nicht! Denn dadurch, dass ich mein Hobby zum Beruf mache, nehme ich meine Arbeit so oder so mit nach Hause. Das Ganze dann komplett in meinen Wohnraum zu verlegen, verändert die Art zu arbeiten nochmal, vor allem, weil die Resonanz von außen fehlt.«

Die Vorzüge der in diesen Monaten rasend schnell voranschreitenden Digitalisierung sind ihr aber bewusst. So hätten Kultur und Musik zwar auf digitale Räu­me ausweichen müssen, aber dank dem WWW habe man dennoch die Möglichkeit sich zu vernetzen, Radio Shows und Podcasts zu hören. »Ich finde die vielen Ideen und Formate, die in dieser Zeit aufgekommen sind, sehr spannend und bewundere, mit wie viel Motivation und Herzblut Kulturschaffende immer noch Räume entstehen lassen, um miteinander zu kommunizieren.«
Zu guter Letzt zählt aber doch wieder der Ausblick nach vorne, denn allem voran freut sich Marie besonders auf eines: »Sommer!«

Marie Montexiers Platten für den Lockdown:
Bufiman / Dalo (Warning / WAR1201)
MCR-T, »4 Tha Culture« (Live From Earth Klub)
Alfa Mist, »Bring Backs« (Anti-)
Global Communication, »76:14« (Dedicated)
Diverse, »Club Quarantäne Sampler I« (Club Qu)

 

Metallisch schimmernd

Phillip Jondo hat sich für seine aktuellen Produktionen anderen Hör-Erfahrungen ausgesetzt

In Zeiten vor Corona war Phillip Jondo mehr als gut beschäftigt. Seine langjährige Residency im Düsseldorfer Salon des Amateurs, hochkarätige Festival- und Club-Gigs in ganz Europa und eine regelmäßige Radioshow beim Londoner Sender NTS konnten sich sehen lassen. Das verdankt er zu großen Teilen einem recht ungewöhnlichen Ansatz als DJ, der sich Einflüssen aus Dancehall, R&B, und Rap gegenüber offen zeigt und diese gekonnt mit einer Vielzahl von elektronischen Stilen in Einklang zu bringen vermag.
Im Mai erscheint seine neue EP auf dem Amsterdamer Label Dekmantel. Auf deren Festival hätte er eigentlich im vergangenen Sommer spielen sollen, doch dann kam die Welle. Dass die im Winter 2019 entstandene Platte schon nach Lockdown-Vibes klingt, scheint fast prophetisch. Über ein Jahr nach Pandemie-Beginn haben wir mit Jondo aufgeschlossen.

Die Tracks auf seiner neuer Veröffentlichung »Little Princess« zeigen seine musikalischen Wurzeln, bedienen sich beim Hardcore Continuum sowie an Sounds aus Grime oder Jungle. Geschickt werden diese Elemente auseinander genommen, um sie neu und aufregender wieder zusammenzusetzen. So ist die Zusammenarbeit mit dem Kontrabassisten Maxwell Sterling eine bittersüße Angelegenheit. Während der erste Teil »Dunkelziffer I« noch komplett ohne Beats auskommt, schält sich im zweiten langsam ein schwerer, metallisch-minimalistischer Groove heraus, der allerdings schon bald wieder verstummt, um eisigen Synths die Bahn zu räumen. Auf der B-Seite findet sich ebenfalls eine Kooperation, diesmal mit mit DJ Plead aus Australien. Dessen libanesische Wurzeln äußern sich in einem wilden Reigen von Percussions, während subbige Bässe und digitale Flutes den Track nach vorne drücken. Alle Stücke beweisen eindrucksvoll die Bandbreite von Jondos Kreativität, der sich ungern auf ein Tempo oder gar Genre festnageln lässt.

Obwohl es ihm in Zukunft wahrscheinlich nicht an Gigs mangeln wird, gerade mit der aktuellen Veröffentlichung auf einem so einflussreichen Label wie Dekmantel, hat ihn die Corona-Krise nachdenklich gemacht: »Man hat natürlich viel Zeit nachzudenken und zu reflektieren, was man eigentlich wirklich möchte. Phasenweise hatte ich das Gefühl, etwas aufgeschmissen zu sein, ohne Events spielen zu können. Wobei ich gar nicht ausschließlich als DJ gearbeitet hab. Dennoch hatte ich sehr das Bedürfnis, mich Corona-bedingt auch außerhalb vom Event/Live-Kontext breiter aufzustellen. Ich hatte ohnehin ein starkes Bedürfnis neue Dinge zu lernen und mein Skillset zu erweitern.«

Was DJ-Mixes und Streams angeht, versucht Jondo sich auf die SPA-Show für NTS zu konzentrieren. Die Livestream-Events und Online-Sets, die während der Pandemie-Anfänge inflationär zunahmen, ließ er größtenteils unbeachtet. Stattdessen macht er sich jetzt umso mehr Gedanken, bevor er aufnimmt. »Wahrscheinlich sammle ich für ein halbes Jahr Tracks, bevor ich überhaupt erst anfange aufzunehmen. Ich hab kein Interesse jeden x-beliebigen Track, der gerade mal knallt, in meinem Mix zu spielen. Ich will nur die Tunes, bei denen ich denke: Das ist genau das, was entweder mir entspricht, in den Kontext des Mixes oder der Venue gehört — und das hoffentlich für immer.«

Diese Herangehensweise kommt ihm auch bei der Arbeit als A&R für das Kölner Label SPA zugute. Das gemeinsam mit Friday Dunard und DJ Brom betriebene Label passt in seiner vielfältigen aber dennoch sehr präzisen Soundästhetik wunderbar zu Jondos eigener »Little Princess EP« — es überrascht also nicht, dass SPA bereits drei der vier auf der Platte vertretenen Künstlern veröffentlicht hat. Wenn man diese Tracks hört, überrascht es zu erfahren, dass die Stücke noch vor Corona in ganz klassischer, persönlicher Zusammenarbeit entstanden sind.

Die Stücke referenzieren in ihrer Dekonstruktion von Club-Elementen zwar offensichtlich dessen Kontext, im Aufbau sind es aber Songs statt Tracks, die sich fast schon dem Home-Listening anbieten. Eine ungewöhnlich gut zu den aktuellen Zeiten passende Hör-Erfahrung.

Was die Zukunft angeht, hofft der DJ in Jondo, dass dieses Jahr noch einige der bereits abgesagten Veranstaltungen wiederholt werden können. Als Produzent aber guckt er sich, auch aufgrund der Krise, verstärkt nach neuen Möglichkeiten um: »Ich habe definitiv Lust, andere Musik zu realisieren. Ich arbeite für thecollectivestudio.co als Composer, mache dementsprechend unterschiedliche Musiken und versuche weniger Jondo-Musik aufzunehmen, sondern vielmehr mir ein stilgerechtes Port­folio zu entwickeln.«

Tonträger: »Little Princess EP«, voraussichtlich am 25.6. auf Dekmantel.
Jondos Platten für den Lockdown:
Luxxuryproblems, Upcoming Release (SPA)
DÆMON, Modulaw & Xzavier Stone, »The Game« (modulaw.bandcamp.com/album/the-game)
2LADE Smerz, »Believer« (XL)
Maxwell Sterling, »Turn of Phrase« (Ad 93)