Anders sehen, anders denken: Donna Haraway

Gedankliche Tentakel

Das Internationale Frauen* Film Fest lädt online dazu ein, Natur, Technik und Kultur mit anderen Augen zu betrachten

Hängt die Klimakrise auch mit unserer Art der Wahrnehmung zusammen? Liegt ein Problem darin, dass wir uns als von der Natur getrennt betrachten? Was, wenn wir Tiere und Pflanzen als Wahlverwandte betrachten, Verbündete im Kampf um ein lebenswertes Leben auf diesem Planeten? Diesen und ähnlichen Fragen spüren die Filme nach, die das Internationale Frauen* Film Fest Dortmund und Köln (IFFF) vom 15. bis zum 20. Juni in den Fokus nimmt.

Unter dem Motto »The Connection: Von Pflanzen, Menschen und anderen Tieren« laden Dokumentationen und Kurzfilme zum Perspektivwechsel ein. So denkt Filmemacherin Lisa Truttmann in ihrem essayistischen Dokumentarfilm »Tarpaulins« über die komplexen Verbindungen zwischen Termiten, Schädlingsbekämpfern, der Immobilienwirtschaft und Klimaschäden in Kalifornien nach, indem sie den bunten Zeltplanen, Tarpaulins genannt, folgt, in die befallene Häuser eingehüllt werden, bevor das Gas einströmt, um die Termiten zu töten. Dabei ergeben sich erstaunliche Parallelen zwischen der unermüdlichen Geschäftigkeit der Tiere und der ihrer Bekämpfer.

Um die tieferen Zusammenhänge zwischen den Menschen und der von ihnen beobachteten und auf Fotos sowie in Filmaufnahmen gebannten Umwelt geht es in »Becoming Animal«. Die Filmemacher*­innen Emma Davie und Peter Mettler lassen den Philosophen und Kulturökologen David Abram seine Thesen zum Umgang des Menschen mit der Natur inmitten verschiedener Landschaften entfalten. Daraus wird ein Erlebnis für alle Sinne, wenn er das Röhren brünftiger Elche mit Musik assoziiert oder wenn die Kamera in die Haut eines Vogels schlüpft und über grüne Hügel gleitet. Die beobachteten Objekte werden zu Subjekten mit eigener Wahrnehmung, die auf ihre Betrachter zurückschauen. Immer wieder kommentieren und reflektieren Davie und Mettler dabei auch ihre eigene Rolle als Filmende.

In der Dokumentation »Donna Haraway — Story Telling on Earthly Survival« von Fabrizio Terranova kommt schließlich die vielleicht prominenteste Vertreterin für ein verantwortungsvolles und symbiotisches Miteinander von menschlichen und nicht-menschlichen Existenzen zu Wort. Humorvoll, lebensklug und mitreißend spannt die Naturwissenschaftstheoretikerin Fäden zwischen allem, was auf Erden kreucht und fleucht. Zwischen Natur, Technik und Kultur. Nur in speziesübergreifender Kooperation lassen sich politische und wirtschaftliche Missstände und patriarchale hierarchische Strukturen überwinden, lässt sich das Leben in seiner Vielfalt auf unserem lädierten Planeten erhalten, folgt man Haraway. Terranova setzt die Autorin von »Ein Manifest für Cyborgs« mit allerhand visuellen Spielereien in Szene, was sie gutgelaunt in ihre oft auch sehr persönlichen Erzählungen mit aufnimmt. Der Film macht Lust, sich mit ihren »gedanklichen Tentakeln« ausgiebiger auseinanderzusetzen.

Corona geschuldet wird das IFFF in diesem Jahr ins Internet verlegt. Die siebzig Filme des Programms können über die eigens dafür neu programmierte Festival-Website gestreamt werden. Daneben werfen die Veranstalterinnen täglich beim Morgenstatement aus dem Festivalbüro einen Blick auf das Tagesprogramm, laden in die digitale Wonder-Bar ein, wo Begegnungen und Austausch per Avatar möglich sind, und veranstalten jeden Abend Live-Talks mit Filmemacher*innen und anderen Gästen, bei denen die Zuschauer*­innen per Chat Fragen stellen können. Clips, Filmausschnitte und Interviews auf Website und Social Media flankieren das Programm.

Mit dem aufwändigen Relaunch des Internetauftritts ging auch eine Überarbeitung des gesamten Designs einher, erklärt Stefanie Görtz vom IFFF: »Auf unsere Ausschreibung im letzten Jahr haben wir tolle Entwürfe und bundesweite Einreichungen bekommen.« Der Auftrag ging schließlich an die Grafik-Designerin Ina Bunge aus Dortmund. Den Anstoß für den neuen Look und die Programmierung einer Website auf dem neuesten Stand der Technik hat nicht zuletzt Maxa Zoller gegeben, die seit 2018 das Festival leitet. Die Website biete jetzt mehr Raum für sämtliche Veranstaltungen des IFFF wie Buchveröffentlichungen oder Online-Diskussionen, sagt Stefanie Görtz. »Außerdem sind wir uns der historischen Bedeutung bewusst: Wir haben uns entschieden, die alten Programme des Festivals auf der Website zu archivieren, um die Arbeit von Frauen in der Filmbranche sichtbar zu halten.« Im Laufe des Jahres werde deshalb der alte Content in das Archiv auf der Website integriert.

Im internationalen Spielfilmwettbewerb für Regisseurinnen sind in diesem Jahr acht Filme zu sehen, darunter der darstellerisch und filmisch beeindruckende und an die Nieren gehende »Quo vadis, Aida?« über das Massaker von Srebrenica. Das Drama von Jasmila Žbanić (»Esmas Geheimnis«) ist kürzlich für den Auslands-Oscar nominiert gewesen. Außerdem werden Deutschlandpremieren wie »Aurora« aus Costa Rica und »Enterrés / Buried« aus Kamerun gezeigt. Ersterer erzählt in poetischen Bildern eine Geschichte über eine unkonventionelle Beziehung aufgrund einer ungewollten Schwangerschaft. Letzterer ist ein Rachedrama über Kindheitstraumata und Machtmissbrauch und zugleich eine Anklage an die katholische Kirche.

In der neuen Sektion »Spot on, NRW!«, in der Filmschaffende aus Nordrhein-Westfalen vorgestellt werden, richtet sich der Scheinwerfer auf das Dokumentarfilm-Kollektiv »Dokomotive«. Die Kölner Film­autor*innen zeigen und vertreiben ihre Filme über die »Dokomotive« genannte eigene Plattform und entwerfen damit ein solidarisches Gegenmodell zur herkömmlichen Filmdistribution.

Internationales Frauen* Film Fest ­Dortmund und Köln: Di 15.6.–So 20.6.

frauenfilmfestival.com