Schreibt momentan Serien: Die Regisseurin von »Searching Eva«, Foto: Mayte Hellenthal

»Die Schere geht auf«

Pia Hellenthal über Auswirkungen der Pandemie auf die Filmbranche und den Wunsch nach mehr Vertrauen in Dokumentarfilmemacher*innen

Wo treffen wir Sie gerade an?

Ich bin gerade in Frankreich auf dem Land und schreibe mit Visar Morina, mit dem ich auch die Filmreihe »Under The Influence« gemacht habe, an einer Miniserie. Momentan arbeiten wir an der zweiten Episode.

Sie kommen also gut durch die Krise?

Ich habe Schwein gehabt. Während des ersten Lockdowns habe ich ein Serienformat geschrieben. Es heißt »Godchild« und wird von mir zusammen mit Giorgia Malastrasi und Tom Littlewood entwickelt. Es ist ebenfalls eine Miniserie, die von der Film- und Medienstiftung NRW gefördert wurde. Darüber hinaus habe ich im Oktober 2020 im Auftrag der Bildundtonfabrik gedreht. Es war ein etwas reduzierteres Team unter Corona-Maßnahmen, aber sonst fühlte es sich recht normal an.

Sie sagen, dass Sie Glück hatten ...

Ja, es gibt viele, die Filme machen und wesentlich mehr drunter leiden. Mein Eindruck ist, dass die Corona-Situation eine Schere zwischen kleinen und großen Produktionen noch weiter aufgehen lässt. Wenn man Geld hatte, war es einfacher, weiterzuarbeiten. Ich habe irgendwo aufgeschnappt, dass es grob 20 Prozent mehr kostet, wenn man als Filmproduktion Corona-Maßnahmen einhalten will. Das können sich Low-Budget-Filme nicht leisten.

In welchen Bereichen zeigen sich weitere Auswirkungen der Krise?

Bei Festivals und Kinos. Viele, die gerade einen Film fertig gestellt haben, hadern mit der Auswertung bei den Festivals. Die ganzen Festivals finden im digitalen Raum und online statt. Viele halten ihren Film zurück, warten auf das nächste Festival, das als Präsenzveranstaltung stattfindet. Von den Schwierigkeiten der Auswertung im Kino ganz zu schweigen.

Warum reicht man Filme bei Online-Festivals nicht ein?

Es gibt die Angst, dass der Film untergeht. Filmemachern fehlt auch der Kontakt zum Publikum, man will ja gern die Reaktion der Leute spüren, sich darüber unterhalten. Sonst fühlt sich das alles sehr unwirklich an. Hinzu kommt, dass es keine Veranstaltungen gibt, das Netzwerken fällt weg. Ich glaube, dass hier einer Entwicklung Vorschub geleistet wird, die sich schon vor Corona abzeichnete: Dem Wandel des Kinos zum staatlich subventioniertem Hochkulturgut, ähnlich dem Theater oder der Oper. Das könnte passieren, wenn die vielen kleinen Kinos nicht mehr aufmachen können.

Neben Corona gab es dieser Tage einen weiteren Aufreger im Zusammenhang mit Filmen. Der Dokumentarfilm »Lovemobil« über den Alltag von Sexarbeiterinnen wurde angegriffen dafür, dass er »sich dargestellt habe wie eine Reportage«, aber inszenierte und geskriptete Stellen beinhaltete. Was denken Sie darüber?

Ich finde die Debatte befremdlich. Wenn man über Dokumentarfilm sprechen will, muss man auch über die Herstellung davon sprechen. In dieser Hinsicht greift die Diskussion zu kurz und ist reichlich überhitzt.

Ihr Film »Searching Eva« erzählt selbst hochverdichtet mit den Mitteln des Dokumentarfilms. Gab es ähnliche Vorwürfe, wie sie gegen »Lovemobil« vorgebracht werden?

Im direkten Gespräch mit dem ­Publikum ging es viel darum, was echt sei und was nicht. Bei »Searching Eva« handelt es sich um eine Figur, die sich selbst inszeniert. Das Spiel zwischen echt und unecht ist dementsprechend maßgeblich für die Form.

Glauben Sie, dass dem Publikum zum Teil auch die Medienkompetenz abgeht? Zu erkennen, was für ein Material man vor sich hat?

Medienkompetenz ist toll, das sollte ein Schulfach sein. Allerdings bleibt festzuhalten, dass »Lovemobil« von der Medienbranche abgenommen und mit Preisen ausgezeichnet wurde, nicht vom Publikum.

Hat die Diskussion Konsequenzen für Ihr Schaffen?

Bislang nicht. Ich finde generell Misch- und Hybridformen gut und möchte das gern weiterhin machen. Aber wissen Sie, was ich toll fände? Wenn sich die Debatte so auswirkt, dass den Dokumentarfilmemacher*innen mehr Vertrauen geschenkt wird, statt eine Art Drehbuch vor Drehstart zu verlangen. Ein Skript, von dem alle Beteiligten eh wissen, dass es eine Lüge ist, die in erster Linie das Thema und die Motivation begründet. Wenn das Vertrauen zur Grundlage wird, dann folgt der Film der Neugier — mit dem Risiko, dass er eben am Ende nicht rund wie ein Spielfilm ist. Das wäre doch was.

Pia Hellenthal
Die Regisseurin und Drehbuchautorin wurde 1985 in Bochum geboren. Sie schloss 2013 ihr Studium an der Kunsthochschule für Medien ab und lebt in Köln.  Hellenthal realisierte mehrere Kurzfilme. Beim Film Festival Cologne 2019 begeisterte ihr erster abendfüllender Dokumentarfilm »Searching Eva« das Publikum. Im Mittelpunkt des betörenden, zugleich auch verstörenden Films steht das Model, die Social-Media-Ikone und Sexworkerin Eva Collé, die ihr »abgefahrenes Leben« schon seit Jahren im Internet zur Schau stellt. Schonungslos, ungeschönt und gleichzeitig hochgradig inszeniert. Der Film folgt Collé und beleuchtet die Strategien, wie Angehörige der sogenannten Millenials und der Generation Z heute ihre Identität entwickeln. Die Mittel, die Pia Hellenthal dafür wählt, gelten als formsprengend und poetisch. Kürzlich ist »Searching Eva« auf DVD erschienen, inklusive bislang unveröffentlichten Szenen und Bonusmaterial.