Ungewissheit vor dem Sturm

A Stormy Night

David Moragas inszeniert sein Spielfilmdebüt als urbanes Low-Budget-Kammerspiel

Marco (David Moragas) wacht am Flughafen in New York von der Durchsage auf, dass alle Flüge wegen eines aufkommenden Sturms gestrichen wurden. Er ist gerade auf dem Zwischenstopp von Barcelona nach San Francisco und steckt nun fest. Ein Anruf bei seiner alten Collegefreundin Clara — und sie überlässt ihm ihr WG-Zimmer, sie selbst ist gerade nicht in der Stadt. Ihr Mitbewohner Alan (Jacob Perkins) erwartet Marco bereits, die beiden jungen Männer kannten sich bislang nicht. Und sie haben auf den ersten Blick wenig gemeinsam. Marco ist katalanischer Filmemacher, der einen Dokumentarfilm über seine zahlreichen Liebhaber und One Night Stands gedreht hat und stolz ist auf sein Single-Dasein. Der junge Amerikaner Alan arbeitet im Homeoffice an der Entwicklung einer Dating-App für Schwule und hat selbst einen festen Freund. Ein extrovertierter Herumtreiber und ein schüchterner Stubenhocker, scheint es. Doch so klar sind die Verhältnisse freilich nicht, von Anfang an ist ein Knistern in der Luft und der erste spontane Kuss kommt ausgerechnet von Alan. Im Laufe der nächsten zwölf Stunden entwickelt sich das Gespräch der zwei Männer aus neugierigem Herantasten, kleinen Frotzeleien und Missverständnissen zu einem Schlagabtausch mit überraschenden Wendungen, die Gegensätze weniger zwischen den beiden als in ihnen selbst sichtbar macht.

Nicht immer treffen die Dialoge dabei den richtigen Ton, klingen bisweilen konstruiert. Und auch der Sturm als Aufeinanderprallen konträrer Fronten, das alle Gewissheiten durcheinanderwirbelt, draußen wie drinnen, wird als Metapher etwas überstrapaziert. Doch Regisseur und Hauptdarsteller David Moragas nutzt in seinem Low-Budget-Spielfilmdebüt die Beschränkungen von Raum, Zeit und Personal effektiv, um ein sehr zeitgemäßes, urbanes Kammerspiel zu inszenieren, das sich im Laufe der kurzweiligen 74 Minuten zu einem Art Ausloten schwulen Selbstverständnisses weitet. Zwischen Europa, USA und anderen westlichen Ländern unterscheiden sich die großen und kleinen Sinnfragen um Liebe und Begehren, Beziehungen und Sehnsüchte letztlich gar nicht sehr. Der 28-jährige Moragas setzt auf einen nüchternen Realismus in stimmungsvollen Schwarzweißbilder, und es gelingen ihm immer wieder glaubwürdige Momente von erstaunlicher Intimität und Verletzlichkeit. Am Ende dieser Nacht muss zwar die Filmgeschichte nicht neu geschrieben werden, doch das Leben der beiden jungen Männer hat sich doch so anrührend verändert, dass man dieser lakonischen Fast-Liebeskomödie noch gern ein bisschen länger zugesehen hätte.

(dto) SPA 2020, R: David Moragas, D: Jacob Perkins, Jordan Geiger, Marc DiFranceso, 74 Min., gmfilms.de