Sehnsucht nach Freiheit

Underground Railroad

Barry Jenkins verfilmt Colson Whiteheads ­Roman über die Sklaverei als Serie

Unter dem lehmigen Scheunenboden befindet sich eine versteckte Luke. Darunter öffnet sich ein Höllenschlund. Eine lange Leiter führt hinab in die tiefe Finsternis. Cora (Thuso Mbedu) und Caesar (Aaron Pierre) zögern einen Moment, bevor sie die erste Sprosse besteigen. Aber sie wissen: Sie haben keine andere Wahl. Sie haben die Hölle bereits durchlebt. Hier oben, in Georgia, als Sklav*innen auf einer Baumwollplantage. Am Ende der Leiter wird ein Tunnel sichtbar und Gleise, die Richtung Norden in die Freiheit führen. Sie sind Teil der »Underground Railroad«, eines Fluchthilfe-Netzwerks, das sich vor dem Bürgerkrieg aktiv für die Befreiung von Sklaven einsetzt. Das Netzwerk gab es wirklich. Den Tunnel, die Schienen und die dampfende Lokomotive, die in der gleichnamigen Serie des Oscarpreisträgers Barry Jenkins (»Moonlight«) kurz darauf einfährt, sind erfunden. Er wolle nicht bei den Fakten, sondern bei der Wahrheit bleiben, sagte Colson Whitehead — der Autor der Romanvorlage, die 2017 mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet wurde. Und so wird die unterirdische Eisenbahn auch im Film zur fantastischen Metapher und zu einem Zeichen der Hoffnung, das seine Versprechen nicht immer einlösen kann. Denn die Odyssee der Flüchtigen führt keineswegs direkt in die Freiheit, sondern über mehrere Stationen tief in ein Amerika hinein, das seinen Rassismus in den verschiedensten Facetten grausam kultiviert hat. In Georgia werden die Sklav*innen durch Zwangsarbeit geschunden und wie Vieh gezüchtet. Jenkins zeigt die Grausamkeit in einem notwendigen Maß, verzichtet dabei aber auf emotionale Verstärkereffekte. In South Carolina wurde die Sklaverei auf dem Papier abgeschafft. Aber das Paradies ist nur ein Deckmantel für ein perfides medizinisches Programm, das die Sterilisation der ehemaligen Sklav*innen abzielt. In einer religiösen Gemeinde in North Carolina kommt die dunkle Hautfarbe einem Todesurteil gleich. Das Lynchsystem ist die Ausgeburt einer weißen Überlegenheitsideologie, die bis heute am rechten Rand der Trump-Wählerschaft höchst lebendig ist. Wie schon »Moonlight« und »Beale Street« ist auch Jenkins’ Whitehead-Adaption von einer visuellen Stilsicherheit und einer geradezu haptischen Empathie für seine Figuren angetrieben. Dem System der Entmenschlichung wird hier die Rehumanisierung der Heldin entgegengestellt, die nur allmählich die inneren Ketten des Sklavendaseins sprengt. Die Südafrikanerin Thuso Mbedu stellt den Schmerz, den Überlebenswillen und die Transformation ihrer Figur mit einer ungeheuren, schauspielerischen Bandbreite dar und verliert über nahezu zehn TV-Stunden nie an emotionaler Anziehungskraft.

(dito) USA 2021, R: Barry Jenkins, D: Thuso Mbedu, Joel Edgerton, Aaron Pierre, 10 Folgen, auf Amazon Prime verfügbar