Jesus, der Revoluzzer: Yvan Sagnet in »Das Neue Evangelium«, Foto: Armin SmailovicFruitmarket / Langfilm IIPM

Das Versprechen der Aufklärung

Der Sammelband »The Art of Resistance« fragt, wie politisch Theater sein kann

Das Theater ist für Milo Rau eine Weltverbesserungsmaschine: ein Apparat, den er anschmeißt und bei dem am Ende nie einfach nur Kunst herauskommt. Echte, politische Kampagnen, nicht bloßes Symbol-Agitieren in etablieren Kunsträumen, darum geht es ihm. Über dieses politische Theater, hat er nun gemeinsam mit anderen Mitstreiter*innen einen Sammelband geschrieben. »The Arts of Resistance« heißt das kürzlich im Verbrecher Verlag erschienene Buch, das Beiträge in englischer Sprache von internationalen Künstler*innen und Aktivist*innen bündelt. Und das gleich auf der ersten Seite die Maschine wieder in Gang setzt, mit der programmatischen Frage: Wie können wir als Kunstschaffende und Theatermacher unsere globalisierte Welt zu einem besseren Ort machen?

Ein bisschen Kampfgeist tut da Not, immerhin sind die Herausforderungen riesig. Der Sammelband beschwört ihn — teils sehr poetisch, manchmal zu verklärend — in Form von Reden herauf, die überwiegend in den Jahren 2018 und 2019 am NT Gent gehalten wurden, wo Milo Rau Intendant ist. »The revolt for dignity is the struggle of our time«, heißt es etwa in der mitreißenden Ansprache des kamerunischen Aktivisten Yvan Sagnet. Er spielt den Jesus in Milo Raus Film »Das Neue Evangelium« — und spricht im Namen von Zehntausenden Geflüchteten, die unter menschenunwürdigen Bedingungen auf italienischen Feldern arbeiten, um Obst und Gemüse für europäische Supermärkte zu produzieren.

Um Repräsentation in der Kunst geht es in dem Buch, darum die Stimmen der Ungehörten zu hören und mit ihnen gemeinsam Veränderungen in die Welt, und nun ja, eben auch auf die Bühne zu bringen. Aber wie? Spannend zu lesen sind hier die Texte, die sich mit der Darstellung Schwarzer Menschen im Theater beschäftigen. »Don’t put me on your cover to show diversity«, fordert etwa die ruandisch-belgische Schriftstellerin Dalilla Hermans in ihrem Gedicht, und Theatermacher Ogutu Muraya seziert mit forensischer Sorgfalt die Katastrophisierung Afrikas in den Produktionen der letzten Jahre — um am Ende einen Prozess zu fordern, der diese Missstände aufarbeitet.

Und da gelangt das Buch auch wieder zu Milo Rau, zu  seinem »Congo Tribunal«, das 2015 die Hintergründe des Bürgerkrieges beleuchtete, und immer wieder zu der sich ständig neu formulierenden und forschenden Frage: Kann das Theater, in dem es um ein fiktives »So tun als ob«-Spiel geht, überhaupt echte Politik machen?

Buch: »The art of resistance. On theatre, activism and solidarity«, Verbrecher Verlag, Berlin 2020, 223 S., 12 Euro