Eine Gesellschaft von Hanswürsten

Die Verbannung einer komischen Figur machte das Theater zum Ort der Elite

Er war der Hanswurst des Theaters: Joseph Anton ­Stranitzky, seines Zeichens geprüfter »Zahn- und Mundarzt«. Denn dass Schau­spieler*innen damals die gröberen ärztlichen Tätigkeiten (vornehmlich Amputationen und Zähne ziehen) übernahmen, war keineswegs unüblich. Seit 1706 zog er mit seiner Wandertheater-Truppe, den »teutschen Komödianten«, durch die Lande und im Laufe der Jahre erfand er eine Figur, die bald schon eine der größten Streitigkeiten in der europäischen Theatergeschichte auslösen sollte.

Doch von vorne. Stranitzkys Hanswurst, sein voller Name war »Hans Sausakh von Wurstelfeld«, war von Anfang an eine komische Figur. Er trug die Tracht eines Sauschneiders (ein Beruf, dessen Tätigkeit allein in der Kastration von Ebern bestand), einen Hut mit breiter Krempe und eine Pritsche, dieses scherzhafte Züchtigungsinstrument, das bis heute den Kölner Karnevalsprinzen schmückt. Den Hanswurst schrieb Stranitzky als Unwesen treibenden Diener in seine parodistische »Haupt- und Staatsaktionen«. Stücke, die allesamt darauf ausgelegt waren, das höfische Leben auf möglichst pompöse und ebenso derbe Weise lächerlich zu machen.

Vielen behagte diese Figur überhaupt nicht, unter ihnen auch Friederike Caroline Neuber, eine Schauspielerin, die ab 1730 mit zahlreichen Mitstreiter*innen um eine der wichtigsten Reformen der deutschen Theatergeschichte kämpfte: die Verbannung des Hanswurst von der Bühne. Das Theater solle das Bürgertum ansprechen, nicht die prekären Gesellschaftsschichten, und zwar mit Dramen ausschließlich in deutscher Hochsprache. Das Schauspiel sollte sich als ein Ort der Elite etablieren. Als ein Ort, an dem kein Hanswurst mehr den guten Geschmack beleidigt, während »die immer klüger sein wollende Welt ganze Gesellschaften gelehrter Hanswürste errichtet«, wie es der Komödienschreiber Philipp Hafner 1762 in einem Protestbrief schrieb.

Ein Streit entbrannte, der bis heute Spuren hinterlassen hat. Zahllose Jahre hatten Theater darum gerungen, das Publikum jenseits der wohlsituierten middle und upper class aus ihren Theatersälen zu verbannen, mitsamt dem Hanswurst, der in ­seiner forschen Gewitztheit immer klüger ist als der Dienstherr. Und jetzt? Losgeworden ist das Theater ihn nie ganz, nur das Publikum, das ihn damals so liebte, das bleibt auch heute noch allzu oft fern.