Flair der 70ties: Viktoriabad Bonn, 2020, Foto: Sonja Werner

Im Klangbad

Susan Philipsz’ Installation »The Calling« erweckt einen vergessenen Ort

Wäre es reizvoll, wieder einmal ein Hallenbad zu besuchen, ohne Spaßbad-Flair, mit Sprungturm und sehr eckigen Becken? Vielleicht liegt noch eine Ahnung von Chlor in der Luft, auch wenn hier seit mehr als einem Jahrzehnt nicht mehr geschwommen wird? Die Gelegenheit bietet sich in Bonn, wo das Kunstmuseum im ehemaligen Viktoriabad eine temporäre Außenstelle unterhält und die Künstlerin Susan Philipsz eingeladen hat, mit und für diesen auch akustisch speziellen Raum zu arbeiten.

Die1965 geborene, heute in Berlin lebende Schottin, 2010 mit dem Turner-Preis ausgezeichnet, ist derzeit die vielleicht prominenteste Vertreterin der Klanginstallation. Für die Badehalle hat sie das Klangkunstwerk »The Calling« entwickelt. Damit reagiert sie auch auf die besondere Atmosphäre des funktionslos gewordenen Funktionsortes mit seiner großen, farbigen Fensterbildwand, einer stilisierten Landschaft mit Geysiren, Wellen und Sonnenuntergangssonne. Still scheint hier die Zeit zu stehen, hat sich doch seit dem Bau des Viktoriabades um 1970 nicht viel verändert. Was jetzt aber zu hören ist, füllt den Raum, verbündet sich mit der leicht entrückten Melancholie dieses Ortes.

Die Soundbasis der vierteiligen Klangraumarbeit bildet »Deep Water Pulse«, dem ein akustisches  Notfallortungssignal für Schiffe und Flugzeuge zugrunde liegt, ein gleichmäßiges, für Susan Philipsz mit dem Herzschlag korrespondierendes Geräusch. Mit diesem vom Eingang her ertönenden Puls mischen sich die drei anderen, sich nacheinander in verschiedenen Raumbereichen entfaltenden Stücke. Ätherisch schweben und kreisen die von einer Art Glasharmonika erzeugten Klänge, die Philipsz aus einem Stück des Renaissancekomponisten John Dowlands entwickelt hat. »Seven Taers« verteilt sich auf sieben Lautsprecher, jeder Ton hat eine andere Quelle und so fließen die Tontränen merkwürdig separiert. Dem elisabethanischen Tränenkult verdankt sich auch »The Calling«. Philipsz hat selbst alle vier Stimmen eines Madrigals von John Bennet aufgenommen.

Das letzte Stück erklingt aus einem auf dem Sprungturm stehenden Hornlautsprecher. Ohne jede Begleitung singt Philipsz den »Pyramid-Song« von Radiohead. Ein Lied, das mit einem Sprung ins Wasser beginnt und dann von allem Gewesenen und noch Kommenden handelt. Alles fließt in diesem wunderbar elegischen, trockenen Klangvollbad.

Viktoriabad, Franziskanerstr. 9, 53113 Bonn