Beckett in Höchstform

Das »Zentralwerk der schönen Künste«, das seit 2011 in der ehemaligen Hauptverwaltung von Klöckner-Humboldt-Deutz in Mülheim-Süd seinen Sitz hatte, wurde am 29. April geräumt. Die Stadt hat es nicht geschafft, einen einstimmigen Ratsbeschluss umzusetzen und das denkmalgeschützte Gebäude des Privateigentümers Gottfried Eggerbauer zu kaufen, um dort eine gemeinwohlorientierte Mustersiedlung für »die Stadt des 21. Jahrhunderts« zu errichten. Auch die Kölner Politik hat versagt: Sie kämpfte nicht vehement genug dafür, dass die Verwaltung ihren Beschluss auch umsetzt. In der Koalitionsvereinbarung des aktuellen Ratsbündnisses steht: »Das Otto-und Langen-Quartier« und »Raum 13« werden wir erhalten.« Nun droht das Projekt dennoch zu floppen. Wir haben mit Wegbegleiter*innen gesprochen, die eng mit dem historischen Gelände verbunden sind.

 

»Schlüssel-Areale entfalten eine ikonographische Kraft«

­Uwe Schneidewind, Oberbürgermeister von Wuppertal und Experte für nachhaltige Stadtentwicklung, warnt die Stadt Köln, allein der ökonomischen Logik zu folgen

Herr Schneidewind, als die Räumung des »Deutzer Zentralwerks der schönen Künste« bekannt wurde, haben Sie umgehend den beiden Künstlern Anja Kolacek und Marc Leßle eine Bleibe für ihre Exponate in Wuppertal angeboten. War das eine freundschaftliche Geste oder ein standortpolitischer Schachzug?

Ein stückweit beides: Da ist auch ein bisschen Eigeninteresse dabei, dieses gewaltige Potenzial, das beide mit ihren Inszenierungen haben, nach Wuppertal einzuladen, aber ich will sie nicht abwerben. Wir haben in Wuppertal die Kraft, die künstlerische Freiräume für eine Stadtentwicklung bedeuten, sehr früh erkannt und u.a. mit »Utopiastadt« einen Erprobungsraum ins Leben gerufen, der auch für »Raum 13« inspirierend sein könnte.

Köln verliert ja nicht nur einen weiteren Kultur­ort, sondern ist dabei, eine stadtentwicklungspolitische Chance für ein entscheidendes Areal zu verspielen. Was wiegt mehr?

Letztlich geht es um die Frage: Wofür steht ein Köln des 21. Jahrhunderts? Und das ist gerade für Köln eine essenzielle Frage, weil diese Stadt seit 2000 Jahren immer kultureller Akzentgeber war. Wenn man jetzt von außen auf Köln schaut, sehe ich eine Herausforderung: Köln sucht eine kraftvolle Idee, wofür es im 21. Jahrhundert Impulsgeber sein möchte. Schlüssel-Areale wie das »Otto- und Langen-Quartier« können hier eine ikonographische Kraft entfalten.

Sehen Sie einen grundsätzlichen Unterschied wie in Wuppertal Stadtentwicklungspolitik gemacht wird und wie in Köln?

Der zentrale Unterschied ist vermutlich der Mut zu solchen Inseln des Andersmachens. Das sind stadtentwicklungspolitische Naturschutzgebiete, in denen sich neue Formen des Gemeinwohls entwickeln. Ich sehe meinen politischen Auftrag darin, sie zu schützen. An dem Punkt setzen wir schon andere Akzente: Es braucht hier Geduld, um dann dafür belohnt zu werden, dass Dinge passieren, die man nie von oben hätte planen können, sondern die sich aus sich heraus entwickeln und dann wieder in die Stadt hineinwirken. Die Kultur des 21. Jahrhunderts ist ja sehr viel stärker partizipativ.

Und dennoch scheint das Projekt in Köln zu floppen. Wie erklären Sie sich das?

Ein ganzes Areal in die Hand von Kreativen, Künstlern und Engagierten zu geben, und sie zum Taktgeber der Entwicklung werden zu lassen, ist ein völlig anderer Denkansatz als die klassische Planungs­logik. Jeder Investor, der alleine vom Profit getrieben ist, wird daran verzweifeln, weil er sieht, wie viele Millionen er dort hätte verdienen können. Am Anfang gab es in Wuppertal auch Abwehr und Berührungsängste. Weil wir das schon mehrere Jahre praktizieren, ist inzwischen eine andere Offenheit in der Stadtgesellschaft vorhanden, auch bei den Investoren. In Köln nehme ich noch ein »Fremdeln« wahr. Und natürlich ist auch der ökonomische Druck in Köln viel größer.  

Welchen Ratschlag würden sie der Kölner Politik oder Stadtspitze geben?

Mit ein wenig mehr Mut wäre beim Ankauf des Geländes vielleicht mehr möglich gewesen. Es ist schade, dass am Ende nur eine durchaus beherrschbare Summe gefehlt hat. Gerade Städte wie Köln müssen aufpassen, dass sie nicht nur noch einer alles nivellierenden ökonomischen Logik folgen und ihr größtes Gut verspielen: Ihre Eigenart.

Gegenüber dem »Deutzer Zentralwerk der schönen Künste« wurden die meisten Industriebauten schon abgerissen. Diese konventionelle Signatur des Städtebaus der Nullerjahre werden unsere Enkelinnen und Enkel uns vorwerfen: »Boah! Warum habt ihr Städte auf den Quadratzentimeter genau ökonomisch optimiert entwickelt und dabei jeden Neubau gleich aussehen lassen?«

Die Antwort: Weil es den meisten Profit verspricht. Es wäre fatal, wenn auch noch dieses letzte Areal so beliebig entwickelt wird wie das drumherum! Das frustriert uns schon an den Innenstädten, denken sie an die Hohe Straße oder Schildergasse. Da findet man nichts Eigenes, außer den Dom. Wenn man sich dann nur noch historisierend über den Dom definiert, aber alles andere austauschbar wird, dann geht das Identitätsgefühl verloren.

Uwe Schneidewind wurde 1966 in Porz geboren und ist seit 1.11. Oberbürgermeister von Wuppertal (Grüne). Bis 2020 war der habilitierte Wirtschaftswissenschaftler Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie. Für das Reallabor »Utopiastadt« im alten Mirker Bahnhof engagiert sich Schneidewind seit Jahren.

 

 

Ein Ort der Weltgeschichte

Schon der Auftritt an der Straße ist spektakulär. Selten tritt eine Fabrikstraße noch so geschlossen mit Backsteinbauten aus der Zeit zwischen 1900 und 1916 in Erscheinung, wie die ab 1867 entstandene Gasmotorenfabrik Deutz. Die eigentlichen Werks­hallen liegen hinter den Bauten an der Straßenfront. Hier erstreckt sich bis zum Auenweg ein fast durchgängiges Hallenkontinuum. Zwei Hallentypen sind prägend: Eine Gruppe von langgestreckten Backsteinhallen wird eingefasst von zwei Großhallen. In sieben Hallenschiffen wurden in der nördlichen Großhalle mittelgroße Motoren montiert. Es ist eine Konstruktionsweise mit segmentbogigen Vollwand­trägern wie sie mehrfach für Bahnsteig­hallen verwendet wurde. Im Verbund mit der Gießerei steht mit der Möhringhalle ein absolutes Highlight. Die Halle wurde 1902 für die Indus­trieausstellung in Düsseldorf nach Entwurf des Architekten Bruno Möh­ring gebaut, nach Ausstellungsende demontiert und in Deutz wieder aufgebaut. An der Möhringhalle vorbei erstreckt sich rechtwinklig in das Werk hineinführend die Werksstraße — in den letzten Jahren Ort so vieler Veranstaltungen des »Deutzer Zentralwerks der schönen Künste«. Dieses Gründungs­areal ist das letzte unverplante Stück auf dem insgesamt 70 Hektar großen ehemaligen Gelände von Klöckner-Humboldt-Deutz, das zu den größten Kölner Städtebauprojekten zählt. Die jüngste Geschichte ist durch Abbrüche infolge von Investorenplanungen geprägt.
Hier wäre jetzt die gesetzlich verbriefte Planungshoheit der Stadt gefordert. Der schwarz-­gelben Landesregierung, deren Entwicklungsgesellschaft der größere Grundstücksteil gehört, müssten die Instrumente gezeigt werden: Veränderungssperre, Ausweisung eines Sanierungs­gebiets und Denkmalbereichssatzung. Auch wenn die beiden letzten Maßnahmen langwierig sind: Schon deren Ankündigung hätte eine beruhigende Wirkung auf alle Investorenträume. Auch wenn schon einiges versäumt und die Chance auf die Aufnahme in die Unesco-Welterbeliste verspielt wurde — das Areal bietet mit der noch unberührt daliegenden Gründungsanlage ein gewaltiges industriehistorisches und für die Selbstfindung des rechtsrheinischen Kölns herausragendes Potenzial. Um es zu nutzen, müssten jetzt Vorkehrungen gegen Zockertum getroffen werden. Das aber ist derzeit nicht in Sicht und mit dem sich andeutenden Ende von »Raum 13« droht das Schicksal einer invest­oren­orientierten Reliktedenkmalpflege.
Prof. Dr. Walter Buschmann,
Architekturhistoriker und Denk­malpfleger,
Initiativkreis Otto- und Langen-Quartier

 

 

Im Osten nichts Neues

Die Räumung des »Deutzer Zentralwerks der schönen Künste« bedeutet nicht nur das Ende für einen außergewöhnlichen Kreativort. Sie offenbart auch, dass der Rat der Stadt Köln und der Planungsdezernent Markus Greitemann kein wirkliches Interesse an der Entwicklung eines gemeinwohlorientierten urbanen Quartiers unter Wahrung des industriekulturellen Erbes haben. Nach dem Ratsbeschluss über das Vorkaufsrecht für das gesamte Otto- und Langen-­Areal im März 2020, ergriff der Rat im Anschluss keine wirksame Initiative, das Grundstück kaufen zu wollen. Auch die Verwaltung hat diese Verhandlungen nie mit Nachdruck flankiert. Bis heute existiert kein verbindlicher Ratsauftrag zum Ankauf des Schlüsselgrundstücks, das dem Land gehört. Es gibt nur unverbindliche Willens­bekundungen des Rates und einen Ratsbeschluss vom Februar 2021, die Immobilie des Privateigentümers Gottfried Eggerbauer,
in der »Raum 13« bis zur Räumung ihren Sitz hatte, kaufen zu wollen, als es schon zu spät war. Seit 2020 bereitet dagegen die Landesregierung den Verkauf zum Höchstgebot mit stillschweigender Unterstützung der CDU und des Kölner Baudezernenten Greitemann vor. Da stört ein Ratsbeschluss nur.
Dabei wäre ein Direktverkauf des Landesgrundstücks an Köln gestattet, wenn die Stadt eine gemeinwohlorientierte Nutzung plant, z.B. mit mehr als 50 Prozent öffentlich gefördertem Wohnungs­bau. Das 2018 beschlossene Planungs­konzept weist jedoch nur 30 Prozent aus. Damit begründet NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU), warum das Land einen Direktverkauf an Köln ablehnte. Fatal ist, dass der Rat im Februar 2021 genau dieses »alte« Planungskonzept von 2018 bekräftigte, statt die Verwaltung mit einer neuen, gemeinwohlorientierten Planung zu beauf­tragen. Das von den Grünen geführte neue Bündnis agiert hilflos und ohnmächtig. So hätte der Rat bereits Anfang des Jahres die Verwaltung beauftragen können, mit dem Land über den Umzug von »Raum 13« auf ihr Areal so zu verhandeln, dass es nicht Nein sagen kann. Die kommunale Planungshoheit ist ein starkes Druck­mittel. Aber das ist politisch nicht gewollt und die Grünen lassen die CDU gewähren. Inzwischen ist durchgesickert, dass die kapitalstarke James­town US-Immobilien GmbH Eggerbauers Immobilie kaufen möchte. Wetten wir, dass Jamestown auch das Landes-Areal kaufen will? 2020 spendete Christoph Kahl, geschäftsführender Gesellschafter von Jamestown, an die Kölner CDU 300.000 Euro.
Jörg Frank, von 2004 bis 2020 Vorsitzender des ­Liegenschaftsausschusses (Grüne), Initiativkreis Otto- und Langen-Quartier

 

100.000 LKW Bauschutt? Lieber Schätze heben!

Das Otto- und Langen-Quartier kann nur durch eine alternative, nachhaltige »cradle to cradle«-Strategie mit einer erhaltenden Erneuerung des Bestandes und einer zu den jeweiligen Gebäuden passenden Nutzung entwickelt werden — im Unterschied zu einer ausschließlich an der Rendite Einzelner orientierten Verwertungsideologie. Diese nach wie vor in den Köpfen von Politik und Baudezernenten tief verhaftete, investorengerechte Stadtentwicklung im Sinne »alles weg und neu«, ist entlang der Deutz-Mülheimer Straße bereits an zahlreichen Stellen zu besichtigen. Sie ist Ausdruck einer unverantwortlichen Preisgabe städtischen Raumes zu Gunsten Weniger. Unbezahlbar für die Masse der Stadtbewohner*innen! Historische Spuren und kulturelles Erbe? Vernichtet!
Das Otto- und Langen-Quartier, ein an anderen Orten längst als Weltkulturerbe unter Schutz gestelltes Industriequartier, würde so unwiederbringlich zerstört. 100.000 LKW müssten über Jahre eine halbe Million Kubikmeter Bauschutt über Kölner Stadtgebiet abfahren. Jede CO2-Bilanz und die Klimaziele der Kölner Politik wären im Eimer. Dabei geht es nicht um Konservierung eines Industrieareals als Museum. Im Gegensatz zu anderen industriellen Großanlagen liegen die Schätze hier in der Qualität einzelner Räume und Gebäude. Sie sind vielfältig, kleinteilig und damit unabhängig voneinander, unterschiedlich nutzbar. Und das innerhalb gut erhaltener, heute nicht mehr bezahlbarer, detailreich gestalteter Ziegelwände mit Bogenfenstern und großzügigen hallenartigen Räumen — unter weit gespannten, weitgehend offenen Dachtragwerken mit drei bis viergeschossigen »house in house«-Einbauten.
Ein idealer urbaner Lebensraum für gut 500 Wohnungen mit einem hohen, bis zu 70-prozen­tigem Anteil an öffentlich gefördertem Wohnraum, für Mischformen von Wohnen und Kultur in Atelierwohnungen, für Kitas, Bildungs- und Kultureinrichtungen, Manufakturen, Büros, Gastronomie, Ateliers, Probe­räume, Veranstaltungslocations und die junge Kreativwirtschaft — alles inmitten vernetzter Grün- und Freiflächen und nahezu autofrei. All das wäre möglich — alternative Konzepte abseits hochpreisiger 08/15-Investorenplanungen liegen bereits vor.
Bodo Marciniak, Architekt,
Initiativkreis Otto- und Langen-Quartier

 

 

Kreativität in die Prozesse!

Städtisches Leben entsteht nicht durch Groß-Investoren, in deren Projekte zieht es meist erst nach Jahrzehnten ein. In Köln geht die Entwick­lung größerer Flächen aber meist an größere Investoren. Im Otto-und Langen-Quartier in Mülheim oder bei den Hallen Kalk besteht die Chance, einen grundlegend anderen Weg zu gehen, weil hier zivilgesellschaftliche Kräfte Verantwortung übernehmen wollen. Stadtverwaltung und Stadtpolitik tun sich aber extrem schwer, hierauf zeitgemäße Antworten zu geben.
Der städtebauliche Rahmen ist aus dem industriekulturellen Bestand heraus zu denken, die erhaltende Erneuerung muss Kern und nicht Restegeschäft sein. Die Konkretisierung gemein­wohlorientierter Nutzungen ist Aufgabe von Anfang an mit der Konsequenz eines geziel­ten Einsatzes von Planungs- und Baurecht, um von hohen Immobilienwerten wegzukommen (»Gemein­wohl als tragendes Prinzip«). Die Mobilisierung und Ermutigung von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen für eine lebendige Stadt der Zukunft sind weitere Aufgaben: Wohngruppenprojekte, Sozialer Wohnungsbau, Projekte von Wohnen-Kultur-Arbeiten, öffentliche und private Bildungs- und Kultureinrichtungen, öffentliche Begegnungsstätten, Quartierskindergärten, Handwerkerhöfe, kreativwirtschaftliche Werkstätten und Coworking, Kulturveranstaltungen. Im Kern heißt dies die Organisation von räumlicher und akteursbe­zogener Kleinteiligkeit — das glatte Gegenteil normaler Investorenpolitik. So lässt sich lebendige Stadt im 21. Jahrhundert bauen! Der baukulturelle Bestand des Otto-und Langen-Quartiers und der Hallen Kalk ist dafür geeignet.
Und nicht zuletzt: Der Entwicklungsprozess ist vom Kopf auf die Füße zu stellen! Für Köln hieße dies: Habt den Mut, die Projektentwicklung aus der sektoralen Verwaltungs- und Politikorganisation herauszunehmen! Warum überträgt man nicht die Entwicklung des Quartiers auf eine neue Projektentwicklungsgesellschaft in Trägerschaft von Kommune und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen , die dem Gemeinwohl und der Mobilisierung zivilgesellschaftlicher Partner*innen verpflichtet ist? Eine solche Gesellschaft hätte die Aufgabe, schrittweise und mit langem Atem ein Stück lebendige Stadt mit ganz vielen Partner*innen zu realisieren. Dass dies gelingen kann, zeigen gemeinwohlorientierte Stadtentwicklungsgesellschaften, Sanierungsträger oder zivilgesellschaftlich getragene Projekte andernorts.
Joachim Boll, Stadtplaner
Initiativkreis Otto- und Langen-Quartier

 

 

Wie das Liegenschaftsamt gemeinwohlorientierte ­Prozesse torpediert

Wer sich in Köln in Stadtentwicklungsfragen engagiert, kann ein Lied davon singen, wie Engagement aus der Bürgerschaft seitens der Verwaltung ignoriert, vertröstet, hingehalten, zum Scheitern gebracht wird. Viele Initiativen geben irgendwann auf und selbst die wenigen Projekte, die es am Ende schaffen, berichten, welchen Preis an Frustration, unbezahlten Ehrenrunden, Respektlosigkeit und nicht eingehaltenen Zusagen die Beteiligten gezahlt haben. Eine Schlüsselrolle spielt immer wieder das Liegenschafts­amt, aus dem alle Prozesse einer gemeinwohlorientierten Stadtentwicklung von Herrn Kiefer konsequent torpediert werden. Dass seine (Noch-) Vorgesetzte, Andrea Blome, bürgerschaft­liches Engagement als »Störfeuer« bezeichnet, das es »zu unterbinden« gilt (so formuliert in der Ausschreibung zur Öffentlichkeitsarbeit bei der Ost-West-Achse), passt ins Bild. Auch Baudezernent Greitemann ist an Bürgerbeteiligung und Gemeinwohlentwicklung, zurückhaltend formuliert, nicht wirklich interessiert. Statt als inhaltliche Auseinandersetzung, in welcher Stadt wir leben wollen, wird Stadtplanung fast ausschließlich als vorbereitende Dienstleistung für die Immobilienwirtschaft betrachtet. Der inhaltlichen Auseinandersetzung weicht man aus, indem man die Akteur*innen hinhält, an vertraulichen Umgang appelliert und hintenrum Fakten schafft, bzw. wie im Fall von »Raum 13«, lieber nicht schafft!
Die Politik schaut derweil zu, wie ihre Beschlüsse ignoriert, umgangen, aufgeschoben oder sogar sabotiert werden— z.B. indem Gebäude grob fahrlässig, wenn nicht absichtlich, dem Verfall preisgegeben werden — oder sie beteiligt sich sogar noch aktiv an der Verhinderung zivilgesellschaftlicher Stadtentwicklung. Eine erstaunliche Rolle spielt gabei die Grüne Ratsfraktion — namentlich Sabine Pakulat —, die auch wegweisenden Projekten wie den Hallen Kalk oder den Initiativen am Ebertplatz eine Stolperfalle nach der anderen stellt. Dass es auf Seiten der Stadt auch offene Gesprächspartner*in­nen gibt, die mit den Bürger*innen konstruktiv nach Umsetzungsmöglichkeiten suchen, damit die politischen Bekenntnisse zu kulturellen Nutzungen und gemeinwohlorientierten Entwicklungen nicht nur Lippenbekenntnisse bleiben, muss auch gesagt werden. Durch­setzen tun sich bislang fast immer die Anderen.
Boris Sieverts,
Büro für Städtereisen

 

 

Tragödie oder Farce?

Karl Marx zitierte einmal Hegel, dass sich alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen zweimal ereignen und ergänzt dann: »Er hat vergessen hinzuzufügen: Das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.« Und das gilt offenbar nicht nur für die weltgeschichtlichen, sondern auch die lokalen Tatsachen.
Im Mai 1980 besetzten etwa 600 Kölnerinnen und Kölner die Schokoladenfabrik Stoll­werck in der Südstadt, um daraus ein Lebens-, Wohn-, Arbeits- und Kulturquartier zu machen. Sie bauten eine eigene Wohnung als Muster im Verhältnis 1:1 — der Beweis, dass man in der alten Fabrik wohnen kann. Nach sechs Wochen endete die Besetzung. Gescheitert nicht am Geld, nicht an den Baugesetzen, nicht an Intellekt und Phantasie, sondern am Unverständnis der damals herrschenden Sozialdemokratie. Niemand brachte die Ablehnung so gekonnt auf den Punkt wie Conny Gilges, Anführer des linken Flügels in der SPD: »Das Proletariat will da, wo es ausgebeutet worden ist, nicht auch noch wohnen müssen«.
Die Stollwerck-Besetzung war nicht nur lokal bedeutsam, sondern neben anderem der Humus der neuen sozialen Bewegungen, die ja gerade in Köln in den 80er Jahren stark waren und lokal auch einer der Impulse für eine neue Partei: die Grünen, die ja im selben Jahr 1980 gegründet wurden.
40 Jahre später: ein zweiter Anlauf, ein Industrieareal als Chance für Stadtentwicklung zu begreifen, das Otto-und Langen-Gelände, ehemals KHD. Jahrelang hat »Raum 13«, eine innovative Kulturtruppe, 1:1 vorgemacht, was aus dem Areal werden könnte. Aber jetzt müssen sie raus, wieder friedlich und mit Gerichtsvollzieher. Wieder sitzen die Verantwortlichen im Rathaus. Nun kann man der CDU und Herrn Petelkau nicht vorwerfen, parlamentarischer Arm der Immobilienindustrie zu sein, so verstehen sie eben ihr Mandat. Eher schon dem Baudezernenten Markus Greitemann, der immer­hin aus Steuergeldern bezahlt wird, aber gleichwohl vor allem die Investorenseite vertritt.
Diesmal sind es die Grünen, die die stärkste Fraktion im Rat der Stadt wurden. Sie haben weder die ökologische noch städtebauliche, weder die futuristische noch ästhetische Perspektive begriffen. Wie gehabt: Es scheitert nicht am Geld, nicht an den Gesetzen, nicht an Ideen und Phantasie, sondern am Unverständnis der jetzt dominanten Partei, der Grünen.
Martin Stankowski,
Historiker und Stadtkenner

 

 

Das schmerzhafte Ende des neuen Selbstbewusstseins

Ich lebe seit über 15 Jahren am Mülheimer Hafen. Mit großem Interesse, Hoffnungen und Aufbruchstimmung habe ich das Werkstattverfahren Mülheimer Süden inklusive Hafen verfolgt und mitgemacht. Immer mehr bröckelte meine erste Begeisterung ab. Ich musste erkennen, dass die einzigartige Industriegeschichte lediglich oberflächlich als Verkaufsargument genutzt wurde, dass Tabula Rasa gemacht wurde, dass kreative Freiräume verschwanden und dem Mainstream weichen mussten. Zugleich wurde mit den Grundstücken unter Großinvestoren gedealt. Zuletzt wechselten die Deutz-Quartiere die Besitzerin. Das kann in der Konsequenz nur auf den Miet- oder Eigentumspreis gehen.
Hoffnungsanker für die Entwicklung des Mülheimer Südens war in den letzten Jahren »Raum 13«. Sowohl die Arbeit des Künstlerpaares als auch der große Freundeskreis des Otto- und Langen-Quartiers waren Inspiration. Und dies schuf ein neues Selbstbewusstsein für die Mülheimer*innen. Ich kann nicht nachvollziehen, warum man dieses niveauvolle Engagement für die Kunst und den Standort nicht geltend macht. Dass das Konzept einer Stadtentwicklung aus der Kunst heraus auch den angeschlagenen Ruf Kölns als Kunststadt reanimieren könnte, davon konnte die Politik begeistert werden, jedoch mangelte es an der Umsetzung.
Die Gründe sind nicht nachvollziehbar. Jahrelang hat die Stadt Köln die Arbeit von »Raum 13« an diesem historischen Ort gefördert. Nun ließ man das Projekt so schmerzhaft vor die Wand fahren. Allein wirtschaftlich unverständlich und für mich eine Riesenenttäuschung. Wird die Expertise von »Raum 13« in das einberaumte Werkstattverfahren einfließen? Wird die (erneute) Öffentlichkeitsbeteiligung den Hoffnungen der Mülheimer Bewohner*in­nen­schaft gerecht werden können? Das bleibt zu hoffen.
Eva Rusch, Diplom-Designerin,
Nachbarschaft Köln-Mülheim

 

 

Chance für die Wirtschaft der Zukunft

Vor über 150 Jahren entwickelte sich an der Deutz-Mülheimer Straße der Motorenbau. Umtriebige Erfinder, risikobereite Unternehmer sowie leistungsstarke Mitarbeitende schufen neue Produkte und passten das wachsende Werk stetig baulich an, nie den Blick rückwärtsgewandt. Seit Jahren herrscht an diesem Ort weitgehend Stillstand. Nur Anja Kolacek und Marc Leßle von »Raum 13« erkannten das Potenzial. Sie bewiesen mit Unterstützer*innen Risiko und Mut, entwickelten Ideen und Pläne. Beispielsweise zu einem Kreativquartier, das Maßstäbe setzen und für die Zukunft einen Ort schaffen könnte, der in Köln dringend gebraucht wird. Andere Städte haben es vorgemacht — mit dem Erhalt historischer Gebäude, einem Mix von Neubauten und der Öffnung für unterschied­liche gewerbliche Nutzungen schufen sie neue Stadtquartiere. Diese ziehen immer wieder Menschen an, die ihre Ideen dort umsetzen können. Gerade unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit könnten in einem Kreativquartier moder­ne Formen des Wirtschaftens ausprobiert werden. Wir sollten alles unternehmen, um den Ort in seiner Substanz komplett zu erhalten, ihn mit kreativen Ideen weiterzuentwickeln und gleichzeitig Chancen für die Wirtschaft der Zukunft anzubieten. Köln hat an diesem Ort großes Potenzial — wir sollten es nutzen.
Dr. Ulrich S. Soénius, Industrie- und Handelskammer zu Köln, Geschäftsführer Standortpolitik

 

 

Eine Schande für die Stadt

Die Schließung des »Deutzer Zentralwerks der schönen Künste« ist eine Schande für die Stadt Köln. Im Gegensatz zu den meistens fantasielosen und uninspirierten Neubaugebieten der Stadt haben Anja Kolacek und Marc Leßle von »Raum 13« für das Gelände in Deutz unter reger Beteiligung von Expert*innen und Bürger*in­nen ein anspruchsvolles Entwicklungskonzept für diesen Ort erstellt, dessen Realisierung Modellcharakter haben könnte. Außerdem haben die Künstler*innen das Gelände als kulturellen Ort von überregionaler Bedeutung, als eine Art industrielles Weltkulturerbe entdeckt und gepflegt. Das wurde und wird von der Kölner Kommunalpolitik geschätzt und — dankens­werterweise — haben sich über die Parteigrenzen hinweg zahlreiche Stadtverordnete für diesen Ort engagiert. Völlig versagt hat dagegen die Kölner Bauverwaltung, was nicht verwunderlich ist. Denn Bürger­engagement war für die Verwaltung schon immer ein Graus. Bisher ist aber nichts verloren. Die ambitionierte Gestaltung ist — wenn gewollt — immer noch realisierbar.
Dr. Winfried Gellner, von 1979 bis 2008 Referent im Kulturamt