Gutgelaunt an der Brandmauer: Heribert Hirte, CDU-Abgeordneter und Jura-Professor

Union ohne Werte

Die Werteunion habe in Köln zu viel Einfluss, sagt der CDU-Politiker Heribert Hirte. Er und Ex-OB Fritz Schramma kritisieren den Kölner Parteichef Bernd Petelkau

An der Aachener Straße teilen sich der Kölner CDU-Chef Bernd Petelkau und CDU-Bundespolitiker Heribert Hirte ein Wahlkreisbüro. Die Stimmung dürfte frostig sein. Im Mai hatte Hirte die Wahl zum CDU-Direktkandidaten für die Bundestagswahl im Wahlkreis Köln II, der den Süden und Westen umfasst, gegen die Unternehmerin Sandra von Möller verloren. Kurz darauf machte Hirte im Interview mit dem Deutschlandfunk (DLF) seinem Parteichef Petelkau schwere Vorwürfe. Die Wahl sei von der Werteunion beeinflusst worden, so Hirte. Ihm sei aus einer überregionalen Schaltkonferenz der Werteunion berichtet worden, an der Petelkau teilgenommen habe: »Da hieß es: Der Professor nervt. Der muss weg.« Der Professor ist Hirte.

»Das sind Fake News«, sagt Bernd Petelkau. Er habe weder an einer Schaltkonferenz teilgenommen, noch sei er Mitglied der Werteunion. Auch Wahlsiegerin Sandra von Möller erklärte auf Twitter, dass sie niemals Kontakt zur Werteunion gehabt habe. Allerdings hatte Hirte dies auch nie behauptet, sondern lediglich vom Einfluss eines Netzwerks in Köln gesprochen, das der Werteunion nahestehe. Denn offiziell existiert die Werteunion in Köln nicht mehr. Nachdem ihre Gallionsfigur, der Medienanwalt Ralf Höcker, im Februar 2020 seinen Rückzug von allen Ämtern und den Austritt aus der CDU erklärt hatte, verschwanden nach und nach die Social-Media-Accounts der Werteunion. Vorher hatte sie sich zumindest im Ortsverband Innenstadt einen gewissen Einfluss erarbeitet. So wird in CDU-Kreisen die Kandidatenaufstellung für die Kommunalwahl 2020 in den Innenstadtbezirken teilweise als Zeichen für den Einfluss der Werteunion gedeutet.

Wird die Kölner CDU weiter als Klüngeltruppe wahrgenommen? Oder als liberale Großstadtpartei?

Bernd Petelkau wehrt solche Hinweise ab. Auf den Delegiertenversammlungen sei Hirte vor allem vorgeworfen worden, »nicht genügend im Wahlkreis präsent« gewesen zu sein. Was aber ist damit gemeint? Präziser wird Bernd Petelkau nicht. Hirte vermutete im DLF, dass »sein Profil zu wenig konservativ« sei. So hatte Hirte etwa 2017 im Bundestag für die »Ehe für alle« gestimmt. Auf Twitter erklärte er im Februar 2020, die Überzeugungen des Ex-Werteunion-Sprechers Ralf Höcker hätten »nichts mit meiner CDU zu tun.«

Hinzukommt, dass der Vorwurf fehlender Präsenz austauschbar wirkt. Als die NRW-Integrations-Staatssekretärin Serap Güler bekannt gab, als CDU-Direktkandidatin für den Wahlkreis Leverkusen-Köln IV anzutreten, wurde ihr aus der Mülheimer CDU vorgeworfen, dass sie dort »nicht verwurzelt« sei. Güler ist in Marl geboren, lebt aber in Köln und war die meiste Zeit ihrer politischen Karriere in Düsseldorf. Sie gilt als enge Vertraute von CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet. Im Wahlkreis setzte sich sie sich trotzdem durch — ihr stärkster Gegner war der Gründer der Leverkusener Werteunion.

Allerdings hat Hirtes Wahlniederlage noch eine bundespolitische Dimension, die sich auch in der Kölner CDU abbildet. Hirte ist überzeugter Europäer. Im Mai 2020 nahm er im Bundestag zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Stellung, das PSPP-Programm, mit dem die Europäische Zentralbank (EZB) Staatsanleihen kauft, für teilweise verfassungswidrig zu erklären. Hirte war verwundert darüber, dass das Gericht verlangte, die EZB solle das »nationale Interesse« in den Vordergrund stellen. Geführt wurde die Klage unter anderem vom Immobilieninvestor Patrick Adenauer, ebenfalls Mitglied der Kölner CDU. Er ist ein Kritiker von Angela Merkel sowie der europäischen Niedrigzinspolitik und wünscht sich die CDU als »Wertepartei«. Auch hier wiegelt Petelkau ab: »Das Thema ist bei den Delegiertenversammlungen nie zur Sprache gekommen.« Aber verschwindet ein Interessenskonflikt dadurch, dass er nicht offen ausgetragen wird?

Parteiintern wird Petelkau teils deutlich kritisiert. Er soll Auseinandersetzungen über die inhaltliche Ausrichtung der Kölner CDU dadurch aus dem Weg gehen, dass er den Beteiligten Posten anbiete, womit diese wieder von ihm abhängig seien. So sichere Petelkau seine Macht. Zumindest beim Thema Werteunion scheut Petelkau den offenen Konflikt. Im Gespräch mit der Stadtrevue lehnt er etwa ein Parteiausschlussverfahren gegen den neuen Werteunion-Vorsitzenden, den Kölner Fondsmanager Max Otte, ab. »Zu kompliziert« sei dies, zudem verstoße Ottes frühere Tätigkeit für die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung nicht gegen den Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU, da die Stiftung per Definition neutral sei. Das ist die eine Seite. Die andere: Im Ratsbündnis mit Volt und den Grünen trägt die CDU die Pläne für eine verkehrsfreie Innenstadt und eine Klimaneutralität bis 2035 bislang ohne Widerspruch mit.

Vielleicht zeigt sich im Streit um Heribert Hirte auch ein grundsätzliches Problem der Kölner CDU: Wird sie weiter als Klüngelpartei wahrgenommen oder als moderne Großstadtpartei? Bei der Kommunalwahl 2020 verlor sie fünf Ratsmandate. Als Petelkau nach der Stadtwerke-Affäre 2018 von seinem Aufsichtsratsmandat zurücktrat, wurde Heribert Hirte sein Nachfolger. Nach der Kommunalwahl wurde der Aufsichtsrat der Stadtwerke neu gewählt. Bernd Petelkau wurde stellvertretender Vorsitzender.

Einem reicht das jetzt: Ex-OB Fritz Schramma gab im Juni deshalb den CDU-Ehrenvorsitz »unter heftigem Protest gegen diese Hinterzimmer-Absprachen-Politiker« zurück, wie er /T-Online/ mitteilte. Schramma kritisierte damit auch die Berufung des ehemaligen CDU-Fraktionsgeschäftsführers Niklas Kienitz zum Beigeordneten der Stadt Köln für Stadtentwicklung, Wirtschaft, Digitalisierung und Regionales. Kienitz hatte das Papier, das den Stadtwerke-Deal dokumentierte, mitunterzeichnet.

Schramma gehört auch zu einer Gruppe an Kölner CDU-Mitgliedern, die Anfang Juni das Papier »Lust auf CDU« vorgelegt haben. Darin kritisieren die Gruppe den Zustand der Kölner CDU und fordert einen Modernisierungsprozess ein. Die Partei müsse neue Kommunikationsmittel mit den Kölner Bürger*innen finden, außerdem soll eine Ämterhäufung vermieden werden. Besonders in der Kritik steht die Diskussionskultur in der Partei. Bei einer Pressekonferenz Anfang Juli warf Fritz Schramma dem Parteichef Bernd Petelkau vor, er sei »macht- und geldgierig« und habe kein ernsthaftes Interesse an einer Analyse der schlechten Kommunalwahlergebnisse. Petelkau habe die Partei »totberuhigt«, so Schramma.

Auch ein Gegenkandidat stellte sich dort vor: Thomas Breuer, 67 Jahre alt und ehemaliges Mitglied im Vorstand der Rheinenergie. Er will auf dem kommenden Parteitag im Herbst CDU-Chef Bernd Petelkau herausfordern. Ob ihm das gelingt? Noch hat Petelkau den Rückhalt mächtiger CDU-Mitglieder wie Integrationsstaatsekretärin Serap Güler und NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser. Sie hätten etwa 100 Menschen um sich versammelt, sagen Schramma und Breuer. Wen genau, wollen sie im Laufe des Julis bekannt geben. Man wolle die CDU »moderner, lebendiger, diskussionsfreudiger und attraktiver« machen, sagte Thomas Breuer. Wie genau er das erreichen will, sagte er jedoch nicht.