Aus der Bewegung

»Das kleine Spiel zwischen dem Ich und dem Mir« im Kolumba

Eigentlich zeigt das Museum Kolumba keine Retrospektiven. Und wenn es doch so etwas wie einen Werküberblick gibt, wird dieser eingebettet in einen größeren Zusammenhang — wie aktuell in der leider immer wieder von Lockdowns zum Stillstand gebrachten Jahresausstellung unter dem Motto »Kunst und Choreografie«. Heinz Brelohs Werk ist eine große, zunächst vor allem den Film und seit den 80er Jahren skulpturale Möglichkeiten nutzende Auseinandersetzung mit dem (eigenen) Körper, seiner Wahrnehmung und seiner Bewegung im Raum. Chronologisch wird diese Entwicklung materialreich und lebendig vorgestellt, sie durchzieht die ganze Ausstellung, ist deren Rückgrat.

In seinen frühen Arbeiten ist Breloh, der vor 20 Jahren verstarb und lange in Köln tätig war, Beobachter seiner selbst. 1971 entsteht »ich filme mich«, eine Doppelprojektion, die zeigt, wie er selbst systematisch seinen nackten Körper mit einer Kamera filmt und zugleich die entsprechenden Bilder dieser erkundenden Kamera. Subjektives und Objektives treffen in dieser und anderen filmischen Versuchsanordnungen aufeinander, eröffnen »das Spiel zwischen dem Ich und dem Mir«, von dem der Titel der Ausstellung spricht.

Zehn Jahre später formt Breloh die Gipsskulptur »Junger Mann I« mit seinem Körper, indem er einen Gipskern umkreist. Die Bewegung des ganzen Körpers bringt die sichtbare Form hervor, er schreibt sich in die weiche Materie ein. Breloh wird zum Bildhauer und der Bildhauer eines seiner Hauptmotive. »Die Erfahrungen des Körperhaften«, so formuliert er es 1993, »muss körperlich greifbar bleiben.«

Einen ungemein intensiven Gegenentwurf zu den Körper-Raum-Stücken Brelohs bilden die Werke von Hannah Villiger (1951–1997), auch sie eine, die hierzulande noch zu entdecken wäre. Verblüffend sind die sich von allen Traditionen und Klischees lösenden Körperbilder der Schweizerin. Erfindungen, Entdeckungen einer anderen, mitunter fremden, befremdlichen Leiblichkeit. Besonders eindrucksvoll gelingt dies in den überarbeitete und stark vergrößerte Polaroids kombinierenden Arbeiten. Jedes der Einzelbilder zeigt fragmentarische Aufnahmen des eigenen Körpers, fotografiert aus ungewöhnlichsten Blickwinkeln. Es sind an den Rand der Einzelbilder gerückte, mitunter kaum identifizierbare Areale, die jedoch stets als körperhaft lesbar bleiben und in der Kombination zu etwas Lebendig-Plastischem werden. Nachhaltig erschüttern sie das vertraute Körperschema. Lapidar schreibt Villiger über ihr Tun 1989 in einem Arbeitsheft: »Ich steige in mich hinein.«

An einem sich immer weiter entwickelnden Körperteilewerk arbeitet das bereits mehrfach in Kolumba zu erlebende »Büro für Augen, Nase, Zunge, Mund, Herz, Hand und Maske (die alles überdeckt)« aus dem Kunsthaus KAT18. Das Kollektiv aus Spezialisten und Spezialistinnen für die genannten Bereiche erforscht mit Zeichnungen, Texten und Objekten das eigentlich allen Gemeinsame und entwirft doch Stück für Stück dieses Körperbild neu. Die Arbeit des »Büros« wird an Ort und Stelle voraussichtlich jeweils donnerstags fortgesetzt, entsprechendes Mobiliar und Material stehen bereit.

Weniger unmittelbar und eng sind die Verbindungen der vier anderen, ebenfalls mit größeren Werkgruppen präsenten Künstler*innen zum Themenkomplex Körper. Geradezu körperlos entfalten sich Bernhard Leitners ätherisch schöne Klänge im Raum. Duane Michals fotografische Bilderfolgen kreisen in ebenso knappen wie offenen Erzählungen zwar um körperliche Erfahrungen wie Begehren und Altern, mehr aber noch um Instabilitäten und die Melancholie des Scheiterns. Vage bleiben die Wandarbeiten und Objekte von Esther Kläs. Hingegen vermag Richad Tuttle zwei große Räume mit fast nichts wunderbar zu füllen: den einen mit kleinen schwerelosen Papierarbeiten, Variationen über das vermeintlich Einfache. Den anderen mit noch etwas weniger, zehn Woll­fäden­zeichnungen, die jeden Samstag um 15 Uhr neu ausgelegt werden.

Choreografie ist eher ein Nebenthema der Ausstellung. Verblüffend aber ist es zu sehen, wie sich einige der auffallend wenigen alten Werke im Zusammenspiel mit dem Gegenwärtigen unvermittelt als suggestive, geradezu tänzerische Bewegungsdarstellungen zeigen. Deutlicher noch als sonst ist die schwungvolle, mitreißende Drehung des barocken »Dreigesichts«, umgeben von den Raumerkundungen Brehlohs aus den 70er Jahren. Simon Trogers Heiliger Michael bekämpft den sich elegant schlängelnden Teufel mit größter Anmut. Selbst der spätgotische, von Gott und aller Welt verlassene »Christus in der Rast«, ein Inbild schmerzvollster Versunkenheit, ist durchzogen von verhaltenen Bewegungsimpulsen, Vorahnungen der kommenden Auferstehung.

Die Jahresausstellung wird am 28. August fast so enden wie sie begann. Das dann wieder nahezu leere Haus wird noch einmal geöffnet und ganz dem Tanz gehören. Am Anfang, vor knapp einem Jahr, füllte Ann Teresa De Keersmaekers Choreographie »Dark Red«, getanzt von ihrem Ensemble »Rosas«, sieben Tage lang die Räume, bevor dort peu á peu die Ausstellungs­objekte ihre Plätze fanden. Nicht weniger als 24 Stunden wird Ende August der Tanzmarathon dauern, mit dem Richard Siegal und das Ballet of Difference das eigentlich unabschließbare Spiel zwischen dem Ich und dem Mir beenden.

Kolumba

vorläufig erweiterte Öffnungszeiten (täglich außer Di) 11–20, Fr 11–23 Uhr;
Ausstellung bis 16.8.; Ballet of Difference am 28.8.
Zur Ausstellung sind sieben Künstlerhefte erschienen, einzeln 15 Euro, als Set 85 Euro