Nie mehr Pappbecher: Stephan Hinz hat seine Bar wieder für Gäste geöffnet

»Der Probierschluck hilft!«

Stephan Hinz vom Little Link im Belgischen Viertel über den Re-Start der Bars, zu viel Ruhe und Drinks im Pappbecher

Herr Hinz, auch Ihre Bar lebt — mehr noch als Restaurants — von Austausch und Nähe. Wird diese Atmosphäre zurückkehren?

Wir haben bei der Wiedereröffnung gesehen, dass das Bedürfnis nicht weg ist. Dieser Austausch funktioniert in der digitalen Welt nicht wirklich. Das Bar- und Restaurantgeschäft wird zurückkehren, vielleicht wird es sogar professioneller. Ich mache mir eher Gedanken um die ruhige Stadt.

Die ruhige Stadt?

Gastronomie lebt von Vielfalt. Heute zum Spanier, morgen zum Italiener, übermorgen in die Kneipe. Das Kunterbunte macht eine Stadt interessant. Das könnte durch Corona gelitten haben. Vielleicht haben sich viele an Ruhe gewöhnt, aber eine Stadt sollte vibrant und quirlig sein.

Sie waren mit Ihrer Bar während der Krise sehr rührig. To-go-Drinks, Liefer- und Abholdienst, Online-Kurse. Was hat sich bewährt?

Die Frage ist ja: Warum haben wir das gemacht? Wir wollten auch in schlechten Zeiten Anlaufpunkt sein für jene, die mal Abwechslung brauchten. Deshalb haben wir von Anfang an verschiedenste Sachen ausprobiert. Das war anstrengend, aber es hat sich gelohnt. Man muss dazu sagen, dass wir durch unser Event-Geschäft und unsere Agentur für diese Krise wesentlich besser aufgestellt waren als klassische Gastronomiebetriebe. Viele andere hatten diese Möglichkeiten nicht.

Hätte mir jemand gesagt, dass ich mal Drinks durch ein Fenster rausgebe, hätte ich den für wahnsinnig erklärt Stephan Hinz

Wie schwer fiel es Ihnen, Drinks im Pappbecher servieren?

Hätte mir jemand vor drei Jahren gesagt, dass ich Drinks durch ein Fenster zur Straße rausgebe, den hätte ich für wahnsinnig erklärt. Aber Cocktail-Spaziergänge sind zum Ausgleich geworden. Einige Gäste sind regelmäßig nach der Arbeit bei uns am Fenster vorbeigekommen. Wir haben gelernt, welches Produkt in einem Becher funktioniert.

 Restaurants werden künftig stärker auf eine Mischung aus To-go- und Vor-Ort-Geschäft setzen. Was wird in Ihrer Branche überdauern?

Das ist derzeit noch schwierig zu beantworten. Was wir uns erarbeitet haben, werden wir erst mal weiterlaufen lassen. Aber einige Dinge werden wohl wegfallen, etwa die Lieferdienste.

Sie verkaufen neuerdings auch eigene Drinks in der Flasche.

Ich wollte schon lange einen komplexen Drink in die Flasche bringen. Nach der ersten Corona-Schockstarre habe ich mich auf das Projekt gestürzt. Die Idee ist »Root to Fruit«: Wir haben die Zutaten von der Wurzel bis zur Blüte verarbeitet. Der Ricordino zum Beispiel enthält mediterrane Zutaten wie Rosmarin, Thymian, Basilikum, aber auch Zitrone, Limette und Orangenblüte. Wir schaffen also unsere eigene Geschmackswelt, genau zwischen Gin, Limoncello und Wermut. Und das funktioniert in einem Fizz, Mule, Collins oder als Spritz.

Ärgert es Sie nicht, dass viele Menschen unter einem Drink bloß Gin Tonic verstehen?

Ach, an einem guten Gin Tonic ist ja nichts auszusetzen. Auch den kann man mit gutem Handwerk besser machen. Das fängt mit der Reihenfolge an, in der man zum Beispiel bei einem Longdrink oder Highball die Zutaten zugibt. Erst Sprit, dann Eis, dann ein möglichst kalter Füller, weil sich Kohlensäure in kalter Flüssigkeit bindet und komprimiert wird. Mehr Sauerstoff bedeutet: mehr Geschmack. Man muss wissen, wie sich im Laufe des Abends das Eis verändert, das Glas, die Temperatur im Raum. Ein guter Bartender wirft das alles mit in die Waagschale.

Wie experimentierfreudig sind Gäste?

Vielen fällt es schwer, etwas auszuprobieren. Man muss dem Gast diese Hürde nehmen, indem man eine Empfehlung ausspricht und ihn aus seiner comfort zone bewegt. Was man vom Wein kennt, geht auch bei Drinks. Der Probierschluck hilft!

Wie groß ist die Hemmschwelle, viel Geld für ein Getränk auszugeben?

Der Preis kann eine Hürde sein. Getränke mit komplexerer Zubereitung oder ungewöhnlichen Zutaten sind etwas teurer. Gute Produkte und Handwerk haben ihren Preis. Aber grundsätzlich ist es ja interessant, was Menschen als teuer gewichten. Jemand gibt 80 Euro für ein Konzertticket aus und steht in der letzten Reihe, empfindet aber zehn Euro für einen spannenden Drink als teuer...

Ein großes Thema sind derzeit alkoholfreie Spirituosen.

Im operativen gastronomischen Geschäft spielt das fast keine große Rolle. Auch wir bieten Alternativprodukte an, aber wenn ein Gast etwa einen Non-alcoholic-Gin wünscht, verarbeiten wir lieber frische Kräuter und Gewürze und gießen die mit einem Tonic auf. Wir sehen unsere Pflicht darin, jemandem nicht bloß aromatisiertes Wasser in die Hand zu drücken. Stattdessen würde ich einen Drink mit Zitrone, flambiertem Thymian und Pfeffer servieren. Das ist frisch, das ist lecker!