Klimaeffizient heizen? Gar nicht so einfach in sanierungsbedürften Kulturhäusern, Foto: Katja Illner

Practice what you preach!

Die Bundeskulturstiftung hat Kulturinstitutionen eingeladen, ihre Klimabilanz zu errechnen

Ein absurdes Schauspiel war das, 2019 bei der Biennale in Venedig. Während Tausende Besuche­r*in­nen und Kunst­expert*innen die inter­nationale Ausstellung erkundeten, versank die Stadt im Hoch­wasser. Wegen Sturm und Hagel­schauern musste sogar kurz­zeitig der Betrieb eingestellt werden. Gewonnen hat den Goldenen Löwen am Ende aus­gerechnet der litauische Pavillon.

In ihrer Performance »Sun & Sea (Marina)« besangen die drei Künstle­rinnen den Klima­wandel, mit ironischen Arien über Vulkan­ausbrüche, die den Urlaub vermiesen, und Liedern über das Great Barriere Rief und die vielen Flug­reisen, auf die man so stolz ist. »Zeit­genössische Krisen entfalten sich leicht, sanft — wie ein Pop-Song am aller­letzten Tag auf der Erde«, hieß es in der Beschreibung zum Beitrag.

Seit Jahrzehnten beschäftigen sich Künstler*innen mit dem Klima­wandel, auch im Theater. Doch hinter den Kulissen geht der Betrieb meist ganz normal weiter: 2,2 Millionen Kilo­watt­stunden Energie verbraucht ein Stadt­theater jährlich im Schnitt, umgerechnet entspricht das ungefähr 880 Tonnen CO2-Emissionen. »Practice what you preach«, fordern Kritiker*innen deswegen. Statt dem »freund­lichen Aktionismus«, wie der Journalist Till Briegleb ihn kürzlich den Theatern mit ihren Nach­haltig­keits-AGs und unverbind­lichen Initia­tiven attestierte, sollen endlich Maß­nahmen umgesetzt werden. Und so mischt sich in die Debatte ein neuer Begriff: Betriebs­öko­logie, also das ressourcen­schonende Manage­ment in allen Bereichen. Aber sind die Theater mit ihren oft sanierungs­bedürftigen Räumen und auf inter­nationales Wachstum ausgerichteten Ökonomien überhaupt fähig, sich zu verändern?

Anruf bei Sebastian Brünger. Als Dramaturg begleitete er bis vor einigen Jahren die Künstler*innen-Gruppe »Rimini Protokoll«. Heute ist Brünger wissen­schaft­licher Mitarbeiter der Kultur­stiftung des Bundes und hat dort ein Pilot­projekt voran­getrieben, das Kultur­institutionen aufruft, ihre Klima­bilanz zu prüfen. 19 Museen, Theater, Biblio­theken und Konzert­häuser haben teil­genommen, das Ergebnis: Vor allem der Betrieb der Gebäude und die Mobilität rund um die Einrichtung bringen die Klima­bilanz in den roten Bereich. »Die Ver­ant­wort­lichen müssen sich für ein ressourcen­schonendes Manage­ment an ihren Häusern einsetzen«, sagt Sebastian Brünger. »Aber es müssen auch konkrete Anreize geschaffen werden, die Sache wirklich anzugehen.«

Wie etwa in Groß­britannien. 2012 hatte der Arts Council als welt­weit erste Kultur­förder­institution fest­gelegt: Wer sich um Gelder bewirbt, muss auch eine Klima­bilanz für die jeweilige Produktion erstellen und Maß­nahmen umsetzen, um Emissionen zu senken. Schon ein Jahr später schlug sich die neue Regelung in den Zahlen nieder. Um insgesamt 23 Prozent haben die geförderten Einrichtungen ihren Energie­verbrauch seitdem gesenkt — und dabei noch eine Menge Geld eingespart, nämlich umgerechnet rund 19 Mio. Euro.

In Deutschland gibt es eine solche Vorgabe nicht. Allein große, börsen­notierte Unter­nehmen müssen einen jähr­lichen Nach­haltig­keits­bericht vorlegen. Was dazu führt, dass viele Kultur­institutionen über­haupt nicht wissen, wo bei ihnen die Energie­fresser sind — also auch nicht, wo klima­gerechte Maß­nahmen ansetzen müssten. »Die Klima­bilanz war nur der erste Schritt«, sagt auch Sebastian Brünger im Rück­blick auf das Pilot­projekt. Im Rahmen eines Coachings haben die Einrichtungen künftige Ziele formuliert, einiges setzt man bereits um: Anstatt ein Bühnen­bild immer wieder neu zu bauen, verwenden viele Theater modulare Systeme, beziehen Technik und Materialien aus Second-Hand-Bau­märkten oder verringern ihren Müll. Kleine Stell­schrauben im Gesamt­gefüge, denn um aus­reichend Energie ein­zusparen, müssten die oft denkmal­geschützten und nicht energie­effizienten Theater­häuser dringend saniert werden.

Das weiß man auch am Tanzhaus NRW, das in einem alten Straßen­bahn­depot in Düssel­dorf residiert. Rund 4000 Quadrat­meter hat der Flach­bau, keine leichte Aufgabe, die zwei Bühnen, acht Tanz­studios und Produktions­büros klima­effizient zu heizen und zu belüften. Seit Jahren setzt sich das Haus mit Umweltschutz auseinander, auch eine Arbeits­gemein­schaft mit Mit­arbeitenden aus allen Bereichen wurde gegründet. »Es ist uns wichtig, dass alle Abteilungen den Prozess begleiten und wir gemein­sam eine wirkungs­volle Nach­haltig­keits­strategie für das gesamte Haus entwickeln«, sagt Presse­sprecherin Anja Fetzer. Auch das Tanzhaus NRW hat an dem Pilot­projekt teil­genommen, die Ergebnisse sind aber noch nicht ausgewertet.

In Venedig unter­dessen, dort wo die Biennale 2019 ins Wasser fiel und dann doch die Performance über den Klima­wandel den Preis bekam, will man im ersten Shutdown Delfine gesehen haben. »Es gibt keine echte Möglich­keit für radikalen Wandel, wenn wir nicht alle gewohnten Strukturen ersetzen«, sagte die Künstlerin Lina Lapelyt, die »Sun & Sea (Marina)« inszenierte, in einem Inter­view. Wie die Klima­bilanz allein von ihrem Pavillon auf der Biennale aussah? Man will es im Grunde gar nicht wissen.