Rubens replaced by Kara Walker: Blick in das Kirchenschiff | ©C. Franken

Rassismus als Palimpsest

Kara Walkers meisterhafte Scherenschnitte in der Kunst-Station Sankt Peter

In ihrem Beitrag zur Reihe »Replace Rubens« ersetzt die New Yorker Künstlerin Kara Walker (* 1969) die aktuell in Restaurierung befindliche »Kreuzigung Petri« (1638 — 1640) durch ein »fortune telling device — ein Wahrsagegerät«. An der Stelle des berühmten Gemäldes hängt nun eine fast fünf Meter hohe Papierarbeit. Im Mittelpunkt der monumentalen, mit den für Walker charakteristischen Silhouetten bevölkerten Bilderzählung steht ein Kelch, dessen weißer Schattenriss sich vor einem meist dunklen, aus zahlreichen Collageschichten aufgebauten Hintergrund abzeichnet. Über dem Kelch schwebt ein schwarzer Kreis: die Hostie, die gleichzeitig Strahlen und (Bluts)tropfen oder Tränen aussendet und symbolhaft auf den Opfertod Christi verweist.

Vier weitere figürliche Darstellungen umgeben das heilige Gefäß. Obwohl ein narrativer Zusammenhang nicht auszumachen ist, lassen die physio­gnomischen Profile der Gestalten erkennen, welche Akteure Walker in ihren dramatisch aufgeladenen Szenarien auftreten lässt. Die stilisierte Darstellung des Scherenschnitts erzeugt markante Merkmale rassistischer Charakterisierungen: Eine Figur mit wulstiger Unterlippe und fliehender Stirn in etwas grotesk verrenkter Position erscheint wie die Karikatur eines Schwarzen als Narr. Sie steht im zugespitzten Kontrast zu einer Figur in barocker Tracht, mit Zopffrisur und Schnallenschuhen. Uneindeutig ist die Rolle der Frau in ekstatischer Pose mit entblößter Brust, zwei Dolche in den aggressiv erhobenen Händen. Exorzistin, Voodoo-Priesterin, Mörderin?

Walkers ambivalentes Figurenpersonal entstammt zwar dem historischen Arsenal der Sklaverei und bildet (Stereo-)Typen ab, jedoch nur, um gängige Schwarz-Weiß-Klischees offenzulegen. Durch die Überlagerung von Papierschichten durchdringen sich in ihren Komposition palimpsestartig die vorder- und hintergründigen Bildebenen und Motive. Fragmentarische Bildausschnitte treten wie freigelegte Spuren einer überschriebenen Geschichte an die für neue Bildinhalte geöffnete Oberfläche.

Mit dem postmodern verkündeten »Ende der großen Erzählungen« schiebt Walker das dominante Narrativ gängiger Machtdiskurse von Religion und Geschichtsschreibung, wie einen Vorhang zur Seite — und bietet der multiperspektivischen Erzählweise, in der Glaube und Aberglaube, Wissenschaft und Wahrsagerei gleichberechtigt auftreten, eine offene Bühne.

Kara Walker, »Replace Rubens …with a Fortune Telling Device«
Kunst-Station Sankt Peter, Jabachstr. 1
Mi–So 12–18 Uhr, bis 12.9.