Kennt alles, spielt alles: Emma-Jean Thackray

Alles aus einer Hand

Emma-Jean Thackray ist die hypertalentierte Allrounderin der Londoner Jazz-Szene

»Wenn immer Menschen mit verschiedenen Wurzeln, aus allen Ecken der Welt zusammenkommen, entsteht Magie«, für Emma-Jean Thackray ist klar, warum gerade die britische — und im speziellen die Londonder — Jazz-Szene für Furore sorgt. »Essen, Erinnerungen, Klänge, Sprachen, Manierismen — das alles formt Menschen, und Menschen formen dann die Kunst.«

Für die vor gut 30 Jahren in Leeds geborene Thackray ist das der Schlüssel ihres Schaffens. Wie ein Schwamm saugt die Übertalentierte alles auf: ihre klassische Jazz-Ausbildung in Orchester und Big Band, Beat-Making zu Hause, Soul, HipHop, Funk aus dem Radio.

Teile eines Mosaiks, das sich nun als ganzes auf ihrem Debüt »Yellow« präsentiert. Hier spielt sie Trompete, Horn, Piano, Synths — und sie singt auch noch. Emma-Jean Thackray ist nicht nur der jüngste Spross der zu recht häufig gefeierten Szene der englischen Hauptstadt, womög­lich ist sie die Künstlerin mit dem stärksten Schaffensdrang. Gerade erst hat sie ihr Break-Out-Jahr gefeiert: War sie bei Insidern schon mit ihrer EP »Ley Lines« auf dem Schirm, hinterließ sie mit ihren Veröffentlichungen im vermaledeiten Jahr 2020 ihre Spuren auch in den Mainstream-Medien. Die EPs und Singles hießen »Um Yang«, »Rain Dance« und »Walrus« — benannt nach ihrer Live-Band.

Neben drei EPs waren Sie noch Teil des Riesenprojekts »Blue Note Re:Imagined« und haben auf der neuen Platte von Squid gespielt — wie war das letzte Jahr für Sie?

Wie immer im Leben ist alles in Balance. Einerseits Platten, auf die ich sehr stolz bin, andererseits habe ich schwer unter einer Covid-Erkrankung und ihren Spätfolgen gelitten. Singen und Trompete spielen waren kaum drin. Als ich für Squid das erste Mal wieder mit vollem Einsatz spielte, brannten meine Lungen wie Feuer. Ich musste viel arbeiten und trainieren — und auch umstellen —, um meine Stimme wiederzufinden.

Und wie ist der Stand heute?

Ich musste mir eine ganz neue Technik aneignen beim Gesang. Das fühlt sich mittlerweile beziehungsweise seit ein paar Wochen sogar besser an als vorher. Aber ich habe gelernt, dass ich auch ein paar Gänge runterschalten muss. Ich möchte nämlich nicht, dass nun alles so weitergeht wie vorher. Es soll besser werden.

Ich nehme an, dass die Situation Ihre Platte »Yellow« inspiriert hat?

Tatsächlich gar nicht! Die Themen waren schon Ende 2019 alle in meinem Kopf vorformuliert. Ich hatte allerdings mehr Kapazitäten, mcih der Frage zu stellen, wie man alles kombiniert und mischt. Wäre ich auf Tour gewesen, so wie geplant, dann wäre die Platte vermutlich nicht fertig geworden. Das ist natürlich ein wichtiger Aspekt.

Während »Ley Lines« noch als EP bezeichnet wurde, obwohl sie acht Stücke verband, ist »Yellow« ein Album — also ihre Debüt-LP?

Es gibt da bestimmt Verwirrung. »Ley Lines« ist wie alle EPs eine Kurzgeschichte, wohingegen »Yellow« ein Roman ist. Ich lege wert darauf, dass dies meine Debüt-LP ist. Die Leute sollen wissen, dass ich alles auf ein neues Niveau bringe!

Hätten Sie während des Musik-Studiums gedacht, dass Sie je an dem Punkt landen, an dem Sie heute sind?

Meine musikalische Vergangenheit ist dafür zu kleinteilig gewesen. Ich habe Jazz studiert und für Orchester Partituren geschrieben, während ich zu Hause Beats programmiert habe. Die Jazzer haben mich misstrauisch beäugt, weil ich HipHop und Indie gehört habe, die Beat-Maker hingegen haben mich wegen meines akademischen Hintergrunds wie ein Alien behandelt. Ich war immer ein Außenseiter, habe nie irgendwo reingepasst. Heute kann ich Musik so spielen, performen und aufnehmen, wie ich möchte. Jetzt kann ich endlich so sein, wie ich bin.

Die Platte erscheint auf Movementt, Ihrem eigenen Label. Was bedeutet das Label für Ihr Schaffen?

Ich hätte verschiedene Wege einschlagen können, alle interessant mit tollen Leuten und guten Labels. Aber ich hätte niemals »diese« Platte machen können, wenn ich mich für irgendein Label und einen bestimmten Sound entschieden hätte. Movementt ist für mich die Möglichkeit, ich selbst zu sein. Da ich jederzeit einen anderen musikalischen Pfad einschlagen könnte, versichere ich mit dem Label: Hier kommt alles von einem Ort, aus einer Hand. Alles entsteht unter dem Mantra: »Move the Body, Move the Mind, Move the Soul«!

Sie brauchen doch gar nicht mehrere Platten zu machen, um viele Pfade einzuschlagen. »Yellow« selbst bringt viel zusammen: Da sind die Coltranes, Sun Ra, Roy Ayers, George Clinton und viele mehr. Gab es einen Masterplan?

Ich habe wirklich all diese Künst­le­r:innen gehört. Dazu noch P-Funk und die Beach Boys der Pet Sounds-Ära. Ich habe ganz sicher versucht diesen Sound der 70er Jahre einzufangen. Da die Wärme der Band-Produktion, dann der Ensemble-Klang von »Bitches Brew« und das Genie von Brian Wilson. Viele Overdubs, alte Instrumente, Höhen- und Tiefen-Begrenzung: Die Platte sollte nicht klingen wie eine aktuelle Produktion, sondern als käme sie direkt aus der Vergangenheit.

Ist das Ihre Verneigung vor dem enormen kulturellen Schatz des Jazz?

Können oder wollen Sie dem überhaupt noch Neues hinzufügen? Musik entwickelt sich gar nicht in den revolutionären, großen Schritten, wie man manchmal denkt. Es sind viele kleine Veränderungen. Jeder Mensch macht unterschiedliche Erfahrungen, die ihren Weg in die Musik finden können. Man muss seinen eigenen Gedanken vertrauen können und nicht für den schnellen Erfolg versuchen, wie alle anderen zu klingen, dann entsteht auch etwas eigenes und neues.

Tonträger: Emma-Jean Thackray, ­»Yellow«