Entzieht sich den Banalitäten: Miriam Berger

Das Ausgegrenzte, das um Raum und Stimme ringt

Miriam Berger erschafft mehrlagige Klangwelten, die erst gelesen werden müssen

Wer bereits das Vergnügen hatte, die Solo-Künstlerin Miriam Berger in einer stickigen Konzerthalle zu erleben, Schulter an Schulter mit anderen Gästen, konnte beobachten, wie die Zuschauer vom Stuhl in fremden Welten gerutscht sind. Berger, unter diesem Namen tritt sie auch auf, legt akustische Ebenen übereinander, lässt sie wachsen und sich verselbständigen bis zur Unkenntlichkeit. Die Stimmung ist teils wohlwollend, teils sphärisch mit einem entrückten Anstrich. Berger sieht ihre Melodien als »Auswüchse«, die sie in einem langjährigen Entwicklungsprozess begleitet haben und dabei gereift sind.

Ich habe die Kölner Künstlerin getroffen, um mit ihr über ihr Soloalbum zu sprechen, das nun Stück für Stück als dreiteilige Reihe veröffentlicht wird. Der gerade veröffentlichte erste Teil »Creatures I« ist eine Hommage an das Lyrische und Theatralische und verarbeitet ihre Erfahrungen als Theaterschauspielerin und -komponistin.

Wer sich beim ersten Titel »Creatures« aufmerksam dem Text widmet, meint zu hören, dass die Existenz mancher Kreaturen bestritten wird. Jemand schaut von oben auf diese bunten Monster herab und sortiert sie aus, mehr noch, in den Lyrics heißt es sogar mit einem trockenen Unterton: Sie, diese Wesen, werden abgeschafft, weil sie nicht funktionieren. Im Musikvideo zu »Creatures« multipliziert sich die Künstlerin, ihre Gliedmaßen werden verfremdet, ihr sprießen Finger aus dem Kopf, wahnwitzige Münder flattern wie Schmetterlinge umher. Zwischen all diesen Körperwesen bewegt sich Berger in einer maschinellen Art, die dem Betrachter ein beklemmendes Gefühl vermittelt. Tatsächlich interessiert sie sich für das Unangepasste, Ausgegrenzte, das um Raum und Stimme ringt und sich in ihren Werken manifestiert. Beim Lauschen stößt man auf unmerkliche Aussetzer im Gesang, Wiederholungen, Verspieltheiten, die ungewöhnlich sind und darauf abzuzielen scheinen, den bestehenden Zustand zu stören. Trotz dieser aufbegehrenden Dissonanzen schafft es Berger mit ihrer Stimme, die einen bemerkenswerten Umfang hat, eine geradezu beruhigende Intimität zu schaffen.

Die ersten Stücke auf dem Debüt sind in Zusammenarbeit mit dem freien Theaterensemble »Port in Air« und dem Regisseur und Autor Richard Aczel entstanden, der teilweise die Texte verfasst hat. 2015 komponierte Berger den Soundtrack für die Produktion »Hardly still walking, not yet flying« (Richard Aczel), die auf einer metaphysischen Ebene die Bedeutung des Lebens untersuchte: Der Mensch versucht stets, sich der vermeintlichen Banalität des Alltäglichen zu entziehen, um nach einer erhabenen Lebensweise zu streben. Dieses philosophische Motiv schwingt auch in der EP mit, die eine diffuse Sehnsucht nach dem Überirdischen vermitteln.

Die Geschichte hinter dem Titel »To Deirdre« hat ihren Ursprung in der Inschrift auf einer Parkbank, die der Figur »Deirdre« gewidmet ist. Aus Deirdres Augen erleben wir die Umgebung, einen Teich, die Wolken, die Spiegelungen der Blätter im Wasser. Offen bleibt, was mit Deirdre passiert, wie Berger im Gespräch offenbart: »Die Figuren haben oft was Abgründiges, irgendwas muss ja mit Deirdre passiert sein, dass sie nicht mehr da ist. Ich habe festgestellt, dass viele meiner eigenen Texte — was mich sehr wundert — mit dem Tod enden. Oder, dass irgendwas verschwinden sollte. Oder, dass ich mich auflöse.« Und wie geht es weiter? Die nächsten Songs, die im Laufe des Jahres herauskommen sollen, sind auf Deutsch geschrieben. Die Künstlerin betont, es störe sie, dass deutsche Pop-Songs immer so runtergelutscht werden, um dann doch irgendwie englisch zu klingen. Berger dagegen nutzt die Eigenheiten der deutschen Sprache, die kantiger, geradezu herber daherkommt.

Außerdem verrät sie, dass die nächste EP einen Titel enthält, der um eine Rolle kreist, die sie am Prinzregentheater in Bochum verkörpert hat: »Isa«. Diese ist die Protagonistin aus Wolfgang Herrndorfs Romanfragment »Bilder deiner großen Liebe«, die aus einer Psychiatrie ausbricht (unklar ist, ob sie eine diagnostizierte Schizophrenie hat) und sich auf eine gewagte Wanderschaft begibt. Miriam Berger nimmt Bezug auf Herrndorfs Zeile: »Verrückt sein heißt ja nicht, dass man verrückt ist.« Schließlich reicht jede Abweichung von der Norm in den Augen mancher schon für den Stempel »verrückt«. Berger findet es interessanter, über solche Charaktere zu schreiben als über sich selbst, auch wenn sie durchaus Anteile von »Isa« in sich selbst entdeckt.

Die Künstlerin spricht in diesem Zusammenhang auch über feministische Debatten und darüber, wie man sich gegenseitig empowern kann. Und wie funk­tioniert Selbstbestimmung und Ermächtigung in der Musikbranche? Für die Live-Performances hat sich Berger ein Ensemble aus befreundeten Künstlerinnen und Künstlern zusammengestellt: auf der Bühne stehen unter anderem Sophia Spies (Faira) am E-Bass und Isabelle Pabst an der Gitarre.

Tonträger: Die »Creatures I« ist auf bergermusik.com erschienen