»Literaturverfilmungen sind immer zu kurz«

Regisseur Dominik Graf über seine erste Roman-Adaption nach Erich Kästners »Fabian«

Herr Graf, würden Sie gern ein Jahr in der Weimarer Republik verbringen?

Ja, auf jeden Fall. Ich finde Zeiten extrem spannend, in denen Dinge auch in schrecklicher Weise auf den Punkt gebracht werden. Natürlich vor allem jene Zeiten, kurz bevor es zum schlimmen Ende kommt. Das als Gegenwart mitzuerleben, geht einher mit einer unglaublichen Vitalität.

Ihr Film »Fabian« steckt voller Sehnsucht und weckt auch Sehnsucht im Zuschauer — nach Stimmungen und Moden, Popkultur und dem Lebensgefühl der damaligen Zeit.

Diese Weimarer Epoche, in der der Erste Weltkrieg noch so stark nachgewirkte, hat mich immer schon fasziniert: Eine Zeit des soziologischen und psychologischen Erdbebens. In solchen Epochen der Orientierungslosigkeit und der sich anbahnenden Katas­trophe steckt ein großes Stück Wahrheit über das Mensch­liche. Mehr als in Zeiten, die glauben, sie wüssten genau, wohin die mora­lische und politische Orien­tierung hinzugehen habe. Insofern ist auch Fabians ständiges Gerede vom Anstand in vielen Momenten pure Ironie.

Wie kamen Sie dazu, Erich Kästners Roman von 1931 zu verfilmen?

»Fabian« habe ich zum ersten Mal 1979 gelesen, als ich in West-Berlin wohnte. Schon vor längerer Zeit ist mir eine Verfilmung angeboten worden. Dann kam der Produzent Felix von Böhm noch einmal mit der Vorlage und einem sehr guten Drehbuchautor — Constantin Lieb —, in dessen erster Fassung schon relativ viel stand. Und ich hatte plötzlich das Gefühl — auch durch andere Stoffe über die Weimarer Republik wie »Babylon Berlin« —, dass die 20er Jahre wieder aktuell sind. Wobei der Roman in Bezug auf unsere politischen Verhältnisse auch sehr unheimliche Parallelen aufreißt. Das spricht fast von uns, ohne dass man dies jetzt überbetonen muss. Es gibt immer wieder mal kurze Schneisen im Film, die in die Gegenwart führen.

Erich Kästner sagte, der Roman habe gar keine Geschichte...

So empfand ich das auch, und das fand ich schon mal super. Denn es gab mir die Möglichkeit, eine Art Panoptikum des Berlin der damaligen Zeit zu zeigen. Nicht das große Berlin der Verbrecher wie in »Babylon Berlin«, sondern lauter kleine Facetten und blitzlichtartige Ein­blicke. Ein kleinteiliges Berlin, durchzogen von einer ganz seltsamen Untergangsatmosphäre. Kästner hat den kommenden Untergang ja bereits 1931 in erstaunlicher Weise vorausgesehen. Sonst wäre sein Untertitel auch nicht »Der Gang vor die Hunde«.

Die Hauptfigur des Romans und des Films ist ein Skeptiker.

Total! Und zwar in Bezug nicht nur auf die Deutschen, sondern auf alle Menschen. Er hat dieses grundsätzlich Beobachtende. Fabian guckt auf den Gang vor die Hunde, während er selbst dem Abgrund immer näher rutscht. Dabei hat er das Gefühl: »Das berührt mich alles nicht. Ich weiß eh, wie das läuft.« Dieser Blick auf die Auflösungserscheinungen der Demokratie, und auf der anderen Seite die wahnsinnig schöne Liebesgeschichte zwischen Fabian und Cornelia, und dann noch der verzweifelte Freund Labude, Millionärssohn, Kommunist, und ein absoluter Versager in Liebesdingen — das ist eine Konstellation, die mich begeistert hat.

Es scheint aber auch heute eine besondere Sehnsucht nach Berlin zu geben. Sie selbst haben schon oft dort gedreht. Weshalb diese Fixierung auf Berlin?

Grundsätzlich ist Berlin bis heute geprägt von einer babylonischen Vielstimmigkeit, dem Gefühl, dass man auch in den 20er Jahren schon hatte: Alles strandet an diesem Ort, alle, auch sehr viele Menschen aus den verschiedenen osteuropäischen Ländern, haben in Berlin einen Sehnsuchtsort. Berlin scheint zudem ein Ort zu sein, an dem man sich viel erlauben kann. Es ist erstaunlich, was es damals schon für Geschichten gab.

Zum Beispiel?

Tatsächlich gab es damals in Berlin täglich drei Banküberfälle! In einer Szene des Romans steht Fabian in einer Schlange vor dem Arbeitsamt, und plötzlich fallen Schüsse. Einfach so, wie im Wilden Westen.

Wie wählen Sie Ihre Stoffe aus?

Gibt es dafür eine Strategie? Am Anfang hatte ich vielleicht eine Strategie, dann kam eine andere hinzu. Dann habe ich sehr oft gemerkt, dass ich bestimmte Dinge gar nicht kann, daraufhin hat sich die Strategie sofort wieder verändert. Und in den vergangenen 20 Jahren ist es sicherlich so, dass ich mir eine Straße von Ideen und Motiven baue. Da gibt es auch Wiederholungen, alleine schon dadurch, dass sich die Menschen wiederholen, mit denen ich zusammenarbeite. Und wenn man wieder zusammensitzt, denkt man auch Dinge wie: »Jetzt machen wir das Gleiche noch mal, aber ein bisschen anders und wir schauen, was diesmal dabei herauskommt.« Es kommt hinzu, dass man im deutschen Filmgeschäft zur Kenntnis nehmen muss, dass viele Pläne im Brecht’schen Sinne nur Pläne bleiben, die durch einen neuen Plan ersetzt werden. Und den kann man auch gleich in den Papierkorb werfen. Es ist schwer, den Weg so zu gehen, dass trotz aller Verluste etwas dabei herauskommt.

Welche Verluste?

Filme, die nicht gemacht werden. Ich wollte unbedingt einen Film über die Geschichte des ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback machen. Das traf über Jahre hinweg auf viele Widerstände — und irgendwann versenkt dann eine Chefin das Projekt sang- und klanglos. Umgekehrt wollte ich nie Literaturverfilmungen machen, ich wollte nie Nazis filmen. Aber auch diese Pläne haben sich als Unfug erwiesen.

Inzwischen haben Sie schon einige Literaturverfilmungen gedreht.

Das kam sehr spät. Ich hatte eigentlich nie Literaturverfilmungen geplant. »Fabian« ist meine erste Romanverfilmung. Alle anderen Vorlagen waren Novellen oder kleine Erzählungen. Was mich an Literaturverfilmungen stört, ist, dass sie alle zu kurz sind. Wenn man es mit einem Roman zu tun hat, dann muss man ein Äquivalent für die Wucht des Romans finden — für die Art, wie erzählt wird und wie der Autor spricht. Das muss man in den Film hinüberziehen, und dazu braucht man meiner Ansicht nach Zeit. Im Idealfall müsste eine Romanverfilmung so lange dauern, wie man braucht, um den Roman zu lesen. Man muss die Größe, die Weite, die Facetten nachempfinden können. Das ist natürlich unrealistisch. Aber der Versuch, sich auszubreiten, den finde ich bei Romanverfilmungen irrsinnig wichtig.

Sie mögen eine Figur aus der Filmgeschichte, die lange verpönt war, jedoch in der letzten Zeit wieder ein bisschen zu Ehren kommt: Der Erzähler aus dem Off.

Wenn man Zeit erzählt, und die Sprünge dazwischen, dann braucht es manchmal eine überbrückende Verbindung: auch, um Gefühle zu vermitteln. Erzähler stehen für eine olympische Erzählweise. Es sind Figuren, die von oben alle Fäden in der Hand halten. Die Beziehung zwischen den Figuren folgt einem übergeordneten Regelwerk, das den Film steuert, und die Figuren sind diesem Regelwerk ausgeliefert. Erzähler — manchmal streng literarisierte Erzähler — drücken dieses Regelwerk aus. Es war für mich immer eine Selbstverständlichkeit, dass das mit zum Kino gehört.

Wie haben Sie Ihre Hauptdar­steller*innen ausgewählt?

Tom Schilling als Fabian hatte ich von Anfang an im Kopf. Das war ein bisschen so wie damals bei »Die Katze« mit Götz George: Wenn der gesagt hätte »Das mache ich nicht!«, dann hätte ich es auch nicht gemacht. Mit ihm wollte ich schon seit längerer Zeit gerne arbeiten. Ich fand Tom von allem her, was ich gesehen habe, so unglaublich stimmig. Einfach präzise auf diese Figur passend. Von Saskia Rosendahl hatte ich vor allem den Film »Lore« gesehen, der nach dem Zweiten Weltkrieg spielt. Und dann »Werk ohne Autor«. Das Wichtigste war, dass man bei ihr so eine innere Freiheit spürt. Sie kann eine Frau sein, die so einen Skeptiker wie Fabian im Nu über den Tisch zieht. So ist es, glaube ich, auch geworden.

Wie wichtig ist der Zufall bei der Arbeit?

Es gibt von Jean Renoir den Satz, man solle immer die Tür offen halten für die Wirklichkeit, falls sie Lust bekomme, einzutreten. Alles, was passieren kann, ist erlaubt — dass jemand stolpert, den Text nicht kann, aber dabei noch viel großartiger aussieht, als wenn er ihn könnte. Ich bin auch kein Fan davon, Szenen allzu lange vorzubereiten und durchzuplanen, weil ich oft den Eindruck habe, es schleicht sich dann doch mehr diese Bühnenhaftigkeit ein, und man verliert das Filmische. Der Witz ist ja, dass man zunächst einmal die Chance hat, allem freien Lauf zu lassen. Andererseits glaube ich, dass man sehr oft im Film aus der Ablehnung heraus Entscheidungen trifft. Man weiß erst mal, was man nicht will, bevor man vielleicht weiß, was man wollen könnte.