Wer oder was bestimmt das Bewusstsein?

»Possessor« von Brandon Cronenberg

Brandon Cronenberg liefert atmosphärischen Horror und zitiert dabei David Cronenberg

Das Jahr 2008 in einer alternativen Realität: Tasya Vos (Andrea Riseborough) ist Auftragskillerin für ganz besondere Spezialeinsätze. Ein Konzern, der am laufenden Meter missliebige Personen ausschaltet, transplantiert ihr Bewusstsein mittels einer organisch-biologischen Technologie in die Körper anderer Menschen, über die sie fortan die Kontrolle übernimmt. Auf diese Weise gelingt es Tasya Vos, der Zielpersonen ganz nah zu kommen. Sind diese umgelegt, richtet sie die Waffe gegen den Wirtskörper selbst, nicht ohne sich in letzter Sekunde von ihrem Supervisor aus dem sterbenden Körper ziehen zu lassen.

Effektiver Wirtschaftsterrorismus — aber ein riskantes Unterfangen vor allem für die Killerin: Nicht nur ihr Gehirn kann Schaden nehmen, sondern auch ihre Psyche. Ihr Realitätssinn ist zusehends Irritationen ausgesetzt.

Dies zeigt sich, als sie in Colin Tate (Christopher Abbott) verpflanzt wird, dessen unterdrückten Aggressionen und Sexualität sich bald mit ihren eigenen Abgründen vermengen: Wer das eigentliche Regiment über Colins Handeln führt, ist bald nicht mehr auszumachen. Fremdgesteuerte Agenten, der Horror von Mind over Matter oder Matter over Mind, Technologie, die sich tief ins menschliche Bewusstsein frisst, sich dort ungut mit angehäufter Psycho-Schlacke vermengt und letztlich die eigene Wahrnehmung zur Diskussion stellt: Im Kino ist für solche in aller Kreatürlichkeit ausgewalzten Gedankenexperimente seit den 70ern Jahren David Cronenberg zuständig.

Dessen Sohn Brandon scheint den Vater nun vorzeitig beerben zu wollen: Bis in die Besetzung (Jennifer Jason Leigh als Supervisorin) schöpft der Sohn aus dem Fundus des alten Herrn, so dass man Witze machen will: Offenbar ist dieser Film über fremdgesteuerte Menschen selbst vom Kino des Vaters fremdgesteuert und bis in offensichtliche Zitate geradezu davon besessen.

Wobei die Ästhetik eher eine Mischung aus dem Indie-Horror der vergangenen Jahre und jüngeren transgressiven Sauereien wie Panos Cosmatos »Mandy« (samt Hauptdarstellerin) erinnert. Die erhabenen filmischen Kathedralen des Vaters sind Brandon Cronenbergs Sache ebenso wenig wie die rätselhaft-metaphorische Filmsprache des Seniors. Der Junior buchstabiert seine Themen eher ins Eindeutige aus: Style over Matter statt Mind over Matter, aber atmosphärisch stimmungsvoll inszeniert, mit zwei, drei fiesen Spitzen und ins Konkrete gewendeten Abgründen, wie man sie im Gegenwartskino zwischen Superhelden und Toskana-Arthouse viel zu selten auskosten kann.

(dto) CA/GB 2020, R: Brandon Cronenberg, D: Andrea Riseborough, Jennifer Jason Leigh, Christopher Abbott, 103 Min., Start: 1.7.