Poetisch, profan, politisch, provokant…Pogues

»Shane« von Julien Temple

Julien Temple porträtiert Shane MacGowan in einem herausragenden Musikfilm

Ein filmisches Porträt des Pogues-Sängers Shane MacGowan kann nur gut sein, wenn es unberechenbar ist wie der Punkmusiker selbst. Und dazu braucht es einen Mann wie Dokumentarfilmer Julien Temple, dem schon 1980 mit »The Great Rock & Roll Swindle« über die Sex Pistols ein Coup gelang. Auch MacGowan lässt er Raum zur Selbstdarstellung und setzt zugleich mit Punk-Energie und rauer Poesie seine ganz eigenen Akzente. Dem lapidaren deutschen Verleihtitel »Shane« musste das schönere Original weichen: »Crock of Gold: A Few Rounds with Shane MacGowan« verweist nicht nur auf eine der besten Platten der irischen Band, sondern erklärt auch, worum es geht: Auf ein paar Runden! Aber daraus kann ja leicht mal mehr werden, und das wird es dann auch. Zu Beginn sieht man eine Animation (viele weitere liebevoll animierte Szenen und Einschübe werden folgen), in denen Gott einen kleinen Jungen auserwählt, Irlands Musik zu retten, wie MacGowan aus dem Off im Duktus eines Märchenonkels erzählt. Warum Gott das tun sollte? »’cause God is Irish«. Klar.

MacGowan erinnert sich an seine Kindheit auf dem Dorf, das Aufwachsen in kargsten und erzkatholischen Verhältnissen, die Gewöhnung an Bier im zarten Alter von fünf Jahren, seine Erkundungen in der wilden Natur — und wie sie als Kinder bei Kriegsspielen den Konflikt zwischen Iren und Briten nachahmten.

Kollegen wie Bobby Gillespie und Sinn-Féin-Politiker Gerry Adams kommen ebenso zu Wort wie MacGowans Schwester Siobhan und seine Ehefrau Victoria Mary Clarke, die voll Liebe von seinen Geniestreichen schwärmen, aber auch offen Drogenexzesse und Zusammenbrüche thematisieren. Auch der vielleicht prominenteste Fan und Ko-Alkoholiker, Johnny Depp, der den Dokumentarfilm schließlich als Produzent unterstützt hat, taucht als Gesprächspartner auf und steht beim Geburtstagskonzert auf der Bühne, neben Leuten wie Sinead O’Connor und Bono. Am meisten beeindruckt am Ende Shane MacGowans Stimme — mehr, wie er erzählt als was. MacGowan ist ein Meister im Fabulieren, poetisch und profan, politisch und provokant, strickt er an seiner eigenen Legende und ist sich seiner selbst sehr bewusst. Seit einem Unfall 2015 sitzt er im Rollstuhl, das Sprechen fällt ihm schwer, doch seine Lebenslust ist ungebrochen. Zum Schluss kommt er beim Konzert zu seinen Ehren selbst auf die Bühne und singt — im Duett mit Nick Cave. Einer von vielen Momenten, die »Shane« zu einem herausragenden Stück der Musikfilmgeschichte machen.

(Crock of Gold: A Few Rounds with Shane MacGowan) GB 2020, R: Julien Temple, D: Shane MacGowan, Johnny Depp, Siobhan MacGowan, 124 Min., Start: 19.8.